Forschung? Langstreckenlauf, kein Sprint

Freitag, 04.06.2021
Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen Enzyme, deren Genabschnitte nicht bekannt sind: Seit 15 Jahren betreibt Südstern Katrin Watschinger Grundlagenforschung und arbeitet an der Entschlüsselung der DNA. Im Interview erzählt die gebürtige Sextnerin, warum sie gerade das Unbekannte reizt, wie kompetitiv Arbeiten in der Forschung ist und was sich für Frauen in den Jahren getan hat, seit sie dabei ist.

 

PZ: Frauen und Forschung: Wie hat sich das in den Jahren entwickelt, seit du dabei bist? 

Katrin Watschinger: Es ist einfacher geworden, und es ist immer noch schwierig. Ich sage immer, Beruf und Familie sind vereinbar, Familie und Karriere eher nicht. Auch wenn es Programme gibt, die Frauen unterstützen und es mittlerweile stark gefördert wird, dass sie naturwissenschaftliche Fächer studieren. Sie trauen sich das viel öfter zu als früher, was erfreulich ist, und sie sind auch gleich gut wie Männer. Und doch wird der Flaschenhals für Frauen ab einem gewissen Punkt enger. Ein Beispiel: Im Moment schließen mehr Frauen als Männer ein Medizinstudium ab. Aber in den Führungspositionen bleiben sie weiter extrem unterrepräsentiert. Die kritische Zeit, in der man sich im Beruf nach oben arbeitet, ist zwischen 25 und 40 Jahren. Das fällt mit der biologischen Zeit des Kinderkriegens zusammen. Es tut sich zwar viel, aber es ist auch schade, dass sich noch viel tun muss, und wir nicht einfach an dem Punkt sind, wo die Situation der Frauen anerkannt wird. 

 

Du hast zwei Kinder. Wie hast du das Unmögliche möglich gemacht?

Mein Mann unterstützt und fördert meine berufliche Tätigkeit, das ist ein wichtiger Punkt. Auch das Umfeld steht hinter mir. Meine Lösung war, alles möglichst effizient zu organisieren. Mittlerweile habe ich von 50 wieder auf 75 Prozent aufgestockt, und ich freue mich jetzt schon auf den Tag, an dem ich 100 Prozent in den Beruf zurückkehren werde. 

 

Woher kommt deine Begeisterung für die Naturwissenschaft?

Nach der Mittelschule stand ich vor der Frage, ob ich eine eher naturwissenschaftlich ausgerichtete Schule besuche oder lieber das Sprachengymnasium. Dann entschied ich mich für letzteres, weil ich dachte, die Sprachen bleiben mir und die Naturwissenschaft spare ich mir für danach auf. Das war auf lange Sicht eine super Entscheidung. Ich profitiere immer noch von Französisch und Latein. Dass diese alte Sprache mehr und mehr von den Stundenplänen verschwindet, finde ich sehr schade. Für das Chemiestudium bedeutete die Schulwahl natürlich einen nicht ganz so leichten Einstieg. In Mathematik und Physik hatte ich im Gegensatz zu meinen Studienkolleginnen und -kollegen durch die wenigen Stunden, die ich am Neusprachlichen in diesen Fächern pro Woche hatte, teilweise weniger Ahnung und musste vieles nachholen. Das war am Anfang recht hart. 

Hattest du damals schon das Ziel, in die Forschung zu gehen?

Als ich mit 19 Jahren nach Innsbruck ging, dachte ich, ich mache den Magister, komme zurück und suche mir eine Arbeit. Dann habe ich recht schnell gesehen, dass es in Sexten mit Chemie wohl schlecht aussehen wird (lacht). Das Doktoratsstudium anzuhängen war eine logische Folge. Im zweiten Teil des Studiums hat sich die Biochemie immer mehr zu meinem Feld entwickelt. Die Diplomarbeit ist ein Moment, in dem Weichen gestellt werden. Deshalb habe ich lange überlegt, wo ich sie mache. Ich entschied mich, von der Chemie hin zur Pharmakologie zu gehen. In meiner Diplom- und meiner Doktorarbeit habe ich mich dann intensiv mit Calziumkanälen beschäftigt. Mein Schwerpunkt waren jene im Gehirn. Da geht es um Weiterleitung elektrischer Signale in neuronale Zellen. 

 

Und dann kam es zur Begegnung mit einem ganz besonderen Enzym. 

Bei der Erforschung der Calziumkanäle standen elektrophysikalische Messungen stark im Mittelpunkt. Das hat mich irgendwann nicht mehr so interessiert. Ich wollte lieber richtige Biochemie machen. 2007 habe ich mich an der Meduni beworben, wo ich in der Gruppe von Ernst Werner am Biozentrum einen Post-Doc zum Enzym Alkylglycerol Monooxygenase, kurz AGMO, gemacht habe. Über Calziumkanäle ist sehr viel erforscht, es gibt mittlerweile weit über 100.000 Artikel zum Thema. Als Forscher bleibt dir da nur ein Unterbereich. 

 

War das bei AGMO anders?

Über dieses Enzym wusste man kaum etwas. Die Datenbasis spuckte vielleicht zehn Einträge dazu aus. 2010, nach drei Jahren Forschung, ist es uns schließlich gelungen, das Gen für die AGMO zu beschreiben. Vorher war nicht bekannt, wie es auf unserer DNA codiert ist. Andere Forschergruppen haben über Jahrzehnte probiert das herauszufinden. Sie sind daran gescheitert, weil das Enzym sehr instabil ist und sich nicht mittels klassischer biochemischer Protokolle reinigen lässt. Wenn du die DNA nicht kennst, kannst du das Enzym in keinem Organismus und in keiner Zelllinie modulieren. Du kannst auch nicht schauen, ob Menschen auf dem Gen-Abschnitt einen Fehler haben, weil du ihn nicht findest. Wir haben das Problem dann durch eine Kombination von bioinformatischer Suche und einem Zellkulturmodell gelöst. Das war ein signifikanter Fortschritt und hat der ganzen Gruppe einen extremen Drive gegeben. Und irgendwann sagten wir uns, es gibt auch andere spannende Enzyme, deren Genabschnitte man nicht kennt. 2020 haben wir dann das PEDS1-Enzym publiziert. Das ist uns zeitgleich mit einer anderen Gruppe gelungen. Von diesen Erfolgsmomenten leben wir. Die restliche Zeit geht es eigentlich ums Durchhalten. 

 

Was ist faszinierend am PEDS1-Projekt?

Das Enzym gehört wie AGMO zu den Etherlipiden. Eine Unterklasse sind die Plasmalogene. Man weiß, dass diese mit Alzheimer und Parkinson, also häufig vorkommenden Krankheiten, zusammenhängen, wo natürlich viel Forschung gemacht wird. Der Unterschied zwischen den Etherlipiden und den Plasmalogenen besteht in einer einzigen Doppelbindung. Das Enzym, das diese Doppelbindung einfügt, ist eine Desaturase, da haben wir das Gen beschrieben. In unserem Projekt nun schauen wir, wo der Unterschied für einen Organismus ist, wenn alle Etherlipide fehlen oder man nur das Enzym weiter hinten im Stoffwechsel wegnimmt und damit keine Plasmalogene mehr gebildet werden können. Aus dem differentiellen Verhalten können wir ableiten, ob die Etherlipide mit der Einfach- oder mit der Doppelbindung in einem Krankheitsgeschehen eine Rolle spielen. Das alles ist erst möglich, weil wir das Gen kennen. Das ist Grundlagenforschung. Wir tragen Steinchen für Steinchen zusammen.

Ist Forschung Sprint oder Langstreckenlauf?

Ganz klar letzteres. Es gibt wenige Stellen und lange ist man projektbezogen angestellt. Ich bin ein Typ, der sich immer klare Pläne macht und Ziele setzt. Aber das bedeutet nicht, dass einem alles aufgeht. Ich hatte immer gute Mentoren, die mich begleitet haben. Und ich habe in Eigeninitiative geschaut, was ich zum Erreichen des nächsten Ziels brauche. Mobilität zum Beispiel ist bei Wissenschaftlern sehr gefragt. Also habe ich viele Anträge diesbezüglich geschrieben und dann das Stipendium in Oxford bekommen. Als Assistenzprofessorin bekommst du vier bis sechs Jahre Zeit, um eine gewisse Anzahl von Publikationen vorzuweisen, Lehrtätigkeit nachzugehen und Drittmittel einzuwerben. Wenn das gelingt, folgt die nächste Stufe: assoziierte Professorin. 

 

Von da ist es nur noch ein Schritt zur Professur. Ein erklärtes Ziel von dir?

Klar. Ob ich es verwirklichen kann, hängt allerdings von vielen Umständen ab. 

 

Wie schwierig ist die Forschungsfinanzierung im Moment?

In der Grundlagenforschung war sie noch nie leicht, und jetzt in der aktuellen Situation ist sie noch schwieriger als sonst. Die Leute haben im Homeoffice mehr Anträge geschrieben für gleichbleibend oder weniger Geld. Das ist ein hochkompetitives Umfeld. Du musst immer am Ball bleiben, die Begeisterung für das Fach haben. Vor ein paar Tagen habe ich gehört, dass wir die Finanzierung für vier weitere Jahre für unser PEDS1-Projekt erhalten haben. Das sind Nachrichten, die dich mit einem Lachen durchs Leben gehen lassen. 

 

Was liebst du an deinem Beruf am meisten?

Meine Arbeit ist mein Hobby. Es tun sich immer wieder neue Welten auf, das ist unheimlich spannend. Wir forschen an etwas, publizieren darüber und mit dem neuen Wissen kannst du tausende neue Ansätze gehen, die vorher nicht möglich gewesen wären. Das wiederum beflügelt andere und Kooperationen entstehen. Wir werden auch von Ärztinnen und Ärzten weltweit kontaktiert, wenn sie Mutationen im AGMO-Gen bei ihren Patienten finden und wissen wollen, ob dieser Fehler gewisse Symptome ihrer Patienten bewirken kann. Wir bauen das Gen mit dem entsprechenden Fehler dann im Reagenzglas nach und schauen, wie es sich auswirkt. Ein kleines Puzzlestück auf dem Weg zur Frage, ob die AGMO zum Beispiel bei neurologischen Störungen eine Rolle spielt. 

 

Die Wissenschaft ist seit Ausbruch der Corona-Pandemie in den Fokus gerückt wie noch nie. Wie erlebst du das? 

Alles, was wir über das Virus wissen, wissen wir wegen der Forschung. Dass es nach so kurzer Zeit gelungen ist, Impfstoffe und Impfstoffkandidaten zu entwickeln, zeigt die enorme Bedeutung der Wissenschaft auf. Wenn ich früher von Methoden erzählt habe, die wir standardmäßig im Labor verwenden, etwa PCR-Verfahren oder der Nachweis von Antigenen durch den Einsatz von Antikörpern, dann konnten die meisten gar nichts damit anfangen. Nun treffen diese Begriffe aus der Fachwelt auf breites Verständnis. Da werden Barrieren abgebaut. Natürlich sind viele Fake-News in Umlauf. Aber der Schub und der Boom wissenschaftlicher Themen ist enorm.

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