"Dem Start-up Umfeld stehe ich mittlerweile leicht zwiespältig gegenüber."
Matthias Fill hat nach seiner Promotion an der ETH im Fach Physik ein High-Tech Startup gegründet, welches 2013 vom britischen Unternehmen Camlin übernommen wurde. Im Südstern Interview gibt er spannende Einblicke in das Start-up-Ökosystem Schweiz und das Gründerdasein.
Was hat Sie dazu bewogen, ein Startup zu gründen?
Ich hatte nicht den Plan ein Unternehmen zu gründen. Vielmehr hatte ich das Glück während meiner Doktorarbeit an der ETH Zürich an einer Technologie zu arbeiten, welche das Potenzial einer kommerziellen Umsetzung zeigte. Normalerweise befassen sich Forschungsthemen in der Physik vor allem mit Grundlagentechnologien, welche meilenweit von einer kommerziellen Nutzung entfernt sind. So war es anfangs auch bei mir. Doch aus der Halbleiterforschung entwickelte sich ein mögliches Produkt. Als "wir" dies erkannten, haben "wir" uns entschlossen, mit Unterstützung der ETH Zürich ein Start-up zu gründen. Mit "wir" sind neben mir noch 2 weitere Arbeitskollegen aus der Forschungsgruppe gemeint.
Womit befasst sich Camlin Technologies Schweiz und auf welche Faktoren führen Sie Ihren Erfolg zurück?
Ich muss hier erwähnen, dass ich 2011 die Firma Phocone mitgegründet habe, welche Ende 2013 vom britischen Unternehmen Camlin übernommen wurde. Wir entwickeln und produzieren Laser für die Detektion – also Erkennung – von Gasen. Diese Messmethode ist schon seit Langem bekannt und ist nicht Neues. Wir liefern jedoch einen neuartigen Laser, der die Messmethode deutlich vereinfacht. Unser Erfolg besteht aus technischer Hinsicht darin, dass wir auf andere Halbleiter setzen, als unsere Konkurrenz. Zudem stimmt die Chemie zwischen uns drei Gründern und wir ergänzen uns sehr gut.
Auf welche Schwierigkeiten sind Sie gestoßen und was möchten Sie Neugründern an Hilfestellung mit auf den Weg geben?
Als Gründer muss man sich darauf einstellen, dass nur die wenigsten Probleme voraussehbar sind. Wir hatten Mühe liquide zu bleiben – also Umsatz zu generieren und Investoren zu überzeugen – und die Entwicklung weiter voranzutreiben. Dabei ist man auf verschiedenen Fronten stark gefordert und muss die wenigen Ressourcen sehr gezielt einsetzen. Sehr wichtig ist es zudem, frühzeitig mit potenziellen Kunden zu sprechen. Nur dadurch erkennt man deren Ziele und Anforderungen. Große Konzerne durften z. B. nicht unser Produkt kaufen, da unser Herstellungsprozess nicht zertifiziert ist. Solche Dinge erfährt man nicht, wenn man in seinem Labor bleibt.
Wie steht es um das Start-up-Ökosystem in der Schweiz?
Die Schweiz ist sich bewusst nicht über den Preis mit dem Ausland konkurrieren zu können, sondern einzig über Know-how und Qualität. Start-ups sind der Keim von vielen Innovationen, welche eine große Wertschöpfung bedeuten können und nur schwer von anderen zu kopieren sind. Somit lassen sich auch hohe Löhne dauerhaft rechtfertigen. Die Schweiz fördert Start-ups sehr stark. Dies beginnt bei der Universität, welche uns Räumlichkeiten günstig zur Verfügung stellte und endet bei vielen Organisationen, welche Start-ups auch finanziell fördern. Durch die hohe Millionärsdichte in Zürich ist zudem auch die Investorensuche einfacher.
Welche Bedeutung messen Sie dem Start-up-Umfeld bei und wie ist es Ihrer Meinung nach um die Innovationskraft in Südtirol bestellt?
Dem Start-up Umfeld stehe ich mittlerweile leicht zwiespältig gegenüber. Einerseits ist es ungeheuer spannend eine eigene Firma zu gründen, ein Produkt zu lancieren und mit vielen Entscheidungsträgern auf Augenhöhe sprechen zu können. Auf der anderen Seite verspürt man auch einen großen Druck. Einerseits durch Investoren, welche einem - auch zu Recht – sehr genau auf die Finger schauen. Andererseits durch sich selbst, da man so rasch als möglich ein Produkt vorzeigen möchte und deshalb sehr lange Arbeitszeiten auf sich nimmt. Für mich ist ein Familienleben und der Aufbau eines Start-ups kaum vereinbar. Glücklicherweise habe ich mit 27 Jahren das Unternehmen mitgegründet und musste nicht entscheiden, ob ich den Abend lieber mit meinem Sohn oder im Labor verbringen sollte. Man sollte nicht vergessen, dass deutlich mehr als 50 % der Start-ups nicht überleben und somit die vielen Arbeitsstunden bei geringem Lohn oft umsonst waren. Über die Innovationskraft in Südtirol bin ich leider nicht sehr gut informiert. Wir haben Weltmarktführer wie Leitner, Durst oder TechnoAlpin und Forschungs- und Entwicklungszentren wie EURAC oder TIS, welche ohne Zweifel große Innovationstreiber sind. Ich kann jedoch auch beobachten, dass sehr viele Freunde und Bekannte um die 30, welche studiert haben, nicht in Südtirol arbeiten. Dadurch geht Südtirol sehr viel Innovationskraft verloren, welche die Südtiroler Wirtschaft diversifizieren und somit stärker werden ließe. Hier sollte Südtirol stärkere Anstrengungen unternehmen, um Hochqualifizierten angemessene Arbeitsplätze anbieten zu können. Dies käme der gesamten Wirtschaft zugute.
Was würden Sie einem jungen Südtiroler, der ein Physikstudium in Erwägung zieht, raten?
Physik interessiert im Grunde jeden. Wer will denn nicht wissen, wieso die Erde um die Sonne kreist, oder was am CERN in Genf erforscht wird. Doch kaum werden Formeln verwendet, um all dies zu erklären, wenden sich die meisten Menschen ab. Mathematik ist jedoch die “Sprache” der Physik, doch man sollte sich dadurch nicht einschüchtern lassen. Die ersten Mathematikvorlesungen im Physikstudium sind trocken und hart. Sind sie jedoch überstanden, ist das Physikstudium nicht viel schwerer als alle anderen Studienfächer auch. Wen Physik interessiert, der kann es auch studieren.
Womit beschäftigen Sie sich gerade?
Ich beschäftige mich vor allem damit unseren Produktionsprozess zu vereinfachen. Als Physiker bin ich dafür nicht gerade geeignet, doch die Herausforderung gefällt mir. Zudem bin ich auch noch stark in die Weiterentwicklung des Lasers involviert.
Welche Projekte haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?
Größere berufliche Projekte für die Zukunft habe ich zurzeit keine geplant. Privat erwarten meine Frau und ich unser zweites Kind. Dies wird das größte Projekt dieses Jahr!
In Europa herrscht noch Skepsis gegenüber dem Fracking-Verfahren. Ist Fracking die saubere Zukunft der Energieversorgung?
Ich bin für eine fachliche Beantwortung dieser Frage absolut ungeeignet. Persönlich bin ich jedoch gegen Fracking. Erstens führt dies dazu, dass immer mehr fossile Energieträger verfeuert werden, da bisher nicht zugängliche Ressourcen angezapft werden können. Somit fällt der Ölpreis und der Umstieg auf regenerative Energieformen – Sonnenenergie oder Wasserkraft - wird verzögert. Zweitens wird beim Fracking ein Gemisch aus über 40 Chemikalien in die Erde gepumpt, welche zum Teil hochgiftig sind. Die Betreiber versichern, dass Ton- oder Lehmschichten das Grundwasser von der giftigen Brühe trennen, doch es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis irgendwo das Trinkwasser der Bevölkerung für Jahrzehnte verschmutzt sein wird- und dies für ein paar Fässer Rohöl.
Die Daten von immer kostengünstigeren und präziseren Sensoren können durch die Verarbeitung von Big Data ausgewertet werden. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen und Risiken?
Auch für diese Frage bin ich ein Laie und kann nur meine persönliche Meinung abgeben. Zweifelsohne werden in Zukunft immer mehr Sensoren unser Leben vermessen und auswerten. Dies kann für den Konsumenten angenehm sein, da z. B. ein Feuchtigkeitssensor davor warnt, die Blume vertrocknen zu lassen. Doch es besteht die Gefahr, dass daraus auch ein Zwang zur Überwachung entstehen kann. Autoversicherungen haben bereits angefangen Prämienvergünstigungen auszugeben, wenn man damit einverstanden ist, einen Fahrtenschreiber ins Auto einbauen zu lassen. Dieser zeichnet ständig auf wo und wie schnell wir uns bewegen. Man wird also zum gläsernen Menschen. Ähnliches ist bei Krankenversicherungen auch denkbar, wenn in Zukunft Sensoren für Krankheiten in den Körper eingepflanzt werden können. Dann würde die Krankenversicherung plötzlich für eine Person teurer, wenn diese z. B. zu viel Kaffee trinkt. Davor graut es mir.
Wie verbringen Sie Ihre Freizeit in Zürich?
Ich bin in absolut kein Stadtmensch. Ich verbringe die Freizeit am See, im nahe gelegenen Wald oder beim Fahrradfahren. Zürich ist eine recht übersichtliche Stadt mit einer wunderschönen Umgebung. Ich wohne gerne hier.
Was wünschen Sie sich für Südtirol?
Für Südtirol wünsche ich mir mehr Offenheit und ein wenig mehr Ehrgeiz. Wir sollten uns nicht ständig darauf konzentrieren mehr Touristen zu beherbergen und mehr Äpfel zu ernten – also ständig mehr vom gleichen zu tun. Südtirol sollte neugieriger auf Neues sein und dabei auch mehr wagen. Dazu gehört auch den globalen Vergleich anzustreben, und sich nicht bloß mit den restlichen Regionen Italiens zu messen. Zudem sollten wir unseren Wohlstand zu schätzen wissen. Südtirol geht es derart gut, dass wir mehr für Bedürftige (z. B. Flüchtlinge) machen könnten. Leider gewöhnen sich Menschen rasch an ihren Wohlstand, sodass oftmals bereits dann geschimpft wird, wenn jemandem Beiträge des Landes gekürzt werden. Man sollte stattdessen froh sein, dass das Land Südtirol überhaupt Beiträge vergeben kann.
Interview: Alexander Walzl