“Am Anfang steht immer eine krasse Idee”
Rapide Veränderung hat Südstern Elmar Mair in sieben Jahren als Entwickler von autonomen Fahrfunktionen und Robotiksystemen stets erlebt. Veränderung als Chance - darüber wird der gebürtige Brunecker beim diesjährigen Business Talk erzählen - und was Südtiroler Unternehmen davon lernen können. Südstern hat den 36-Jährigen vorab interviewt.
Viele Menschen haben Angst vor Veränderung. Was ist Veränderung für dich?
Ich bin in Südtirol aufgewachsen und habe in Österreich und Deutschland studiert. In Europa hat man vor etwas Neuem eher Sorge, oft sogar Angst. Die Menschen fühlen sich in ihrer Komfortzone wohl, es kostet Überwindung, diese zu verlassen. Kein Wunder, wir werden auch so erzogen: Bau dir ein Nest und mach es dir darin gemütlich! Als ich das erste Mal nach Amerika gekommen bin, habe ich das Gegenteil kennengelernt: Der gemeine Amerikaner denkt nicht oft voraus, er lebt im Moment und ist dabei nicht selten kurzsichtig unterwegs. Aber da ist auch eine anderen Seite: Amerikaner sind offen gegenüber Neuem, und das hat mich von Anfang an fasziniert.
Ein Beispiel?
In Europa isst man die Pizza, die man gerne hat und immer isst. Ein Amerikaner sagt: Ja, die Pizza dort schmeckt gut, aber in dem Lokal war ich schon, ich möchte etwas anderes probieren. Das klingt jetzt vielleicht banal, aber genau das ist der Grund, warum hier im Silicon Valley Innovation so gelebt wird. Die Leute kommen mit Ideen, die komplett verrückt sind. Sie müssen Kunden und die Gesellschaft nicht davon überzeugen, dass das gut ist. Es ist gewünscht, so an neue Dinge heranzugehen.
Und einfach ausprobieren, ob etwas funktioniert?
Genau. Wenn du einem Investor sagst, dass du ein Startup hattest, das nicht funktioniert hat, dann wird er sagen: sehr gut! Weil er weiß, dass du mit diesem Fehlschlag mehr gelernt hast, als wenn alles glatt gelaufen wäre. In Europa würde es heißen: Du bist ein Looser.
Nach Stationen bei Bosch und dem Startup Lucid Motors bist du nun Tech Lead & Manager bei X-The Moonshot Factory. Was genau machst du da?
Da muss ich ein bisschen ausholen (lacht). X-The Moonshot Factory ist eine Innovationswerkstatt von Alphabet, die zum Google-Konzern gehört. Ziel dieser Werkstatt ist, große Probleme und Fragestellungen der Menschheit grundlegend zu verbessern. Also Fragen zu lösen wie: Wie bringe ich Menschen von A nach B? Eines steht doch schon fest: Die Art und Weise, wie wir uns bewegen, wird sich ändern. Die Frage ist nur, auf welche Weise. Im Grunde geht es bei meiner Arbeit darum, dass am Anfang eine krasse Idee steht - und du nicht weißt, wie du sie umsetzen kannst.
Mobilität stand auch beim Startup Lucid Motors im Vordergrund, wo du an der Entwicklung selbstfahrender Autos gearbeitet hast. In Zeiten von Klimawandel und Umweltschutz - ist das Auto kein Auslaufmodell?
Menschen müssen sich von einem Ort zum anderen bewegen. Ganz abgeschafft wird das Auto in nächster Zeit sicher nicht. Aber die auf fossilem Brennstoff basierten Fortbewegungsmittel werden nicht überleben, Elektromobilität hingegen stark zunehmen. Ich glaube nicht, dass jeder einzelne in Zukunft noch ein Auto besitzen wird. Vielmehr werden Autos zirkulieren und die Menschen zusteigen. Bei Lucid Motors fand ich die Frage so spannend, wie das Auto der Zukunft ausschauen könnte und zwar losgelöst vom Erbe des Autos, wie wir es kennen.
Es gehört zu deiner täglichen Arbeit, Dinge neu zu denken. Über Veränderung als Chance wirst du auch beim Südstern-Business-Talk erzählen.
Einmal werde ich über meinen Arbeitgeber reden und wie Innovation bei X betrieben wird. Das Arbeitsumfeld bei X ist so divers. Ich arbeite mit Homosexuellen, Transexuellen zusammen, mit Frauen und Männern aus verschiedenen Kulturen. Ich bringe als Südtiroler ja auch einen besonderen Hintergrund mit. Alleine deshalb ist viel Kreativität vorhanden. Und dann wird es um das Silicon Valley gehen, die Trends, die aktuellen Probleme und Hypes. Das ist für Südtiroler Unternehmer sicher interessant.
Künstliche Intelligenz, Robotik, Big Data: Wie gehen die Amerikaner damit um?
Die Denkweise ist eine andere: In Amerika fühlt sich niemand ausgespäht, wenn er eine auf seine “Bedürfnisse” zugeschnittene Werbung erhält. Die Menschen wissen, dass Werbung notwendig ist, um das Produkt zu verkaufen und sehen es eher als Vorteil, sich nicht mit irgendwelcher Werbung herumzuschlagen, die für sie nicht relevant ist.
Wie wird uns das alles in der Zukunft weiter prägen?
Die Frage ist, wie offen wir Veränderung begegnen. Sich davor zu verschließen, bedeutet, keine Kontrolle darüber zu haben, wie sich die Dinge entwickeln. In Europa versucht man oft, Sachen zu regulieren oder aufzuhalten, aber das ist nicht die klügste Art, Veränderung zu begegnen. Denn sie ist nicht aufzuhalten.
Du lebst jetzt seit sechs Jahren in Amerika: Was ist typisch Südtirolerisch an dir geblieben?
Meine Mama sagt immer: Wirst du nie schlauer? Also hat sich wohl nicht so viel verändert. Sicher bin ich in den vergangenen Jahren durch die vielen Erlebnisse gewachsen, aber im Herzen, so hoffe ich, immer noch der Alte. Bleib du selbst, das ist für mich kein bloßer Spruch. Südtirol bleibt Heimat und ich bin stolz auf das Land, in dem unheimlich viel Talent und Potential steckt.
Rückkehr also nicht ausgeschlossen?
Was ich in Amerika gelernt habe, hat mich superreich gemacht, und das kann mir niemand mehr nehmen. Meine Erfahrungen in Europa umzusetzen, würde mich reizen. Deshalb tausche ich mich ja gerne mit Unternehmern in Südtirol aus. Es gibt auch in Südtirol Betriebe, die anders denken. Ich würde nie versuchen, ein zweites Silicon Valley aus Südtirol zu machen, eine Realität kann man nicht kopieren. Aber man kann anwenden, was man irgendwo anders gelernt hat und davon könnten alle profitieren.
Wie oft man den Satz hört: Das geht nicht! Ich sage mir: Warum nicht?