Der Klang ihres Lebens

Dienstag, 04.05.2021
Südstern Isabel Goller gehört zu den besten Harfenistinnen Südtirols. In unserem Job-Protokoll erzählt die künstlerische Koordinatorin der Südtirol Filarmonica und Mitgründerin von Nuja Meditation von ihrer Faszination für das Instrument Harfe, neue Inspiration in Zeiten des Lockdowns und warum ihr die Arbeit mit einem Mentalcoach sehr geholfen hat.

 

„Wenn ich zurückblicke, ist mein Leben von einer Reihe von Zufällen geprägt, die mich zu der gemacht haben, die ich heute bin. Ich bin auf einem Bauernhof in der Nähe von Brixen aufgewachsen. Wir haben Urlaub auf dem Bauernhof angeboten. Ein Paar aus Deutschland kam immer mit zwei Autos angereist, weil die Kinder ihre Musikinstrumente mit im Gepäck hatten. Die Tochter spielte Geige und der Sohn Harfe. Ich sehe es noch vor mir, wie er dieses riesige Instrument aus dem Auto gehievt hat, und ich als kleines Mädchen beeindruckt daneben stand. Ab diesem Moment wusste ich: Ich will Harfe lernen. Musik war bei uns daheim damals immer irgendwie da, die Mama hat gerne mit uns gesungen, aber es ging nicht über ein Hobby hinaus. Ich würde sogar sagen, in meiner Familie wusste niemand, dass außer Musiklehrer jemand von Musik leben kann. 

Ich bin meiner Mama dann solange in den Ohren gelegen, bis sie mich in der Musikschule in Brixen angemeldet hat. Acht Jahre habe ich Harfe gelernt und in verschiedenen Volksmusikgruppen gespielt. Und mit meiner Schwester, die Geige gelernt hat, Hausmusik gemacht. Wir sind durch die Hotels getingelt und haben uns ein bisschen was dazuverdient. Dann kam wieder so ein Zufall ins Spiel und wieder hatte es mit der Urlauberfamilie aus Deutschland zu tun. Als der Sohn in Rom heiratete, war meine Mutter eingeladen. Sie saß am Tisch mit Helga Storck, die in Salzburg am Mozarteum Professorin für Harfe war und zu den renommiertesten Harfenistinnen Deutschlands gehört. Meine Mutter erzählte ihr, dass ich Harfe spiele. Helga Storck lud mich zu einem Vorspiel nach Salzburg ein. Ich war zwölf Jahre und wusste nicht wirklich, was klassische Musik ist. Aber sie hat wohl etwas in mir gesehen… Ich bestand die Aufnahmeprüfung und der professionelle Unterricht in einem Universitätsambiente begann. Am Anfang bin ich einmal im Monat nach Salzburg gependelt. Das wurde irgendwann zu viel. Mit 15 bin ich deshalb nach Salzburg gezogen, habe ein Musikgymnasium besucht und ganz intensiv Harfe gespielt. In dem Moment wusste ich schon, dass ich das einmal professionell machen möchte. 

Mein nächster Schritt war ein Masterstudium in Zürich. In der Welt der Musik wählt man den Studienort nach Aufenthalt des Professors, weil es menschlich und musikalisch stimmen muss. Während meines Masterstudiums gewann ich einen Ausbildungsplatz an der Semperoper in Dresden. Wir sagen in der Musik immer „gewinnen”, weil die Auswahlprozesse wie Wettbewerbe mit verschiedenen Runden ablaufen. Nach zwei Jahren in Dresden schloss ich mein Studium ab und fing an zu arbeiten, viel zu arbeiten. Aber ich spürte, dass ich mich nicht fertig fühlte als Musikerin und noch mehr lernen wollte. Und das mache ich jetzt in Wien, wo mich Anneleen Lenaerts, die Solo-Harfenistin der Wiener Philharmoniker, unter ihre Fittiche genommen hat. Sie ist nur ein paar Jahre älter als ich und die Zusammenarbeit inspiriert mich enorm. 

Die Corona-Pandemie hat sich auf die Kultur stark ausgewirkt. Mein letztes Konzert liegt lange zurück. Aber es hat für mich auch viele positive Entwicklungen gegeben. Es gibt so viel Raum und Platz für Neues und gefühlt bin ich zum ersten Mal in meinem Leben richtig kreativ geworden. Das wird mir auch über diese Zeit hinaus bleiben. 

Die Südtirol Filarmonica hat sich schon vor Corona angebahnt, jetzt konnte ich mehr Zeit in die Gründung des Orchesters investieren. Momentan kümmere ich mich um Öffentlichkeitsarbeit und halte den Kontakt mit den Musikerinnen und Musikern. Über 250 Südtiroler ProfimusikerInnen haben sich dem Projekt angeschlossen und stellen ein Orchester, mit welchem wir im September in Südtirol auftreten werden. Und dann habe ich mit meiner Mitbewohnerin, der Sängerin und Komponistin Elisa Godino, Nuja Meditation gegründet. Das ist für mich als Musikerin ein extrem erfüllendes Projekt, weil es sehr viel Kreativität fordert. Zum ersten Mal forme und kreiere ich Musik und ich frage mich, was muss der Track haben, wie muss es klingen, wie kommen wir da hin? Vorher war ich als Musikerin vor allem Interpretin, die spielt, was auf den Noten steht. Unser neuer Meditationszyklus beinhaltet Dankbarkeitsmeditationen in verschiedenen Sprachen. Die nächste bringen wir in allen Südtiroler Landessprachen - auch auf Ladinisch - heraus.  

Die Harfe ist ein Instrument, das man schon sehr früh erlernen kann. Sie klingt bald nach etwas. Bei der Geige dauert es viel länger, bis der Musiker die Töne trifft. Das heißt nicht, dass Harfe einfach zu spielen sei. Jedes Instrument hat seine Schwierigkeiten. Bei der Harfe ist es die Koordination, weil man mit beiden Händen etwas anderes macht und auch noch die Pedale miteinbeziehen muss. Bis das automatisch abläuft, braucht es sehr viel Training. Jeder kann stundenlang üben und es perfektionieren. Wer dann so spielt, dass es berührt, das würde ich Musikalität nennen. Wenn ich im Orchester spiele und der Klang der Harfe kommt dazu, dann klingt das besonders. Die Komponisten haben den Einsatz der Harfe gezielt gewählt, um Emotionen zu schaffen. Auch optisch ist die Harfe ein sehr schönes Instrument. Ich liebe die Schnitzereien an der Säule. Meine habe ich in Chicago gekauft. Dafür bin ich mit einem Freund extra hingeflogen. Ein Instrumentenkauf ist eine sehr persönliche Sache.

Über mentale Vorbereitung für Musiker und Musikerinnen wird viel zu wenig geredet. Nervosität war  bei mir immer da, besonders je älter ich geworden bin und je wichtiger das Vorspielen wurde. Eineinhalb Jahre habe ich mit einer Mentaltrainerin gearbeitet. Sie coacht eigentlich Sportler. Aber im Grunde ist es bei uns ja nicht anders: Wir müssen auch auf Knopfdruck 120 Prozent der Leistung abliefern und mental damit zurechtkommen. Das Geschäft ist hart. Oft bewerben sich 100 Harfenist*innen auf eine Stelle. Für mich war es immer wichtig, mir ein Leben abseits von Probespielen aufzubauen. Deswegen bin ich von meinen anderen Projekten sehr erfüllt. 

Mit einer Harfenistin verbinden viele Menschen das Klischee des engelsgleichen Wesens am Instrument. Ich habe für Gigs schon unterschreiben müssen, dass ich mich weiß kleide und die Haare offen trage. Manchmal denke ich, ich sollte sie mir dunkel färben, um einen Kontrast zum Bild zu schaffen. Aber dann verwerfe ich das wieder. Unter Musikern raten wir manchmal, welches Instrument jemand wohl spielt. Und da tippt man bei mir sehr schnell auf Harfe. Das kann ausnahmsweise mal kein Zufall sein.”

©Akvile Sileikaite

 

www.isabelgoller.com

www.suedtirol-filarmonica.it

www.nuja-meditation.com

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Musik
Kunst
Klassische Musik
Jobprotokoll

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