"In Krisenzeiten braucht Europa eine Vision vor Augen"
Zeno Kerschbaumer aus Brixen ist Geschäftsführer von Volkswagen in Singapur. Im Interview spricht der 50-Jährige über die Eigenheiten von Europäern und Asiaten beim Autokauf, erfolgreiche Strategien in Krisenzeiten und das Schattendasein Südostasiens.
Seit über zwanzig Jahren arbeitet Zeno Kerschbaumer (50) erfolgreich für den Automobilherteller Volkswagen.
Am Freitag werden Sie als Referent am Global Forum Südtirol 2012 teilnehmen. In diesem Jahr steht das Forum im Zeichen Südostasiens. Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Singapur und Südtirol?
Die gibt es und zwar im Zusammenwirken von verschiedenen Kulturen und Sprachen. In Singapur leben im Wesentlichen vier Kulturen und Sprachgruppen, die sich gegenseitig respektieren. Wenn etwa Chinesen, Malaysier, Indonesier und Inder zusammenkommen, ist das Englische die gemeinsame Kommunikationsbasis. Eine weitere Parallele zwischen Singapur und Südtirol ist, dass beide abhängig vom Export sind.
Dabei agiert Singapur jedoch auf einer internationalen Basis. Wobei wir bei den Unterschieden wären.
Richtig. Der Stadtstaat Singapur spielt mit seinen rund fünf Millionen Einwohnern eine Rolle auf dem Weltmarkt, während Südtirol eher von regionaler Bedeutung ist. Hohen Respekt zolle ich jenen Südtiroler Unternehmen, die in ihren Nischen zu Weltmarktführern gereift sind.
Nach Stationen in Prag und Tokyo lebt der 50-jährige Geschäftsführer von Volkswagen heute in Singapur.
Trotz seiner internationalen Rolle am Weltmarkt, steht Südostasien immer noch im Schatten der Wirtschaftsmacht Chinas. Wird es sich vom Schattendasein befreien können?
Ich würde nicht sagen, dass Südostasien im Schatten Chinas steht. Aber tatsächlich führt es in der europäischen und in der Südtiroler Wahrnehmung ein Schattendasein. Die fundamentalen wirtschaftlichen Zahlen zeigen aber eindeutig, dass Südostasien schon lange aus dem Schatten Chinas herausgetreten ist und seine eigenen Dynamiken entwickelt. Wichtig ist - und so verstehe ich den Ansatz des Global Forum Südtirol - Licht in diese Dynamiken zu bringen.
Was kann Südtirol von Singapur lernen?
Die Region Südostasien ist in unseren Breitengraden weitgehend unbekannt. Wenn man über Asien spricht, ist oftmals nur die Rede von China oder Indien. Es ist Zeit, dass Südtiroler Firmen einen tieferen Blick in die Region Südostasien werfen. Dann obliegt es natürlich den Südtiroler Unternehmen, herauszufinden, welche Möglichkeiten sich für die eigenen Produkte und Dienstleistungen ergeben. Singapur ist als Ausgangspunkt für den Zutritt zum (südost-)asiatischen Markt ideal.
Zeno Kerschbaumer über Südtirol: "Es sind vor allem die Berge, die ich an der Heimat vermisse".
Was zeichnet Singapur als Standort aus?
Singapur ist „the place to do business“, wie schon die World Bank in einer Statistik schreibt. Die Stadt ist einzigartig und tatsächlich eine gute Plattform, um den südostasiatischen Raum zu gewinnen – nicht nur wirtschaftlich. Neben dem günstigen Zugang zu den Märkten Südostasiens bietet Singapur ideale Voraussetzungen, wie etwa politische Stabilität, bilaterale Freihandelsabkommen und ein rigides Bankgeheimnis. Darüber hinaus wird der Inselstaat als das „Asia Light“ bezeichnet. Singapur liegt im Herzen von Asien und dennoch findet man eine sehr gut ausgebaute Infrastruktur vor, die man sonst nur aus sehr hochentwickelten Ländern kennt. Ob das der Flughafen ist oder der Hafen – es ist der zweitgrößte Kontainerhafen der Welt. Dabei hat Singapur erst 1965 die Unabhängigkeit von Malaysia erlangt.
Wie und wann wurden die Voraussetzungen geschaffen, dass Singapur heute so erfolgreich dasteht?
Wie alles im Leben hängt es von einzelnen Menschen ab. Auch in Singapur war das so. Eine kleine Gruppe unter der Führung von Lee Kuan Yew hat der zu Malaysia gehörenden Insel Singapur Mitte der 1960er Jahre in einem friedlichen Prozess die Selbstständigkeit gebracht und Visionen für das Land geschaffen. Heute zählt Singapur rund 5,2 Millionen Einwohner und weist ein Pro-Kopf-Einkommen auf, das über dem Durchschnitt Europas liegt. Am Anfang stand lediglich eine Vision, die es schaffte, die Leute zu begeistern.
Heute lassen sich viele europäische Unternehmen in Singapur nieder, darunter Volkswagen. Der größte Automobilhersteller Europas hat seinen Sitz im kleinen Wolfsburg, welches mit 122.000 Einwohnern knapp größer ist als Bozen. Welche Strategie steckt dahinter?
Bei der Wahl des Standortes war die Strategie damals eine ganz einfache: das Werk sollte möglichst in der Mitte Deutschlands liegen – aus logistischen Gründen. Wolfsburg mit Bozen zu vergleichen ist schwierig. Da gibt es nämlich einen grundsätzlichen Unterschied: Bozen ist im 12. Jahrhundert entstanden und hat sich über die Jahrhunderte zu einem Handelsplatz in Mitteleuropa entwickelt. Wolfsburg hat sich hingegen erst nach der Gründung der Volkswagen AG im vergangenen Jahrhundert und vornehmlich aufgrund der Präsenz dieses Weltkonzerns entwickelt. Die Wirtschaftskrise übersteht Volkswagen bisher besser als die meisten anderen Unternehmen in der Branche.
Was ist das Rezept in Krisenzeiten?
Dass wir die Krise so gut überstanden haben, beruht auf zwei Elementen. Zum einen hatte Volkswagen eine schwierige Zeit Anfang des Jahrtausends und musste damals schon seine Hausaufgaben erledigen. Neben einer geringen Marktakzeptanz hatten wir mit Überkapazitäten zu kämpfen. Während viele Unternehmen sich mitten in der Krise um die klassischen Hausaufgaben kümmern mussten, hatten wir unsere schon gemacht und konnten uns auf unsere Verkaufsoffensive konzentrieren. Das ist das eine Element. Das zweite ist, dass der Konsument sich gerade in Krisenzeiten auf Marken seines Vertrauens beruft. Neben einem technisch innovativen Produkt und einem schönen Design ist das Vertrauen einer der entscheidenden Faktoren für den Erwerb eines Volkswagens.
Seit 1990 arbeiten Sie für Volkswagen. Nach Stationen in Verona, Prag, Wolfsburg und Tokyo sind Sie heute Geschäftsführer der Konzernniederlassung in Singapur. Sie haben im Volkswagen Konzern Karriere gemacht. Was zählt dabei mehr - ein gutes internes Netzwerk oder fachliche Kompetenz?
Grundsätzlich zählt sicherlich die fachliche Kompetenz. Das interne Netzwerk kommt irgendwann später ins Spiel. Um am Markt zu bestehen, kommt es in meinem Job allerdings auf das Gespür für unterschiedliche Kulturen an. Wir bringen zwar weltweit dieselben Produkte auf den Markt - im Verkaufsprozess gibt es aber erhebliche Unterschiede. Der Konsument in Europa hat bei unseren Produkten viel mehr Hintergrundinformationen, weil sie seit über fünfzig Jahren zum Standard in Europa gehören. Daher ist der europäische Kunde viel kaufentschlossener, als etwa asiatische Kunden. Die Asiaten sind darüber hinaus wesentlich preissensibler.
Haben Sie Ihre Führungsprinzipien immer an den Kulturraum angepasst?
Ich denke, es gibt Grundprinzipien, die überall ihre Gültigkeit haben – besonders im wirtschaftlichen Bereich. Im menschlichen Umgang müssen hingegen gewisse Nuancen berücksichtigt werden. In Asien ist etwa die Gesichtswahrung ein großes Thema. Während wir Europäer in Meetings oft bewusst die Konfrontation suchen, versucht der Asiate dieser möglichst aus dem Weg zu gehen. Die Konfliktlösung wird auf den inoffiziellen Teil des Entscheidungsprozesses verlegt.
Welches sind Ihre Grundprinzipien als Führungskraft?
Leben und leben lassen! Wir Führungskräfte sind abhängig von unseren Teams. Deshalb muss man den Mitarbeitern Verantwortung übertragen und sie befähigen, wofür es im Englischen den treffenden Begriff des „empowerment“ gibt. Greife ein, wenn es erforderlich ist und lobe, wenn das Team erfolgreich ist, lautet meine Devise. Als Führungsperson beschäftigen mich die klassischen Fragen: Wie motiviere ich Mitarbeiter und wie zeige ich ihnen mögliche zukünftige Entwicklungen in der Persönlichkeit oder im Zusammenhang mit der Karriereleiter auf.
Zeno Kerschbaumer: "In meinem Job kommt es auf das Gespür für unterschiedliche Kulturen an".
„Nur wenn der Fokus der Wirtschaft auf den Menschen gerichtet ist, entwickelt sich die Gesellschaft weiter.“ Das sind Ihre Worte. Der Mensch hat gegenwärtig jedoch oftmals den Eindruck, vom Markt bestimmt zu werden.
Durch die Finanzkrise haben wir in letzter Zeit das Gefühl bekommen - und es ist nicht nur ein Gefühl, sondern vielmehr eine Tatsache -, dass die Finanzmärkte gewisse politische Entscheidungen stark beeinflussen. Im Industriebereich hingegen, denke ich, steht immer noch der Mensch im Mittelpunkt - als Konsument und als Mitarbeiter. Nur von motivierten Mitarbeitern kann ich Höchstleistung einfordern. Diese Leistung spiegelt sich wiederum in der Qualität des Produktes oder der Dienstleistung wider und dadurch stellt sich letztlich auch ein höherer Erfolg am Markt ein. Im Mittelpunkt unserer Handlungen steht schließlich auch der Mensch als Konsument. Wird ein Produkt am Konsument vorbei entwickelt, findet es am Markt auch keine Akzeptanz.
Wird der Konsument heute stärker in die Produkt(weiter)entwicklung eines Unternehmens eingebunden als noch vor einigen Jahren?
Früher hat man Kundenforen durchgeführt, um zu sehen wie der Konsument das Produkt besser oder anders gestaltet haben will. Heute ist das gar nicht mehr nötig. In der virtuellen Welt kann man schon früh erkennen, wie der Kunde ein Produkt oder eine Dienstleistung bewertet. Über Twitter oder entsprechende Internet-Foren ist der Mensch tatsächlich immer stärker in die Entwicklung und Veränderung von Produkten und Dienstleistungen eingebunden.
Im Frühjahr 2013 stehen in Südtirol Landtagswahlen an. Welche Führungsqualitäten muss ein zukünftiger Landeshauptmann oder eine Landeshauptfrau haben, um Südtirol erfolgreich durch das 21. Jahrhundert zu bringen?
Obwohl ich mit „Herz und Bluat“ Südtiroler und Brixner bin, beobachte ich Südtirol von außen mit der notwendigen Distanz. Südtirol hat ohne Zweifel Jahrzehnte äußerst positiver Entwicklung hinter sich. Der neue Landeshauptmann oder die neue -hauptfrau sollte meines Erachtens eine Vision für Südtirol und dessen Bevölkerung entwickeln. Das Problem ist derzeit eine fehlende Zielorientierung. Und dieses Problem sehe ich nicht nur für Südtirol, sondern für weite Teile Europas.
Wie könnte diese Vision für Südtirol aussehen?
Südtirol ist eine Wohlstandsgesellschaft, aber ich glaube, wir müssen den Begriff Wohlstand neu definieren. Die Vision müsste sich also der Frage widmen: Wie definiert sich Wohlstand in der Zukunft? Ein Politiker oder eine Politikerin kann die Menschen sicherlich gewinnen, wenn er oder sie es schafft, eine diesbezügliche zu entwickeln.
Eine Vision liegt auch Südstern zugrunde. Warum stehen Sie hinter Südstern?
Südstern trifft mitten ins Herz – zumindest in meines! Südstern respektiert die Entscheidung des einzelnen Südtirolers und der einzelnen Südtirolerin, den Lebensmittelpunkt im Ausland zu gestalten zu wollen und gleichzeitig strafft Südstern das rote Band der Verbundenheit mit der Heimat. Genau das, glaube ich, ist das gewinnende Element von Südstern. Und gleichzeitig wird jeder Südstern zu einem unschätzbaren Botschafter seiner Heimat.
Interview: Alexandra Hawlin