"Nach Oxford kam ich eigentlich durch puren Zufall."
Alexandra Braun ist Juristin und arbeitet seit 9 Jahren als Dozentin an der Universität von Oxford. Im Südstern-Interview erzählt sie vom Studentenleben an der Elite-Universität, ihren aktuellen Forschungsprojekten und gibt Einblicke in die komplexe Welt der Trusts.
Die Universität Oxford ist als mittelalterliche Elite-Universität weithin bekannt. Was macht das Leben und den Unterricht dort so besonders?
Der Unterricht in Oxford basiert nicht nur auf Vorlesungen und Seminaren, sondern hauptsächlich auf Tutorials. Darunter versteht man den Unterricht in kleinen Gruppen von bis zu drei Studenten. Die Studenten erhalten am Anfang des Trimesters eine „Leseliste“ (reading list) und müssen das angegebene Material vor jedem Tutorial lesen. Zusätzlich müssen sie wöchentlich ein Essay schreiben, welches sie normalerweise am Tag vor dem Tutorial abgeben. Der Unterricht in solch kleinen Gruppen erlaubt es den Studenten, ihre Fragen und Gedanken in einem kleinen Kreis und im Detail zu erörtern und ihre eigenen Standpunkte besser zu entwickeln. Für die Dozenten bieten die Tutorials eine wunderbare Möglichkeit, die Studenten und ihren Blick auf das gegebene Unterrichtsfach zu formen und sie bei ihrer fachlichen und persönlichen Entwicklung zu begleiten. Persönlich finde ich das ein großes Geschenk, auch wenn viel Arbeit dahinter steckt.
Was das Leben angeht, lernt man in Oxford sehr viele interessante Menschen kennen, die in ganz unterschiedlichen Bereichen forschen und aus verschiedenen Ländern und kulturellen Hintergründen stammen. Das empfinde ich als sehr inspirierend und bereichernd.
Was hat Sie dazu bewogen, Jura zu studieren?
Ich wollte ursprünglich Journalistin werden, habe mich aber auch für viele andere Fachrichtungen interessiert wie etwa Wirtschaftsgeografie, Pädagogik, Psychologie usw. Mit anderen Worten, ich war lange unentschlossen. Am Ende habe ich mich dann für Jura entschieden, weil das Studium Türen öffnet und viele interessante Einblicke verschafft. Für die Wissenschaft an sich habe ich mich erst im Laufe des Studiums, und vor allem während der Promotionszeit richtig begeistern können. Im Nachhinein sehe ich, dass es das richtige Fach für mich war.
Wie kamen Sie nach Oxford?
Nach Oxford kam ich eigentlich durch puren Zufall. Ich meine damit, dass es nie mein Ziel gewesen ist, in Oxford zu arbeiten. Um meine Dissertation zur Entwicklung der Rechtwissenschaft in England und ihrer Beziehung zum Richterrecht fertigzustellen, war ich öfters in Oxford, um dort zu recherchieren. Dabei bin ich auf Stellenangebote gestoßen, und irgendwann habe ich mich einfach beworben und es hat geklappt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich auch keine Pläne in Oxford zu bleiben, sondern wollte einfach einige unterrichtsfreie Jahre genießen, um nur Forschung zu betreiben. Aber dann ist alles anders gekommen...
Sie beschäftigen sich unter anderem mit Trust-Konstruktionen. Diese gerieten in der letzten Zeit vermehrt in Negativschlagzeilen, da sie mit den Cayman Inseln, Geldwäsche und Steuerhinterziehung in Verbindung gebracht werden. Was ist überhaupt ein Trust?
Trusts haben immer schon einen Schwerpunkt meiner Forschung und meines Unterrichts dargestellt. Dabei ist es sehr schwierig Trusts zu definieren, gerade weil sie so vielfältig sind und keinem Rechtsinstitut, das wir auf dem Kontinent kennen, völlig entspricht. Mit der Definition tun sich sogar die Common Lawyers schwer und weichen der Frage oft aus, indem sie die Funktionen des Trust betonen.
Man kann sagen, dass ein Trust eine Rechtsbeziehung darstellt, durch die Vermögensbestandteile eines Settlors zugunsten eines Begünstigten oder für einen bestimmten Zweck abgesondert und der Verwaltung eines Trustees unterstellt wird. Dabei ist ausschlaggebend, dass die Vermögensbestandteile ein Zweckvermögen darstellen, das Ansprüchen von Gläubigern des Trustees entzogen ist. Mit anderen Worten, der Begünstigte ist vor dem Tod, vor Insolvenz, aber auch vor familienrechtlichen Problemen des Trustees geschützt. Die dahinter stehenden Ziele können sowohl vermögensrechtlicher als auch sicherheitsrechtlicher Natur sein.
Es stimmt, der Trust hat keinen guten Ruf. Oft wird er mit Steuerhinterziehung in Bezug gebracht. Ansonsten wirft man ihm vor, dass den Gläubigern des Settlors Vermögen entzogen wird. Zum Teil stimmt es natürlich, dass steuerliche Gründe eine Rolle spielen, aber Vieles von dem, was gesagt wird, entspricht nicht ganz der Wahrheit, zumindest nicht in Europa. Gerade in Italien hat es sich erwiesen, dass der Trust ein äußerst interessantes und flexibles Instrument darstellt, das in vielen Bereichen eingesetzt werden kann, wo das geltende Recht keine Lösungen oder weniger günstige Lösungen bietet. Man denke insbesondere an den Trust zugunsten von behinderten Kindern oder Menschen, die an Demenz leiden, an Trusts zur Regelung der Übergabe von Familienunternehmen, oder auch an den Trust zum Schutze des Vermögens in der Trennungs- oder Scheidungsphase eines Paares. Daneben gibt es dann noch viele Einsatzmöglichkeiten im wirtschaftlichen Bereich.
Zudem bin ich der Meinung, dass viele Rechtsinstitute oder Rechtsnormen an sich missbraucht werden und für mehr oder weniger legale Zwecke verwendet werden können. Das gilt auch für das Vertrags- und das Gesellschaftsrecht. Persönlich bin ich dafür, den Trust nur dort einzusetzen, wo kein anderes Rechtsinstitut eine ideale Lösung bietet und wo von vornherein feststeht, dass der Zweck nicht darin liegt, Gläubiger oder Familienmitglieder zu hintergehen. Dass nicht alle so denken, kann man leider nicht verhindern. Aber die italienischen Gerichte sind wie die englischen Gerichte sehr streng, und erklären den Trust für nichtig, wenn ein solcher Verdacht besteht.
Auch in Südtirol ist in den letzten Jahren das Interesse am Trust gestiegen, und einige Banken aber auch Notare und Wirtschaftsberater sowie Anwälte erkennen heute Nützlichkeit und Vielfältigkeit des Trust. Ich glaube aber, dass im Trust noch mehr Potenzial steckt und dass es gerade in Südtirol viele interessante Anwendungsbereiche gibt, die noch nicht zur Genüge erörtert worden sind.
Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß im Hinblick auf den sich abzeichnenden demografischen Wandel?
Das ist eine schwierige Frage. Wenn Sie damit das gesetzliche Erbrecht meinen, dann würde ich in der Tat sagen, dass es nicht mehr zeitgemäß ist, zumindest nicht in Italien. Es sieht zum Beispiel keinen Schutz für nichteheliche Lebenspartner vor, und es hält generell an einer Idee von Familie fest, die inzwischen nicht mehr der Realität entspricht. Man darf nicht vergessen, dass es heute neue Familienkonstruktionen gibt, gerade auch deshalb weil die Ehe keine lebenslange Institution mehr darstellt, die Lebenserwartung drastisch angestiegen ist und die soziale Mobilität größer ist. Es gibt aber auch Veränderungen in der Zusammensetzung des Vermögens, die das Erbrecht vor neue Herausforderungen stellen.
Wie hat sich das Common Law entwickelt und wie unterscheidet es sich vom italienischen Recht?
Das ist eine komplexe Frage, die sich nicht so leicht in wenigen Zeilen beantworten lässt. Aber ich werde es versuchen.
Unter Common Law versteht man in erster Linie das Recht, das sich durch richterliche Rechtsfortbildung entwickelt hat. Das Common Law unterscheidet sich vom italienischen Recht hauptsächlich dadurch, dass es nicht kodifiziert ist und sich vor allem auf Richterrecht, das heißt Präzedenzfälle, stützt. In Wirklichkeit spielt die Gesetzgebung trotzdem eine wichtige Rolle, aber eben eine andere als auf dem Kontinent.
Natürlich gibt es außer dem unterschiedlichen Zusammenspiel der Rechtsquellen noch viele weitere Unterschiede zwischen Common Law und italienischem Recht, etwa bezüglich der Klassifizierung des Rechts, der Ausbildung von Juristen, des Entscheidungsstils der Urteile, der sozialen Stellung von Richtern und Akademikern etc. Trotzdem zeigt gerade die Rechtsvergleichung, dass die beiden Rechtskreise, Common Law und Civil Law, doch nicht so unterschiedlich und so weit von einander entfernt sind.
Woran forschen Sie derzeit?
Im Moment forsche ich an zwei größeren Projekte, beide im Bereich des Erbrechts. Ein Buchprojekt befasst sich mit Erbversprechen und deren Rechtsfolgen. Schon seit der römischen Zeit hat das Recht Schwierigkeiten mit Schenkungsversprechen und insbesondere mit Versprechen, ein zukünftiges Testament auf eine gewisse Weise zu errichten, gehabt. Nichtsdestotrotz äußern Erblasser solche Versprechen, um andere zu bewegen, darauf zu vertrauen. Es passiert zum Beispiel immer wieder, dass ältere Menschen dem eigenen Kind (oft der Tochter) versprechen, dass sie ihm das Haus „vermachen“, wenn es verspricht, ihre Eltern im Alter zu pflegen. Häufig ist es auch so, dass ein Hofeigentümer dem Hofarbeiter oder dem Sohn den Hof verspricht. Probleme entstehen vor allem dann, wenn der Empfänger des Versprechens im Vertrauen auf das Versprechen handelt, das Versprechen aber nicht eingehalten wird. Das Buch befasst sich mit der Frage, wie Richter und Gesetzgeber mit informellen und oft mündlichen Erbversprechen oder Zusagen umgehen, und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt, wenn das Versprechen gebrochen wird. Dabei schaue ich mir sowohl italienisches, französisches und deutsches Recht als auch englisches, kanadisches, australisches und neuseeländisches Recht an.
Das zweite Projekt befasst sich mit sogenannten „will-substitutes“, das sind Instrumente die dem Testament ähnlich sind, weil sie eine Übergabe zum Zeitpunkt des Todes ermöglichen, aber normalerweise nicht dem Erbrecht unterliegen. In England werden darunter hauptsächlich Lebensversicherungen (das heißt Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall), private Pensionen, gemeinsame Bankkonten, Trusts etc verstanden. Dazu gibt es schon einige Studien, die sich aber alle mit dem amerikanischen Recht auseinandersetzen. Im Moment weiß man deshalb noch sehr wenig darüber, welche Instrumente in England und generell in Europa bevorzugt werden, und aus welchen Gründen. Zudem sind die Auswirkungen auf Dritte und die ganze Erbverwaltung weitgehend unerforscht. Dieses Projekt dient also erstens dazu, eine Bestandsaufnahme der Vermögensübergabe außerhalb des Erbrechts zu erstellen, aber auch Parallelen und Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern in Europa und darüber hinaus zu ergründen.
Erste Resultate werden im Rahmen einer Konferenz vorgestellt, die Ende März 2015 in Oxford stattfinden soll und die ich gemeinsam mit Professor Anne Röthel von der Bucerius Law School in Hamburg organisiere.
Es heißt gemeinhin, dass England ohne das regnerische Wetter nicht so viele große Denker hervorgebracht hätte. Was ist Ihre persönliche Triebfeder?
Es kann gut sein, dass das Wetter eine Rolle spielt, und natürlich trägt auch die besondere Stimmung Oxfords bei. Meine persönliche Triebfeder ist aber wohl eher meine Leidenschaft für die Rechtswissenschaft und für die Rolle, die das Recht für unser Leben spielt, sowie die Neugierde immer wieder Neues zu lernen und das Bedürfnis, den Dingen auf den Grund zu gehen. Als Forscher lernt man alles zu hinterfragen und sich neuen Herausforderungen immer wieder zu stellen. Das ist spannend. Langweilig ist mir eigentlich nie.
Gibt es etwas, das Sie an Südtirol vermissen? Kommen Sie oft dorthin zurück?
Ich fahre so oft wie möglich nach Südtirol. Ich vermisse natürlich meine Familie und Freunde, aber auch die Natur und ganz besonders die Berge. Und zu Speck oder Buchteln mit Vanillesoße sage ich auf keinen Fall nein.
Was lieben, was hassen Sie an der Südtirolerin in Ihnen?
Natürlich sehe ich an mir Eigenschaften die ich mag und andere die mich eher stören aber nachdem ich seit über zwanzig Jahren außerhalb Südtirols lebe, erst in Ligurien und nun seit zehn Jahren in England, fällt es mir etwas schwer zu sagen, welche dieser Eigenschaften direkt mit Südtirol in Verbindung gebracht werden können. Vielleicht dass ich sehr bodenständig aber auch sehr stur bin?
Was wünschen Sie sich am meisten für Südtirol?
Für Südtirol wünsche ich mir, dass es die Traditionen weiterhin pflegt, aber trotzdem offen ist gegenüber anderen Kulturen und Sprachen. Insbesondere wünsche ich mir, dass ein friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen weiterhin möglich ist und dass sich dies mit der Wahrung eigener Identität vereinbaren lässt, ohne dabei einer wahren Integration im Wege zu stehen.
Was meinen Arbeitsbereich betrifft, wünsche ich mir, dass Südtirol einen besonderen Schwerpunkt der eigenen Politik auf die Förderung von Ausbildung, Forschung und Wissenschaft legt.
Redaktion: Verena Platzgummer und Alexander Walzl