Du hast während deines Doktoratsstudiums in den USA gelebt und bist 2019 nach sieben Jahren in England dorthin zurückgekehrt. Wie hat sich das Land während der Präsidentschaft von Donald Trump verändert?
Ich lebe in Dallas, also in Texas. Texas ist der US-Staat mit der zweitgrößten Bevölkerungszahl nach Kalifornien und eine Hochburg der republikanischen Partei. Dallas ist als Großstadt recht weltoffen und multikulturell, da spaziert selten jemand in Cowboystiefeln herum oder fährt einen Pick-up-Truck. Aber trotzdem ist die Gesellschaft konservativer als beispielsweise an der Ostküste der USA. Donald Trump hat gewisse Tendenzen zugespitzt, die es schon seit mehreren Jahren in der amerikanischen Politik und Gesellschaft gegeben hat. Schon während der Präsidentschaft von Bill Clinton in den 1990-er Jahren hat der populistische Flügel bei den Republikanern stark an Einfluss zugenommen. Die republikanische Partei ist heute tief gespalten zwischen einem traditionellen sozial konservativen und wirtschaftsfreundlichen Flügel, und jenen, die alles über den Haufen werfen wollen, weil sie ihren Status gefährdet sehen durch Globalisierung und Einwanderer, aber auch durch die Emanzipation der Frauen. Und diese Unzufriedenen haben in Donald Trump ihre Symbolfigur gefunden. Die Folgen werden auch nach seiner Abwahl zu spüren sein.
Es heißt ja, er würde 2024 erneut kandidieren.
Auch um das zu verhindern, wurde ein zweites Impeachment-Verfahren gegen Trump in Gang gesetzt. Jetzt muss der amerikanische Senat entscheiden. Es sind aber auch unter den Demokraten längst nicht alle überzeugt, es bis zum Ende durchzuziehen. Joe Biden befürchtet, dass ein lange hinausgezogenes Amtsenthebungsverfahren den Start in seine Präsidentschaft überschatten könnte. Er hat andere Prioritäten.
Welche sind das?
Die Bekämpfung der Corona-Pandemie und ihrer Folgen. Die Sozialpolitik. Und dann, für mich besonders spannend, die Außenpolitik.
Da gibt es viel zu reparieren.
Das Image der vereinigten Staaten hat im Laufe der vergangenen Jahre in der Welt enorm gelitten, nicht nur unter den westlichen Alliierten, sondern auch in den Entwicklungsländern. Dort hatte sich die Bevölkerung vielfach für mehr Demokratie eingesetzt und auf Amerika als Modell geschaut. Donald Trump hat durch sein chaotisches Regieren und seinen Angriff auf die Legitimität demokratischer Wahlen im eigenen Land Diktatoren weltweit in die Hand gespielt. Die sagen jetzt, schaut mal, was passiert, wenn man in einer Demokratie lebt. Trump hat also dem liberaldemokratischen Modell überhaupt enorm geschadet. Präsident Biden und seine Mitarbeiter wissen das natürlich. Biden ist ein sehr erfahrener Staatsmann. Er hat ein Team erstklassiger Diplomaten zusammengestellt, die starke Befürworter der internationalen Bündnisse und allgemein internationaler Zusammenarbeit sind, vor allem mit den Europäern, der Nato und der EU. Biden versteht, dass die USA die großen Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte nicht alleine angehen können.
Du sprichst den Klimawandel an?
Auch, da wird Biden gewiss eine andere Haltung einnehmen als Trump. Aber auch die Sicherheitspolitik. China steigt auf zur nuklearen Großmacht und gewinnt in Asien aber auch anderswo immer mehr an Einfluss. Chinas Umgang mit Menschenrechten und die Bemühungen, das eigene autoritäre politische Modell in der Welt zu verkaufen, sollten uns mit Sorge erfüllen. Die Gefahr ist real, dass es zu einer militärischen Auseinandersetzung zwischen China und den USA kommt, weil vor allem im westlichen Pazifischen Ozean die Interessen beider Länder aufeinanderprallen. Die USA führen dort regelmäßig Seemanöver mit ihren Kriegsschiffen und Flugzeugträgern aus, aber die Chinesen sehen es als ihr Einflussgebiet. Wenn eine neue Großmacht aufsteigt und hegemoniale Ansprüche entwickelt, dann führt das oft zu großen internationalen Spannungen. Ein Blick in die Geschichte reicht: Athen in der klassischen Antike, das napoleonische Frankreich im 19. Jahrhundert, Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Du beschäftigst dich mit US-Außenpolitik und Konfliktforschung. Wann wurde das Interesse für diese komplexen Themen bei dir geweckt?
Ich hatte das Glück, zweisprachig aufzuwachsen. Die Beziehungen zwischen den Sprachgruppen in Südtirol und der historische ethnische Konflikt haben mich vor allem während der Oberschulzeit stark beschäftigt. Die Konfliktforschung wurde schließlich ein wichtiges Thema in meiner Berufslaufbahn: Wie kann die internationale Staatengemeinschaft dazu beitragen, ethnische, nationale und auch religiöse Konflikte friedlich zu lösen?
Südtirol lässt sich ja gerne als Vorzeigemodell bezeichnen. Berechtigt?
Die Südtiroler Erfahrung kann international als Erfolg gesehen werden. Es ist gelungen, einen Konflikt, der in den 1960-er und 70er-Jahren auch zu gewaltsamen Ausschreitungen geführt hat, friedlich beizulegen. Das gelang durch die Einführung einer territorialen Autonomie und auch durch die Machtteilung zwischen den Sprachgruppen auf Landesebene, was im Übrigen auch in anderen Krisenregionen so ähnlich gehandhabt wurde. Das Problem solcher Modelle ethnischer Streitbeilegung ist aber, dass sie institutionell stark konservativ sind.
Was heißt das genau?
Es wird viel Wert gelegt auf die ethnische Aufteilung der Macht und weniger auf die interethnische Zusammenarbeit. Die Politik profitiert von dieser Machtteilung und auch von der Aufrechterhaltung einer gewissen Spannung zwischen den Volksgruppen, denn das legitimiert die ethnisch ausgerichteten Parteien. Somit hinkt die Politik der Entwicklung der Zivilgesellschaft oft hinterher und kann diese Entwicklung sogar bremsen. Das sieht man auch in Südtirol. Vor allem für die jüngeren Generationen steht das Ethnische vielfach nicht mehr im Mittelpunkt. Mischehen gehören mittlerweile zum Alltag, Sportvereine sind vielerorts längst nicht mehr rein deutsch oder italienisch, und die Kinder besuchen oftmals einen Kindergarten der anderen Sprachgruppe. Die Mehrsprachigkeit der Südtiroler und die Brückenfunktion des Landes zwischen deutscher und italienischer Kultur sind im Rahmen eines offenen Europas eine Chance für Jugend und Arbeitskräfte. Die Politik aber hält teilweise noch an veralteten Strukturen fest, wie zum Beispiel an der namentlich ethnischen Zugehörigkeitserklärung, die gemischte, komplexere Identitäten schlicht nicht vorsieht, oder auch am Verbot der mehrsprachigen Schule.
Eine politische Entscheidung, um Stimmen der Stammwähler zu sichern?
Ich beobachte die Südtiroler Politik mittlerweile aus der Ferne, aber es scheint mir, dass die SVP stark darum bemüht ist, sich politisch nach rechts abzusichern. Die Entscheidungsträger auf Landesebene befürchten anscheinend, wenn sie sich zu sehr in Richtung Mehrsprachigkeit öffnen, dann könnten Wählerstimmen verloren gehen. Aber eine politische Führung sollte auch Mut beweisen, um die eigene Gesellschaft zukunftsfähig zu gestalten.
Im Februar kehrst du nach einer Corona-Pause in die USA zurück. Warum bist du mit deiner Familie nach Südtirol gekommen?
Ich fühle mich hier immer noch zuhause, und mein Vater und meine Schwester leben hier. Außerdem ist Social Distancing während der Corona-Krise hier viel einfacher möglich, als in einer Millionenstadt. Meine Vorlesungen habe ich online halten können, auch das geht mit der digitalen Vernetzung ziemlich einwandfrei. Somit habe ich gemeinsam mit meiner Frau beschlossen, einige Monate in Südtirol zu verbringen. Nur die Zeitverschiebung mit den USA bereitet kleinere Probleme. Eine meiner Vorlesungen findet um 20 Uhr am Abend statt, Ortszeit Dallas. Da ist es hier spät in der Nacht.
Bist du ein guter Skifahrer?
(lacht). Nicht so gut wie meine Schwester Lucia. Ich gehe lieber langlaufen oder wandern. In normalen Zeiten komme ich ein, bis zwei Mal im Jahr nach Südtirol. Dann genieße ich die Natur und den Frieden hier.