„Die Frage ist: Kauft man ein Haus – oder kauft man eine Geige?“
Johannes Pramsohler ist kein Model und schon gar nicht Mainstream, sondern Musiker. Bei Cappuccino und einem Cornetto am Bozner Waltherplatz spricht der 32-jährige Violonist aus Sterzing über Musikerkollege David Garett, Hollywoodstars auf seiner Schule und über die positiven und negativen Seiten seiner Heimat.
Johannes Pramsohler (32) aus Sterzing veröffentlichte im Frühjahr sein erstes Album. In kürzester Zeit waren alle Exemplare ausverkauft.
Sie sind in Metropolen wie Paris oder London zu Hause und reisen für Auftritte nach Tokio oder New York. Aufgewachsen sind Sie in Sterzing. Inwiefern hat Sie Ihr Heimatort geprägt?
Es ist vielmehr Südtirol als Ganzes, das mich geprägt hat. Meine Eltern kommen ursprünglich aus Villnöss. Geboren und aufgewachsen bin ich in Sterzing, die Schulzeit habe ich aber zunächst in Brixen und später in Bozen verbracht. Dort war ich im Heim und habe das Konservatorium besucht. Südtirol hat mich im positiven wie im negativen Sinn geprägt. Es gibt Dinge, über die man sich hier in Südtirol aufregen könnte. Aber oft stehen die Dinge gerade für das, was man an der Heimat schätzt.
Was sind das für Dinge, worüber Sie sich in Südtirol, „aufregen“ könnten, wie Sie sagen?
Südtirol könnte etwas offener sein. Das wird aber nicht ein Spezifikum Südtirols sein, sondern liegt wohl in der Natur solcher kleinen – ich nenn sie mal – Mikrogesellschaften. Darin entwickeln sich eigene Dynamiken. Dort, wo jeder jeden kennt, etablieren sich ganz eigene, feste Regeln. Gerade das hat aber auch sein Gutes. Die totale Offenheit in den Großstädten und der Gedanke, dass alles neu und angesagt sein muss, das schätze ich auch nicht unbedingt.
Ihre Heimat besuchen Sie nach wie vor regelmäßig – wie etwa an Ostern. Vor dem Konzert in der Margarethenkirche in Sterzing haben Sie das Publikum eingestimmt und erklärt, warum Sie vier verschieden gestimmte Geigen brauchen. Versuchen Sie ganz bewusst schon vor dem ersten Ton eine Verbindung zum Publikum herzustellen?
Ja, wobei mir das in Sterzing ziemlich schwer fiel. Es war ein Programm, in dem nicht ich als Violinist im Mittelpunkt stand, sondern die Musik. Sie ist für mich etwas Höheres, woran jeder gleichwertig teilnimmt. Deshalb hätte ich am liebsten sofort zum Spielen angefangen. Auf der anderen Seite ist es mir enorm wichtig, dass die Zuhörenden meine Musik verstehen und nicht meinen, André Rieu und ich machten ein und dasselbe. Meine Musik ist mehr als nur Unterhaltung – da spielen tiefe Gedanken und Wissenschaft mit, es handelt sich um Kunst. Das Umstimmen der Geige hat physikalische Gründe, die Wirkung auf den Zuhörer ist stets eine andere. Oft erkläre ich nur ein Stück aus dem Programm und hinterher ist es dann genau das, welches am besten ankommt. Es ist wie mit einer Führung im Museum. Bei jenen Kunstwerken, welche man erklärt bekommt, denkt man „Wow“ – alle anderen sind lediglich Wanddekorationen.
Als musikalischer „Audio Guide“ führen Sie also durch das 17. und 18. Jahrhundert. Was ist das Besondere an der Barockmusik und weshalb haben Sie sich darauf spezialisiert?
Es ist die Direktheit, mit der die Musik ausgedrückt wird. Die Barockmusik basiert immer auf Sprache – auch wenn es nur Instrumentalmusik ist. Wie eine rhetorische Rede ist sie nach ganz festen Regeln aufgebaut. Dabei weiß der Rhetoriker genau, welche Stilmittel er verwenden muss, um die Zuhörenden zu gewinnen. Die gesamte Epoche fasziniert mich. Natürlich hatte sie auch schlechte Seiten, es war die Zeit des Absolutismus’. Aber wie sehr Kunst an den Höfen und von der Kirche gefördert wurde, ist beeindruckend. Wenn man etwa am Hof von Ludwig XIV. gespielt hätte – das muss der Wahnsinn gewesen sein!
Schon als Student tourte Pramsohler im Orchester unter Simon Rattle durch ganz Europa. Heute verfolgt er eine Karriere als Solist.
Zurück ins 21. Jahrhundert – wird Ihrer Meinung nach, Kunst heutzutage zu wenig gefördert?
Sicherlich wird sie zu wenig gefördert – vielleicht aber nicht weniger als zu anderen Zeiten. Dabei ist die Kunst viel zu wichtig, um sie nicht zu fördern! Ich bin immer skeptisch bei Dingen, wo man Musik cool zu machen versucht, damit sich mehr Leute dafür interessieren. David Garrett etwa liegt sicherlich nichts daran, die Geige zu promoten. Das ist nur Oberfläche. Er kann Geige spielen und will damit Geld verdienen. Mit irgendwelchen Marketingexperten versucht man eine Marktlücke zu finden. Ob das zu hart gesagt ist? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall kommt die Musikförderung eben oft zu spät. Museen und Kino haben es irgenwie geschafft, 'cool' zu werden und sich in den Mainstream einzufügen. Musik machen und Musik hören zu lernen, sollte bereits in der Schule viel mehr gefördert werden, damit die Leute verstehen, wie wichtig sie ist.
Vom Verkaufskonzept eines David Garrett distanzieren Sie sich klar. Wie wichtig ist es aber auch für Sie als Musiker, sich zu vermarkten?
Das ist natürlich sehr wichtig und etwas ganz Neues für mich, woran ich mich erst gewöhnen muss. Seit meiner Solo-CD habe ich eine PR-Agentur, die ein Image aufzubauen versucht. Am Anfang dacht’ ich mir: „Nein, um Gottes Willen!“ Jetzt weiß ich, es ist wichtig – aber mit Vorsicht zu genießen. Für Fremde ist es sehr leicht von außen zu sagen, wir machen das oder jenes aus dir. Für mich ist meine Musik das Wichtigste. Wenn man diese dadurch noch mehr promoten kann, indem man mich promotet, dann nehme ich das eben in Kauf. Teilweise kommt aber schon Lustiges hereingeflattert. Ich bekomme schon mal Anfragen von Modelabels, für Kataloge zu modeln und habe Interviews mit Lifestyle-Magazinen. Da muss ich dann immer zweimal überlegen! (lacht)
In London haben Sie zwei Jahre lang an der „Guildhall School for Music and Drama“ studiert. Die Schule hat schon Schauspieler wie Daniel Craig (James Bond) oder Orlando Bloom (Herr der Ringe) hervorgebracht. War die renommierte „Guildhall“ das Sprungbrett für Ihre Karriere?
Ich habe ein Probespiel an der „Royal Academy“ und an der „Guildhall School“ gemacht – beide hätten mich genommen. Die Musikabteilung ist vielleicht in der „Royal Academy“ sogar besser, mich hat aber die „Guildhall“ als Ort fasziniert, wo sich Schauspieler und Musiker begegnen. Um dieses Potenzial voll zu nutzen, war ich vielleicht zu wenig lange dort. Orlando Bloom habe ich leider verpasst, weil er ein paar Jahre älter ist als ich – dafür habe ich aber seine jüngere Schwester kennengelernt. (lacht)
Von „Sprungbrett“ kann nicht die Rede sein. Meine spätere Lehrerin hatte an der Schule unterrichtet und dadurch habe ich die Barockmusik für mich entdeckt. Nach den zwei Jahren in London ging ich nach Paris. Irgendwann habe ich für ein Orchester vorgespielt und wurde genommen. Damals schon hatte ich sehr viele Engagements und brach das Studium ab – auch weil mein damaliger Lehrer nicht so gut war. (lacht) Ich habe nie viel geplant, habe einfach immer viele Sachen gemacht. Irgendetwas funktioniert einfach besser als das andere und so geht man eben in eine Richtung.
Wie sieht Ihrer Meinung nach das Zusammenspiel zwischen Disziplin und Talent bei einem erfolgreichen Musiker aus?
Mit Disziplin, glaube ich, kann man es fast weiter bringen als mit Talent. Aber die Frage ist, was Sie unter „Talent“ verstehen. Einmal gibt es das technische Talent. Dass man etwa eine Geige in die Hand nimmt und sofort weiß, wie man sie spielt. Das andere ist das musikalische Talent oder der Ausdruckswille. Wenn man nur die Töne richtig spielt, kann man vielleicht bei einem Schnelligkeitswettbewerb gewinnen, aber für die Zuhörer ist man damit auf lange Sicht nicht sehr interessant. Die wichtige Hand bei der Geige ist die rechte – ich bin Linkshänder. Um das zu kompensieren, muss ich vielleicht mehr üben als ein Rechtshänder.
Seit wann spielen Sie Geige und warum gerade dieses Instrument?
Die Musik hat immer schon zu meiner Familie gehört. Mein Vater ist Direktor an der Musikschule in Sterzing. Er sagte zu meinen zwei Brüdern und mir: „Blasinstrumente könnt ihr auch später noch lernen. Bei Streichinstrumenten muss man früh anfangen.“ Also habe ich mit fünf Jahren mit dem Geigespielen begonnen. Damals hab’ ich nicht groß nachgedacht, es war ganz logisch, dass wir zweimal in der Woche in die Musikschule gegangen sind.
Heute spielen Sie auf Reinhard Goebels ehemaliger Pietro Giacomo Rogeri (Brescia 1713). Haben Sie eine besondere Beziehung zu Ihrer Geige?
Für mich ist es im wahrsten Sinne des Wortes ein Instrument. Ich kenne natürlich ihren Wert. Das ist wichtig, damit ich sie nicht verliere oder kaputt mache (lacht). Falls ich sie irgendwann nicht mehr spielen kann, habe ich kein Problem, mich von ihr zu trennen. Manche bauen eine bestimmte Beziehung auf, das stimmt. Bei mir ist das zwar etwas anders, aber natürlich ist es inspirierend, wenn eine Geige so toll klingt wie meine. Man übt und spielt lieber damit und sie zeigt ganz neue Möglichkeiten auf. Ich besitze zwei Geigen. Davon ist eine immer im Gepäck.
Wie wertvoll ist eine solche Geige?
Naja, man muss sich die Frage stellen: Kauft man ein Haus – oder kauft man eine Geige?
Sie haben sich für die Geige entschieden.
Ja, vergleichbar mit einem Haus in schöner Lage (lacht). Die zahlt man dann sehr lange ab. Alte Geigen sind eben eine große Investition. In dem Sinn hängt man dann doch an der eigenen Geige – obwohl sie versichert ist.
Der junge Musiker hat ein Faible für Orte wie Dresden mit unendlich großen Bibliotheken und Kompositionen, die noch nicht vertont wurden.
Als Violinist haben Sie etwa im Orchester unter Simon Rattle in allen großen Häusern Europas gespielt. Im Barockorchester der Europäischen Union hatten Sie eine leitende Position inne. Was war Ihr bisher größter Erfolg?
Der Erfolg meiner CD. In der ersten Woche haben wir allein in Deutschland 2000 Exemplare verkauft. Das Label war total beeindruckt – die hatten ja nur 2000 Stück pressen lassen. Online waren die CDs schon am ersten Tag ausverkauft. Das war eine wahnsinnig tolle Überraschung. Auch negative Kritiken blieben aus. Sowas hätte ich mir überhaupt nicht erwartet. Barock ist ja eine Nische in der klassischen Musik, welche selbst wiederum eine Nische ist. Die Musik auf der CD ist sehr virtuos, aber keine schwere Musik, keine sechzig Minuten Bach oder so. Sie eignet sich auch fürs Auto. (lacht) Selbst kann ich sie zurzeit noch nicht anhören. Bis zum Umfallen habe ich mir jeden Takt immer und immer wieder angehört. Jetzt noch denke ich mir an gewissen Stellen: „Das hätte ich anders interpretieren können“. Jedenfalls ist der Erfolg meiner CD für mich eine Bestätigung, dass der Weg der richtige ist.
Wie sehen Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Zurzeit sind viele Interviews angesagt – darunter ein Live-Auftritt beim britischen TV-Sender BBC in London. Ende Mai wird die CD im Londoner Club „Shoreditch House“ vorgestellt. Für eine Woche bin ich dann in Lissabon, wo ich gemeinsam mit dem englischen Orchester „The King’s Consort“ spiele. Danach geht’s für ein paar Tage nach Paris, Straßburg und Köln. Mal trete ich als Solist, mal mit Orchester oder kleineren Gruppen auf. Im Moment mach’ ich irgendwie alles. Das sind lauter gute Erfahrungen – aber ich möchte am liebsten nur noch meine eigenen Sachen machen. Deshalb habe ich auch das „Ensemble Diderot“ gegründet. Im Herbst sind die ersten Aufnahmen mit dem Ensemble geplant. Ende des Jahres werde ich schließlich meine erste Solo-CD aufnehmen.
Interview: Alexandra Hawlin
Fotos: Paul Foster-Williams