"Wir haben die große Chance in einem Grenzland zu leben in dem wir aus verschiedenen Kulturen das Beste aussuchen können"
„Woher kommst du?“ Dies ist wohl die mir am häufigsten gestellte Frage. Je nachdem wo ich mich befinde ist die Antwort Europa oder Südtirol. Das spart Zeit. Doch leider geben sich nicht alle mit „Europa“ zufrieden. Um den verwirrten Blick zuvorzukommen, wenn ich mit deutschem Akzent „Italien“ sage, fällt meine Antwort meistens etwas länger aus. Als was ich mich denn fühle? Südtiroler. Gleichermaßen Trentiner wie Nordtiroler, aber weit weg vom italienischen oder deutschen Klischee. Doch wer versteht das schon.
Inwiefern ist diese Frage auch so wichtig? Wie sehr definiert uns unsere Herkunft überhaupt? Definieren wir unsere Identität wirklich durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder eher durch unsere Individualität? Wenn es wirklich so wäre, dann hätte man nur sehr wenig Möglichkeiten sich nach der Geburt noch zu verändern. Hineingeboren in die unabwendbare Identität – gefangen ein Leben lang. Dabei haben mich Südtirol, meine wunderbare Kindheit, die Leute und unsere Mentalität sicherlich sehr positiv geprägt. Und dennoch versuche ich seit jeher aus dem gesellschaftlichen Gedankengut auszubrechen, alles in Frage zu stellen um meine eigene, persönliche Werthaltung festzulegen. Auf der Suche nach meiner Identität. Meiner eigenen Vorstellung wie man das Leben zu meistern hat, welche Prioritäten ich setzen möchte und was gut und richtig ist.
Das zwanghafte Kategorisieren des Menschen und der Druck von außen sich festzulegen, zwingen uns sehr früh schon Haltungen einzunehmen und Entscheidungen zu treffen, die wir später häufig nicht mehr in Frage stellen. Man ist in einer Schublade gefangen und merkt es oft nicht. Sind das wirklich meine Gedanken? Macht es irgendeinen Sinn, dass ich diese Meinung habe oder ist es lediglich ein Vorurteil?
Ich hatte das Glück, dass ich schon mehrere Länder sehen und verschiedenste Kulturen erfahren durfte. Oft musste ich dabei feststellen, dass vieles was ich als selbstverständlich angenommen hatte, nicht zwingend so sein muss, sondern dass auch andere Regeln und Sitten durchaus Sinn machen, oft sogar wesentliche Vorteile mit sich bringen. Wir haben die große Chance in einem Grenzland zu leben in dem wir schon früh aus verschiedenen Kulturen das Beste aussuchen und leben können. Es ist ein seltenes Glück, das leider nicht alle Südtiroler als solches wahrnehmen. Manchmal muss man bereit sein auch etwas aufzugeben, um Platz zu machen für was Neues. Öfter nach vorne schaue und weniger um die Vergangenheit trauern – die eigene Identität weiter entwickeln.
Ich bin stolz Südtiroler zu sein, doch definiert uns die Herkunft wirklich so sehr oder sollten wir das nächste mal, wenn wir jemanden kennen lernen, lieber zuerst fragen: „Und, was treibst du denn so in deiner Freizeit?“
Der 31jährige Brunecker Elmar Mair hat an der TU München mit Auszeichnung promoviert und vorher sein Master-Studium als Jahrgangsbester abgeschlossen. Nach Forschungsaufenthalten an der JHU Baltimore (USA) und der ANU Canberra (Australien) war er als Wissenschaftler für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt tätig. Seit 2012 ist Elmar Mair als Senior Research Engineer im Bereich Autonomes Fahren für Robert Bosch LLC in Palo Alto, Kalifornien, tätig.
Beitrag Nr. 4 aus der Reihe "Identität"