„Ich habe schon Jahre keinen Zettel mehr auf Papier ausgedruckt”

Donnerstag, 17.09.2020
Mit Digitalisierung, Zukunft der Arbeit und Vernetzung setzt sich der gebürtige Brixner Christian Liensberger in seiner täglichen Arbeit auseinander. Seit 2009 lebt der Südstern in Seattle, wo er als Principal PM Manager & Advisor to Microsofts CTO arbeitet. Mit anderen Worten: Liensberger, 38, ist Teil eines 20-köpfigen Teams, das sich in der Firma dafür einsetzt, dass neue Marktentwicklungen und Technologien im Unternehmen umgesetzt werden und das zudem Möglichkeiten der Zusammenarbeit aufzeigt. Und dann geht es in seiner Arbeit auch um das Ausloten neuer wirtschaftlicher Möglichkeiten im Bereich der künstlichen Intelligenz. Liensberger ist einer der vier Speaker beim diesjährigen Südstern Business Talk am 2. Oktober 2020. Wir haben ihm vorab fünf Fragen zu brennenden Themen gestellt. Das sind seine Antworten.

 

DER STANDORT

Christian, vor drei Jahren haben Sie im Rahmen des Südtiroler Wirtschaftsforums gesagt, dass es irgendwann nicht mehr wichtig sein wird, wo der Mitarbeiter sitzt, sondern wo die besten Ideen entstehen. Nach den Entwicklungen der vergangenen Monate: Fühlen Sie sich bestätigt?

 

Viele Leute sagten damals und tun es immer noch: Südtirol ist ja toll, aber als Standort einfach zu weit weg von großen Ballungszentren wie zum Beispiel dem Silicon Valley, London oder New York. Aus diesem Grund habe ich diesen Satz in den Mund genommen, denn ich war schon damals überzeugt, dass der Standort nicht die wichtigste Rolle spielt. So erlebe ich es seit Jahren bei Microsoft. Mein Team war damals schon weltweit verteilt und arbeitete 24 Stunden am Produkt. Zwischen Israel, Indien, London, Madrid, und den vielen anderen Orten, wo Mitarbeiter saßen, war immer jemand am Tüfteln. Bei der Frage des Standortes spielte ja auch immer die Angst im Unternehmen mit, dass Mitarbeiter nichts machen, wenn sie nicht ins Büro kommen. Corona hat uns eines Besseren belehrt. Denn das Gegenteil ist der Fall. Bei Microsoft hat sich die Produktivität gesteigert. Wir sind jetzt seit März alle zu Hause und werden erst Ende Februar 2021 in die Büros zurückkehren. Ich gehe davon aus, dass sich die Arbeitswelt langfristig ändern wird. Twitter hat bekannt gegeben, dass seine Mitarbeiter auf unbestimmte Zeit von zu Hause aus arbeiten können. Start-Ups überlegen sich, ob sie sich die teure Miete für ein Büro noch leisten wollen, wenn es anders auch geht. Ein Haus in San Francisco: unbezahlbar noch vor ein paar Monaten. Aber die Menschen mussten rein in die Stadt, weil dort so viele Arbeitsplätze waren. Jetzt ziehen Leute weiter hinaus, sogar bis zum Lake Tahoe in die Rocky Mountains, weil sie die Arbeit auch von dort erledigen können. Der Standort verliert gerade massiv an Bedeutung. 

 

DIGITALISIERUNG UND VERNETZUNG

Die Covid-19-Pandemie hat weltweit für einen Digitalisierungsschub gesorgt. Sind Daten unsere neue Währung?

 

Die ganze Welt hat plötzlich Smartworking entdeckt: Das ist nur ein Bereich, in dem ohne Digitalisierung nichts geht. Durch die Digitalisierung werden jetzt auch viel mehr Daten von Benutzern erfasst, und wir gehen stark davon aus, dass diese Daten einen enormen Wert bekommen werden. Es ist jetzt schon so, dass es einen Wettlauf – im Besonderen im Bereich der künstlichen Intelligenz – um diese Daten gibt. Im Moment stellen Benutzer diese meistens kostenlos zur Verfügung. Mein Team und ich arbeiten an Möglichkeiten, die Benutzer in diese Gewinne miteinzubinden. Unsere ganze Welt ist vernetzt. Das fängt ja schon in den persönlichen Beziehungen an. Wenn du nicht jemanden kennst, der jemanden kennt, dann geht gar nichts. Die persönliche Vernetzung hat sich durch Covid-19 verändert. Es ist schwieriger geworden, Verbindungen zu halten, die vorher eng waren. Auf der anderen Seite ist es einfacher geworden, Verbindungen mit Menschen einzugehen, mit denen man keinen nahen Kontakt hatte. Ob jemand nun zwei Meter neben dir im nächsten Büro sitzt oder 2000 Kilometer entfernt, das spielt jetzt keine große Rolle mehr. Und da sind wir schon wieder beim Standort…

KÜNSTLICHE INTELLIGENZ

Sie haben an der TU Wien Informatik studiert und sich schon im Rahmen des Studiums mit künstlicher Intelligenz beschäftigt. Auch jetzt bei Microsoft ist eine Ihrer Aufgaben, Strategien und Algorithmen in diesem Bereich zu entwickeln. Worauf kommt es dabei an?

 

Um etwas zu erkennen, muss eine Maschine es vorher einmal gesehen haben. Und damit ist ein Problem in dem Bereich schon auf den Punkt gebracht. Denn das System erkennt oft nicht, wer vor einem steht. Die Black-Live-Matters-Bewegung hat das in den USA auch in die Öffentlichkeit gebracht. Die Polizei verwendet Programme, die Gesichter automatisch erkennt. Es ist aber ein System, das vor allem auf die Gesichtserkennung weißer Menschen zugeschnitten ist. Bei Schwarzen funktioniert es nicht wirklich. Du wirst heute ja von Systemen auf der ganzen Welt getrackt. Wir arbeiten daran, dass das funktioniert und überlegen uns wie es möglich wird, dass jeder auch die Möglichkeit hat an dem Boom der künstlichen Intelligenz teilzuhaben und sich vielleicht dadurch ein Zusatzeinkommen schafft! Jede Veränderung birgt immer auch viele Vorteile, die es zu realisieren gilt.

 

SÜDTIROL

Wäre Ihr Job mit den ganzen Veränderungen nun auch von Brixen Downtown aus möglich?

 

Ich komme mit meiner Familie jedes Jahr für ein paar Wochen nach Brixen. Ich hatte nie Probleme, an meinen Sachen weiterzuarbeiten. Bei uns war eigentlich immer schon alles digital. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das letzte Mal etwas auf Papier ausgedruckt habe. Im Moment überlege ich, mit meiner Frau und meinem Sohn zwei Monate nach Südtirol zu kommen. Ob ein Ort interessant ist, hängt immer von den Möglichkeiten ab. Microsoft unterstützt Mitarbeiter, die an einen anderen Standort ziehen wollen. Deshalb sehe ich da kein so großes Problem. Außerdem haben wir alle im Schnelldurchlauf gelernt, wie wir Onlinemeetings effizient abwickeln können, und wie wir Kommunikation auf Chat und Email umstellen, damit wir unabhängiger arbeiten können. Für Südtirol werden die ganzen Veränderungen sicher etwas Positives mitbringen. Vielleicht müssen manche kluge Köpfe nicht mehr unbedingt weg, sondern können auch von dort aus arbeiten. Oder sie müssen gar nicht nach Südtirol ziehen, sondern können remote in Südtiroler Unternehmen an Südtiroler Produkten mitarbeiten. 

 

DIE ZUKUNFT

Die Welt nach Covid-19: Was ist das für eine?

 

Gute Frage. In den persönlichen Beziehungen werden wir irgendwann wieder dort sein, wo wir vor der Pandemie waren. Was die Arbeitswelt betrifft, denke ich hingegen, dass es langfristige Veränderungen geben kann. Und ich befürchte, die Schere zwischen Arm und Reich wird weiter aufgehen. Hier in den USA jedenfalls gibt es Menschen, die total abgehängt sind. Wer in einem Restaurant als Kellner gearbeitet hat, hat wahrscheinlich immer noch keine Arbeit. Und Menschen, die schon vorher von Monat zu Monat gelebt haben, auch sie hat es richtig erwischt. Andere nutzen die Krise als Chance. Ich weiß von einer Yogalehrerin, die ihr Studio schließen musste. Sie hat dann Onlinekurse abgehalten und damit gleich viel verdient. Und jetzt, wo sie ihr Studio wiedereröffnet, wird sie das beibehalten und damit ein höheres Einkommen haben als vor der Pandemie. Auch solche Geschichten schreibt Covid-19 – es bleibt zu hoffen, dass am Ende mehr Menschen als Gewinner und nicht als Verlierer aus der Krise herausgehen. 

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