Der Cityroller in Paris

Freitag, 20.11.2015

Vor genau einer Woche hat eine Terrorserie in Paris die ganze Welt erschüttert. Einige Tage zuvor habe ich mit Andreas Kofler ein Interview geführt, in dem er sein Viertel und einige der nun Schauplätze des Grauens beschreibt. So wie vor den Anschlägen, werden sie auch weiterhin, wenn nicht umso mehr, für ein tolerantes und multikulturelles Paris stehen. Aus diesem Grund haben wir uns dazu entschlossen, den Beitrag in ungekürzter Form zu veröffentlichen.


Place de la République



Meine Stadt ist: 
Paris, Frankreich



Mein Lieblingsrestaurant:
 Obwohl sie lange schon kein Geheimtipp mehr sind, mag ich nach wie vor das Chateaubriand und das benachbarte Dauphin (129 und 131, avenue Parmentier): Beide werden vom baskisch-französischen Autodidakten Inaki Aizpitarte geführt. Da ich gleich gegenüber wohne, kann ich persönlich bestätigen, dass der Chef wirklich jeden Tag vor Ort ist. Paris ist aber nicht nur das Epizentrum der französischen Gastronomie: Die Pariser lassen sich mit fast saisonaler Frequenz von regelrechten Food-Trends anstecken. Das waren in der Vergangenheit etwa das vietnamesische Bobun, Buratta aus Apulien oder Pizza al taglio. Dazu kommen zahlreiche Gastronomieadaptationen im Bereich Fast Food wie Fish and Chips und Kebab. Burger sind schon seit Langem restauranttauglich und die Hipstergeneration liebt veredelte Foodtrucks. Man isst oft auch sehr gut in und um die Markthallen (Marché des Enfants Rouges, Marché Saint-Martin und Saint-Quentin). Wer bei leidenschaftlichen, jungen Chefs essen möchte, dem dürfte der "Anti-Michelin“ Restaurantführer “Fooding" sicherlich der beste Wegweiser sein.


Chef Inaki Aizpitarte auf dem Cover von Fool Magazine


Hier gibt’s den besten Kaffee: Das Wiederaufkommen des Filterkaffees in Paris ist sicherlich in Parallele zu den bereits erwähnten Gastronomie-Trends zu verstehen. Seit ein paar Jahren haben sich zahlreiche Jungunternehmer in Australien und den USA zu Kaffee-Ayatollahs ausbilden lassen und kleine von Hipstern bevölkerte Coffeeshops eröffnet. Eines der Ersten, und mein persönlicher Favorit, ist das Ten Belles (10, rue de la Grange aux Belles). Der ehemalige Besitzer des Cafés hat mittlerweile eine Rösterei mitbegründet (Belleville Brûlerie), die mittlerweile um die 30 Cafés in Paris beliefert. Wer allerdings einen guten Espresso möchte, sollte sich (so wie in Italien) ruhig zwischen Sofortlotterie und Pferderennen-Wettspieler und an den Tresen der zahlreichen Nachbarschaftscafés wagen.


Das Ten Belles


Der Ort, wo ich mich am besten entspannen kann:
 in der Region um Paris. In der Kernstadt, die ungefähr 2,2 Millionen Einwohner zählt und auf die sich (abgesehen von Versailles) alle Touristen und auch der Großteil der Arbeitswelt konzentrieren, bietet nicht unbedingt viel Raum zum Durchatmen. Die Metropolregion mit ca. 12 Millionen Einwohnern, bzw. die Île-de-France, ist hingegen viel weniger dicht besiedelt. Dort befinden sich viele Wälder und Gewässer, oft gesäumt von kleinen Schlössern. Um diese zu finden, empfehle ich das englischsprachige Buch “An Hour from Paris” von Annabel Simms. Es ist symptomatisch, dass dieser einzigartige Reiseführer von einer Britin verfasst wurde, denn die Pariser nutzen das Wochenende um der Großstadt meist viel, viel weiter mit TGV oder Flugzeug zu entfliehen. Allerdings wäre man in weniger als zwei Stunden in der Normandie und somit am Meer.


Nur eine Stunde von Paris: Das Inox-verkleidete Château Rentilly



Die totale Touristenfalle:
 Pigalle, schon per Definition. Trotzdem gibt es auch dort vor allem südlich des Boulevard de Clichy in letzter Zeit immer mehr zu entdecken. Oft SoPi genannt, ein Akronym für Süd-Pigalle, lässt sich dort die Gentrifizierung anhand der zahlreichen Lokale und Restaurants ablesen, die mit der Fast-Vergangenheit des Viertels spielen: Ein Beispiel wäre etwa das Hotel Amour (8, rue de Navarin). Die intellektuellere und begüterte Vergangenheit kann man hingegen metaphorisch mit einem Cocktail in der Hand im Le Carmen (34, rue Duperré) erleben: Die Bar befindet sich im Erdgeschoss des ehemaligen “Hôtel particulier“ von George Bizet.


Die wandel- und baufreudige neue Bürgermeisterin Anne Hildago.



Mein liebstes Fortbewegungsmittel in meiner Stadt:
 idealerweise eine Vespa: Diese kann man sich auch als Tourist relativ kostengünstig ausleihen. Die Leichtigkeit, mit der man sich in der ganzen Stadt, und nicht nur auf seiner Flusshälfte, von A nach B bewegen kann, ist unschlagbar. Ich denke, es ist auch die richtige Geschwindigkeit um die Fassaden der Stadt, die Boulevards und nicht zuletzt die Ufer der Seine genießen zu können – wohl wirklich so wie Nanni Moretti in “Caro Diario" Rom erlebt. Für den Berufsalltag hingegen bewährt sich eine Kombination aus “Vélib“ (ein öffentliches Fahrradverleihsystem) und Métro. Sich abends mal ausnahmsweise in ein Taxi zu setzen ist immer eine schöne Gelegenheit die Stadt zu genießen. Für gehfaule Touristen ist ein Bateau-Mouche auf der Seine sicherlich eine Wohltat.


Müder Besuch aus Südtirol: Koflers Eltern in Versailles.



Die schönste Zeit im Jahr:
 Herbst, aber wegen des bereits oft sehr grauen Wetters würden mir da nicht alle zustimmen. Ich glaube, man könnte mit Spätsommer oder Frühherbst einen Kompromiss finden. Anfang September kommen die Pariser so langsam aus ihrem Sommerurlaub zurück: Dieser Zeitraum wird auch “rentrée“ genant. Dieses Wort deklinieren die Franzosen gerne auf nahezu alle gesellschaftliche Bereiche: rentrée culturelle, rentrée politique, rentrée scolaire. De facto ist es aber die Zeit, in der eine gewisse Euphorie in der Stadt herrscht, da die Leute nach dem menschenleeren August wieder Lust haben in Paris zu sein. Schließlich ist in diesem Zeitraum das kulturelle Angebot besonders vielfältig. Einige Wochen später setzen dann schon das graue Wetter und die Winterdepression ein. Ich persönlich bin auch ein großer Fan der Journées du Patrimoine, die jedes Jahr am dritten Septemberwochenende stattfinden. Unter anderem kann man zu dieser Zeit den Élysée-Palast und etliche unzugängliche Palais, Sammlungen, Gärten und Untergrundtunnel besichtigen.



Ein herbstlicher Sonnenaufgang von Koflers Wohnung im sechsten Stock (ohne Lift)
.


Über diese sprachlichen Eigenheiten muss man Bescheid wissen: Mit „les toilettes, nicht la toilette“ werden Touristen gerne schikaniert. Ansonsten stimmt es wohl leider, dass die Franzosen nicht die besten Fremdsprachenkenntnisse mitbringen. Allerdings ist es eher ein Klischee, dass Franzosen auf fehlende Französischkenntnisse mit Unfreundlichkeit reagieren. Wichtig ist, dass man Verständigungsprobleme mit einer gewissen Ironie angeht. Auch die Madame-Monsieur-Floskeln in der Boulangerie sind meiner Meinung nach auf ein ähnliches Spiel aufgebaut. Wenn man hier herzieht, hat das Nichtenglischsprechen natürlich den Vorteil, dass man selbst viel schneller die Sprache erlernt.


Übernachtungstipps: 
Airbnb anstelle von überteuerten Hotels. Das Hotelangebot in Paris ist eher interessant, wenn man sich einen gewissen Luxus leisten kann. Hotels der Mittelklasse sind hingegen eher enttäuschend und weisen ein schlechtes Preis-Leistungs-Verhältnis auf. Airbnb hingegen hat ein großes Angebot und ist eine gut Art sich etwas mehr als Einheimischer auf Zeit zu fühlen. Touristen wollen oft unbedingt eine Unterkunft südlich der Seine: Die andere Flusshälfte ist allerdings weniger elitär und im Detail viel aufregender. Ich empfehle deshalb die Gegend um République, Canal Saint-Martin und Gare de l’Est. Wer hingegen wirklich die romantische Seite von Paris sucht, sollte sich in der Nordwestseite von Montmartre (Métro Lamarck – Caulaincourt) umsehen.


Was in keinem Reiseführer steht: 
Einige sagen, dass das bestgehütete Geheimnis von Paris das schlechte Wetter sei. In dieser Hinsicht ist Paris nicht London oder Brüssel, aber es gibt Zeiten, in denen sich die Wetterlage auf eine trübe Kondition zwischen gut und schlecht einpendelt. Man hat fast das Gefühl, in einer Tupperware-Box eingesperrt worden zu sein. Es gibt außerdem sehr regenreiche Wochen: Dann sollte man sich auf viele Museumsbesuche einstellen. Kurz vor Sonnenuntergang klart der Himmel auch an regenreichen Tagen über der ganzen Stadt für einen Moment auf.

Das besondere am Stadtbild sind: die verblüffende Regelmäßigkeit von Fassaden und Achsen. Sogar die Wälder um Paris teilen mit ihren geraden Wegen die Natur ähnlich wie die großen Boulevards die Stadt. Die lang gezogenen Schornsteine wie am Hôtel de Ville oder Schloss Versailles sind genauso typisch wie die Kupfermansardendächer der Wohnhäuser. Auch die alten überirdischen Trassen und Stationen der Metrolinie 2 oder 6 wirken wie Standbilder aus „Der letzte Tango in Paris“ . Eine wahre Pariser Besonderheit sind außerdem die vielen Grünlandschaften. Der Parc des Buttes-Chaumont ist dabei eine gute Alternative zum Jardin des Tuileries und dem Jardin du Luxembourg. Dieser ist ein beliebter Aufenthaltsort der Pariser und noch ein Geheimtipp unter Touristen.



Starke Zentralperspektive, kerzengerader Boulevard, kontinuierliche Fassade, dramatischer Sonnenuntergang: Paris


Andreas Kofler ist Architekt, Stadtplaner und Autor. Ursprünglich aus Meran, hat er in Madrid und Wien studiert und war seitdem unter anderem für Rem Koolhaas's OMA/AMO in Rotterdam und Dominique Perrault's DPA in Paris tätig. Seit 2013 arbeitet er mit Marcello Tavone unter dem Büronamen "Weltgebraus", und ist derzeit in Paris und Tokio ansässig.

Instagram: instagram.com/ndrskflr
Twitter: twitter.com/weltgebraus


Redaktion: Alexander Walzl

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