So trotzen Südstern-Partner der Krise: Freie Universität Bozen (9)

Montag, 03.08.2020
Gerade erst wurde die Freie Universität Bozen im Ranking Censis zum vierten Mal in Folge mit dem ersten Platz im nationalen Uni-Ranking ausgezeichnet. Ein Qualitätssiegel, das auch für die Zukunft verpflichtet. Im Interview erzählt Universitätsdirektor Günther Mathá, wie die Pandemie Arbeitsprozesse und Studium verändert hat – und auch in Zukunft weiter verändern wird.

 

Herr Mathá, wie gut war die Freie Universität Bozen auf ein Szenario vorbereitet, das niemand vorhersehen konnte?

Wir haben in den letzten Jahren stark auf Digitalisierung gesetzt, das kam uns in dieser Situation zugute. Schon vor der Covid-Krise haben wir Blended-Learning-Plattformen für die Student*innen eingerichtet. So konnten wir nach dem Lockdown innerhalb von zwei Wochen 90 Prozent der Vorlesungen über Teams online anbieten. Nur die Labortätigkeiten sind ausgefallen. 

 

Ein Vorteil, wenn die Universität klein ist?

Wir haben 4.500 Student*innen, 400 Lehrbeauftragte und Forscher*innen und 300 Mitarbeiter*innen im Bereich der Verwaltung und technischen Dienste. Eine große Universität mit über 70.000 Studenten steht da vor anderen Herausforderungen. 

 

Sie selbst sitzen jetzt während des Interviews im Homeoffice. Wie hat sich Smart Working an der Freien Universität Bozen bewährt?

Wir haben unsere Mitarbeiter*innen sehr schnell ins Homeoffice geschickt. Eine positive Erfahrung: Bei Effizienz und Effektivität hatten wir überhaupt keine Einbußen. Im Gegenteil: Mitarbeiter konnten Zeit sparen, weil sie nicht mehr den Weg aus Sterzing oder dem Vinschgau bis zur Arbeitsstelle zurücklegen mussten. 

 

Hat Sie das überrascht?

Absolut. Smart Working verband man noch vor ein paar Monaten mit vielen Fragen. Eine Sorge war, dass die Leistung nicht kontrollierbar sei. Diese Vorurteile haben sich als nichtig erwiesen. Die Mitarbeiter*innen haben fleißig, effizient und mit großem Einsatz gearbeitet. Für uns steht fest: Das Vertrauen, das wir ihnen geben haben, kann fortgesetzt werden. 

 

Wird Smart Working also auch ein Arbeitsmodell für die Zeit Post-Covid?

Man muss vorausschicken, dass die Entwicklung in der nächsten Zeit von der epidemiologischen Situation abhängt. Unabhängig davon haben wir beschlossen, unsere unternehmenskulturellen Richtlinien in Bezug auf Smart Working auszuarbeiten. Es geht um ein vertrauensvolles, neues Handeln. Es ist ein Prozess, den ein Arbeitgeber begleiten muss. Nur so kann man die Mitarbeiter darauf einspielen. Wir stellen uns darauf ein, dass in Zukunft etwa 40 Prozent der Mitarbeiter*innen Smart Working machen und 60 Prozent vor Ort präsent sein werden. Das kann auch alternierend der Fall sein. Wer beweist, dass er seinen Job gut und verantwortungsvoll macht, soll eine Art Grundrecht auf dieses Modell bekommen. 

 

Das klingt fortschrittlich. 

Zunächst brauchten wir dieses Modell schlicht, um den Herausforderungen der Covid-Krise gerecht zu werden. Es gab ja schon vor der Pandemie Ansätze in dieser Richtung: Telearbeit war der Anfang, dann kam Smart Working. Es bedeutet Mitarbeit nach Zielen. Die Führungskräfte müssen klare Vorgaben machen und dementsprechend führen. Es gibt keine Zeiterfassung und keine Überstunden mehr. Das haben viele anfänglich nicht verstanden. Smart Working wird normaler Bestandteil der Arbeit sein; und wir werden die Mitarbeiter*innen kulturell darauf vorbereiten. 

Sich von der Arbeit abzugrenzen wird zuhause schwierig, besonders für Frauen. 

Das stimmt. Viele Mitarbeiter*innen haben nicht zu wenig, sondern zu viel gearbeitet. Forscherinnen mussten ihre Publikationstätigkeit extrem reduzieren, weil sie durch die Familie nicht mehr dazu gekommen sind. Sich abzugrenzen muss besonders im privaten Umfeld gelernt sein. Was die Nachhaltigkeitsdiskussion betrifft, sehe ich große Vorteile. Manager sind durch die ganze Welt gejettet, und plötzlich ging vieles auf digitalem Weg. Wir sparen enorme Ressourcen und Lebensenergie, wenn Mitarbeiter*innen nicht zwei Stunden am Tag im Auto sitzen. In der Mixtur des Rezeptes liegt die Lösung. 

 

Wie wird sich die Universität insgesamt verändern?

Es klingt vielleicht paradox, aber die Uni Bozen hat durch Corona einen unheimlichen Innovationsschub hingelegt – und wird sich noch weiter entwickeln. Wir sind gerade dabei, sämtliche Hörsäle in Bozen, Brixen und Bruneck voll digital auszustatten. Unsere Professor*innen werden ab Herbst vor einer leeren Aula ihre Vorlesung halten können. Diese wird dann live gestreamt und kann auch zu einem späteren Zeitpunkt abgerufen werden. Es gibt Vorträge, in denen reines Wissen vermittelt wird, da muss ein Student nicht physisch präsent sein. Labortätigkeiten hingegen müssen vor Ort stattfinden. 

 

Wenig Präsenz, viel digitaler Austausch: Ist das der Plan für den Herbst?

Wir sind immer noch dabei, verschiedene Szenarien durchzuspielen. Sollte sich die epidemiologische Situation nicht verschlechtern, werden wir die Universität für alle neu eingeschriebenen Student*innen öffnen. Erstsemester werden also ein Präsenzstudium bekommen. Studenten*innen des zweiten und dritten Studienjahres hingegen werden viele Vorlesungen online verfolgen. Damit wird die Gesamtzahl an Studierenden, die sich gleichzeitig an der Universität aufhalten, minimiert. Außerdem werden Vorlesungen gestaffelt abgehalten. 

 

Digitale Revolution mit fahlem Beigeschmack? Die soziale Komponente eines Studiums gerät auf diese Weise arg in den Hintergrund. 

Das stimmt. Wir müssen aufpassen, nicht in einen Digitalisierungsenthusiasmus zu verfallen. Die Prozesse sind aus der Not entstanden. Sie haben Vorteile, aber wir müssen schauen, die Nachteile abzubauen. An die Uni kommt man, um Menschen zu treffen, Ideen zu entwickeln, sich konkret mit Mitstudenten und Professoren auszutauschen. 

 

Wenn Student*innen Vorlesungen digital verfolgen, ist mehr Selbstorganisation gefragt. Mit der Bologna-Umstrukturierung hat man eigentlich das Gegenteil geschaffen. Eine Kehrtwende?

Selbstorganisation war früher im Studium das Um und Auf. Die Bachelorisierung hat die Universitäten in oberschulähnliche Strukturen verwandelt, die den Studierenden sehr viel abnehmen. Die Universität wird heute als Serviceorganisation gesehen. Wir haben letzthin bei Censis zum vierten Mal in Folge im nationalen Uni-Ranking bis 5000 Studierende den ersten Platz erreicht. Wem alles abgenommen wird, tut sich schwer in der Entwicklung des eigenen Engagements. Es wird in Zukunft sicher mehr auf Selbstständigkeit ankommen. In diesem Punkt wird die Pandemie und ihre Folgen einen Diskussionsprozess auslösen. Die Universität der Zukunft wird eine Mischform haben. Manche Prozesse werden im Netz stattfinden. Aber im Fokus soll weiterhin die Begegnung zwischen den Menschen stehen. 

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