Sie kennen den Tourismus aus dem Effeff und beschäftigen sich viel mit Standort- und Destinationsentwicklung. Regionalität ist in dem Bereich seit Jahren ein Thema.
Der Trend zur Regionalität ist seit vielen Jahren spürbar. Das fordert auch in Südtirol den Tourismus und noch viel mehr die Landwirtschaft, für welche die Transformation zur echten Herausforderung zu werden scheint. Tourismus ist in der Pandemie mit der verletzlichste Teil des Wirtschaftssystems. Er hängt an der Mobilität: Wenn die Menschen sich nicht mehr bewegen können, gibt es auch keinen Tourismus mehr. Das hat man in einer Direktheit gesehen, die man sich so eigentlich gar nicht hätte vorstellen können. Aber die Folgen betreffen nicht den Tourismus allein. Einzelhandel, Handwerk, Gewerbe, so viele Bereiche hängen mit dem Tourismus zusammen und von ihm ab. Gerade im Einzelhandel hat sich das gezeigt und man kann davon ausgehen, dass es sich noch verstärkt. Die einheimische Bevölkerung ist stark auf den Onlinehandel umgestiegen. Die Kaufleute brauchen Touristen und deren Interesse an Einkaufserlebnissen in den historischen Ortskernen deshalb umso mehr.
Hat der Einzelhandel die Digitalisierung verschlafen?
Durch die Digitalisierung ist der Einzelhandel von einem massiven Strukturwandel betroffen. Die Rolle der Innenstädte wandelt sich, sie muss neu gewichtet und bewertet werden. Einzelhandel im traditionellen Sinn funktioniert nicht mehr. Das hat sich aber bereits lange vor der Pandemie in Ansätzen gezeigt. Sie hat nur die Entwicklung beschleunigt. Auch der Tourismus wird langfristig eine Transformation erleben.
Wird in Südtirol dadurch die viel gewünschte Qualitätssteigerung erreicht?
Südtirol ist ein Land mit einem sehr hohen Standard von Qualität im Tourismus. Gerade diese hohe Qualität ist dafür verantwortlich, dass wir einen begehrlichen Tourismusraum und teilweise einen Übertourismus haben. Die Herausforderung in der Zukunft ist, provokant gesagt, von einem qualitativ hochwertigen Massentourismus zu einem nachhaltigen Massentourismus zu kommen. Denn Massentourismus ist es allemal, wenn man in einem 7.400 Quadratkilometer kleinen Land mit 530.00 Einwohnern über 30 Millionen Nächtigungen generiert...
Wie kann Nachhaltigkeit angestoßen werden?
Indem man stärker reguliert. Die Tourismustreibenden haben gut gearbeitet, massiv in die Qualität investiert. Das Angebot ist in allen Bereichen groß. Zu schnelles Wachstum ist für den Südtiroler Tourismus aber nicht mehr förderlich. Auch deswegen nicht, weil es die Bevölkerung nicht mittragen würde. Auf den zentralen Aspekt der Tourismusgesinnung werde ich beim Vortrag auch eingehen. Wir haben im Übrigen an der EURAC im Rahmen einer weltweit angelegten Kooperation zum Nachhaltigkeits-Monitoring damit begonnen, die Schnittstelle Gesundheit und Tourismus in den Fokus zu nehmen.
Wer sind die Krisengewinner?
Menschen sehnen sich nach den Bergen. Das alpine Produkt wird immer attraktiv sein. Deshalb müssen wir gerade im Alpenraum aufpassen, dass wir es durch überbordendes Wachstum nicht abwerten. Südtirol wird zu den Gewinnern gehören. Aber Erfolg kann auch der größte Feind des Tourismus sein. Es ist wichtig, in Südtirol die Mobilität in den Griff zu kriegen, ein großes Problem im Land.
Wer gehört zu den Verlierern?
Wenn der ländliche Raum grundsätzlich zu den Gewinnern gehört, stehen Städtetourismus und Kongresstourismus auf der anderen Seite. Da wird es substantielle Änderungen geben wie im Einzelhandel. Grundsätzlich sind jene Verlierer, die ihre Hausaufgaben schon vor der Pandemie nicht gemacht haben. Das gilt für Betriebe genauso wie für Regionen. Südtirol hat vieles richtig gemacht und vor allem das Interesse am Tourismus und an Investitionen aufrechterhalten. Und man tut gut daran, dass es eine Nachfolgegeneration gibt, die bereit ist, in neue Konzepte zu investieren und dass die Bevölkerung das auch mitträgt. Mit der Landesregierung haben wir vier Szenarien für nachhaltige Entwicklung durchgespielt. Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch die Wirtschaft. Dort geht es in der Entwicklung um die Förderung der klein- und mittelständischen Unternehmen. Man hat ja gesehen, wie unterschiedlich die Fördermechanismen jetzt in der Pandemie in der Schweiz, Deutschland, Österreich und Südtirol funktioniert haben, um die Wirtschaftssysteme aufrechtzuerhalten. Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft müssen ihre Schnittstellen sauberer definieren und die davon ableitende Strategie klarer ausarbeiten. Dann kann daraus ein resilientes System werden, weil es insbesondere in Krisenzeiten die Zusammenhänge in den Blick nimmt und eine ausbalancierte Strategie formuliert, und weniger den Wettbewerb zwischen Erkenntnissen aus verschiedenen Disziplinen forciert.
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