WUNDER-BARE WELT oder DAS KOMMT MIR CHINESISCH VOR (II)
Ich bin in Peking im angesagten Sanlitun-Village, ein Shopping District für die jungen und neureichen Chinesen und für Ausländer. Nachdem ich kein Bargeld mehr in der Tasche habe, begebe ich mich zum nächsten Bancomat direkt im Village und behebe ...
Ich bin in Peking im angesagten Sanlitun-Village, ein Shopping District für die jungen und neureichen Chinesen und für Ausländer. Nachdem ich kein Bargeld mehr in der Tasche habe, begebe ich mich zum nächsten Bancomat direkt im Village und behebe 1,000 Rmb, umgerechnet ungefähr 100 Euro. Das Geld wird in 10 100-Rmb-Scheinen ausbezahlt. Der rote 100-Rmb-schein mit dem Maoporträt ist der größte Schein in China; meines Wissens will man damit den Geldfälschern das Leben erschweren. Eine Behebung ist normalerweise auf maximal 3,000 Rmb beschränkt, die in 30 10-Rmb-Scheinen ausbezahlt werden.
Ich begebe mich zum Taxi-Stand und fahre ins Hotel. Nachdem ich ihn bezahlen möchte, weigert er sich den roten schein zu akzeptieren, nachdem es spät ist, bezahle ich ihn mit Kleingeld und gehe schlafen. Der nächste Morgen beginnt im Starbucks mit einer Überraschung: als ich meinen Latte bezahlen will, weist mich der Starbucks Angestellte darauf hin, dass der Schein falsch ist. Jetzt erst betrachte ich das gestern abgehobene Geld genauer, und tatsächlich handelt es sich um einen gefälschten Schein, einen extrem schlechten dazu, eine bessere Farbkopie. Ich prüfe die anderen 10 Scheine, welche ich gestern vom Bancomat abgehoben habe, 4 davon sind falsch, alle haben die gleiche Nummer und sind extrem schlecht gemacht ;-)
Ich bezahle meinen Kaffee mit Bancomat-Karte und treffe meine Arbeitskollegen, denen ich vom Vorfall erzähle… konklusio: eigentlich bin ich auch selber schuld, den wer behebt schon bei einer regionalen Bank, der Shanghai Pudong Development Bank, die Bank of China sei da schon sicherer! Dass der Bankomat in der besten Einkaufsgegend von Peking steht, tut nichts zur Sache. Vielleicht ist sogar der Bankomat gefälscht, und ein Chinese sitzt hinter dem Fenster und zahlt das Falschgeld aus, witzle ich. Falschgeld ist weit verbreitet in China, aber es direkt vom Bancomat abzuheben, ist doch neu - zumindest für mich.
Am Nachmittag treffe ich eine Designerin aus Peking und erzähle ihr beim Mittagessen vom Vorfall, sie fragt mich, ob sie es auf ihren WEIBO stellen kann (WEIBO ist eine art chinesischer Twitter). Ich bejahe, sie macht ein Foto von den falschen Scheinen und stellt es online. Am Nachmittag, also einige Stunden nachdem sie es online gestellt hat, mailt sie mir, die Nachricht wurde bereits 650x(!) weitergeleitet; zum Vergleich: ein Food-Skandal von Kentucky Fried Chicken wurde 16,000x in wenigen Wochen weitergeleitet. Am Abend schreibt sie mir wieder, die Nachricht wurde 1,600x weitergeleitet, die SH Pudong Development Bank ist unter Druck, und wird sich bei mir telefonisch melden, berichtet mir die Designerin. Ich nehme den Frühflug nach Ningbo, eine Stadt in der Nähe von Shanghai. Meine Arbeitskollegen von Shanghai holen mich am Flughafen ab, und begrüssen mich mit den Worten: “bist du das mit dem Falschgeld? Du bist berühmt!”. Ich glaube nicht richtig zu hören, nicht mal 24h nachdem die Nachricht online gegangen ist, wissen Kollegen in Shanghai bescheid, obwohl nur mein Vorname genannt wurde (Hermann, ein Ausländer in Peking). Ich bin beeindruckt vom WEIBO-SPEED!
Am Abend geht’s zurück nach Shanghai, im Auto meldet sich die Pudong Development Bank, bedauert den Vorfall und erklärt mir, dass man Geld am besten direkt nach abheben prüft, um so sicher zu gehen. Also eigentlich bin ich selbst schuld. Falls sich was ergibt, werden sie sich wieder melden. Meine Erklärung, dass wohl die Bank ein Problem hat, nicht ich, da ich 400 Rmb schon verkraften kann, stößt auf taube Ohren. Beim Abendessen in Shanghai erzähle ich die Story einem bekannten, der meint: du solltest unbedingt ein Glückslos kaufen! Als ich ihn verdutzt anschaue, klärt er mich auf: "du bist ein wahrer Glückspliz, weil aus einem Bankomat gefälschte Scheine zu "fischen", das ist wirklich eine Rarität, dazu braucht es ein glückliches Händchen!" ;-)
Es sind 4 Wochen vergangen, ich habe nichts mehr von der Bank gehört, aber in Zukunft werde ich wohl bei der Wahl des Bankomates vorsichtiger sein.
Was mich aber nachhaltig beindruckt hat, ist die Machtverschiebung zwischen Konsumenten und Produzenten, das wird die Wirtschaftslandschaft noch entscheidend verändern.