Meran und London: Warum nicht?

Dienstag, 29.03.2022
Anna Ganthaler war schon immer eine Wandlerin zwischen den Welten. Verantwortung zu übernehmen, traute sich die heute 30-Jährige früh zu. Seit 2017 arbeitet sie bei TUI in Führungsfunktion. Im Job-Protokoll erzählt die Leiterin für Strategy und Business Transformation, warum sich hybride Modelle in Konzernen langfristig etablieren werden und ob Südtirol ein Standort für eine internationale Karriere sein kann.

 

„Mitarbeiterführung? Das war bei uns schon am Küchentisch ein Thema. Meine Eltern führten einen Betrieb in Meran. Wir lebten im gleichen Haus und ich war als Kind oft mit auf der Arbeit. Am Wochenende sind wir in unser Haus in St. Felix am Deutschnonsberg gefahren und haben unsere Zeit dort verbracht. Auf der einen Seite das Stadtleben in Meran, am Wochenende mitten in der Natur –  schon meine Kindheit war witzigerweise ein Mix aus zwei Welten. Das hat sich dann, wenn auch in etwas größerem Rahmen, in meinem Arbeitsleben weitergezogen. Bis zum Ausbruch der Pandemie arbeitete ich in London und saugte dieses Leben mit seiner Hektik, Energie und Dynamik auf. Immer wenn ich für kleine Auszeiten nach Südtirol gekommen bin, tauchte ich in diese ganz andere Welt ein. 

Dass ich einmal Verantwortung übernehmen möchte und strategische Entscheidungen treffen will, das wusste ich sehr früh. Ich habe das Humanistische Gymnasium besucht und ein Auslandsjahr in Frankreich verbracht. Das war rückblickend gesehen sicher einer der schwierigsten Schritte, die ich je gemacht habe. Mit 16 Jahren ganz alleine irgendwo hinzugehen, in ein Land, dessen Sprache man nicht richtig beherrscht, das war hart. Aber danach hatte ich keinen Respekt mehr vor ähnlichen Entscheidungen…

Nach der Matura habe ich ein Jahr lang bei einer Unternehmensberatung in Südtirol gearbeitet. Ich wollte zwar studieren, wusste aber nicht genau, was. Die Firma hat unter anderem Marketing und Destinations- und Projektmanagement gemacht, was mir gleich gut gefallen und mich schließlich auf das richtige Studium gebracht hat. In Salzburg habe ich ein Wirtschaftsstudium mit Schwerpunkt Tourismus angefangen. Das war berufsbegleitend: Drei Monate Studium und drei Monate Arbeit wechselten sich immer ab. Dadurch kam nie Langeweile auf und ich bekam extrem viel Praxiserfahrung. Ein großer Vorteil, ein Studium kann heute fast jeder vorweisen. 

Nach dem Abschluss  machte ich ein Praktikum bei Lufthansa. Da war ich Teil eines Projektes, das die Einführung einer neuen Reiseklasse auf der Langstreckenflotte vorangetrieben hat. Das Konzernleben mit seiner Internationalität hat mich inspiriert. Als ich erfahren habe, dass große Konzerne Nachwuchsführungskräfte ausbilden, habe ich recherchiert und gesehen, dass TUI in diesem Bereich ganz vorne mit dabei ist. Und so habe ich mich beworben. Ich war eine von über 2.500 Interessenten, und es gab nur sieben Ausbildungsplätze. Das Auswahlverfahren zog sich über ein halbes Jahr und lief in mehreren Schritten ab. Am Ende wurde ich tatsächlich genommen. 

In diesem Moment ist meine Karriere richtig gestartet. In den 18 Monaten meiner Ausbildung ging ich alle drei Monate in ein anderes Land und lernte immer eine andere Abteilung kennen. Besonders die unterschiedlichen Unternehmenskulturen waren spannend. Im Norden sind die Hierarchien zum Beispiel sehr flach, in Deutschland hingegen nicht. Und dann hatte ich jedesmal einen anderen Manager an der Seite. 

Am Ende der Ausbildung bekam ich in meinem neunen Job sehr schnell ein eigenes Team. Meine Funktion: Leiterin Business Improvement und Unternehmensstrategie. Oft passiert es, dass Fachabteilungen die erarbeiteten Strategien der Strategieabteilung nicht umsetzen können, weil zum Beispiel der Weitblick oder Zeit fehlen. Die Leute in der Strategieabteilung bleiben dann in ihrem Elfenbeinturm oft auf tollen Ideen sitzen. Das Spannende an meiner Rolle ist, dass ich Strategien mit dem Top-Management ausarbeite und dann aber auch in die Business Transformation mit meinem Team hineingehe. Wir reden da von riesigen Projekten, die über lange Zeit angelegt sind. Eines davon betrifft zum Beispiel die Digitalisierung. Gerade führen wir eine neue Technologie ein, die wir selber entwickeln. Und dann geht es auch um die Mitarbeiter selbst, für die wir etwa neue Rollenprofile erstellen und diese der digitalen Welt anpassen.

In der Firma ist durch die Auswirkungen der Pandemie eine Dynamik entstanden, in der viel vorangebracht wurde. Entscheidungen werden jetzt viel schneller getroffen. Die Reisebranche steht trotz aller Unkenrufe der Anfangszeit gut da. Die Menschen brauchen einen Szenenwechsel, sie fahren in Urlaub, sobald sie können. 

Smartworking war für TUI lange vor Corona kein Fremdwort, auch digital waren wir gut aufgestellt. Trotzdem hat sich noch einmal viel verändert. In das riesige Großraumbüro in London sind bis heute die meisten Mitarbeiter nicht wieder an den Arbeitsplatz zurückgekehrt. Sie sind nach Hause zurückgezogen oder in eine Destination, wo sie ihre Zukunft sehen. Auch ich arbeite seit mittlerweile fast zwei Jahren von Südtirol aus. Besprechungen, die früher zwingend in Präsenz stattgefunden haben, werden heute online gemacht. Sich in einem Video zu sehen, reicht nicht mehr aus. Wir verwenden Tools, die einen Austausch ermöglichen, als ob man direkt zusammenarbeiten würde. Hier haben wir stark nachgerüstet. Zu meinen, dass jeglicher persönliche Austausch virtuell ersetzt werden kann, ist aber ein Trugschluss. 

Werden wir alle wieder nach London zurückgehen? Ich denke nicht. Für die Zukunft kann ich mir ein hybrides Modell vorstellen. Es braucht das persönliche Mitarbeitergespräch, den gemeinsamen Kaffee, das Mittagessen. Man wird sich also in einem gewissen Zeitabstand immer mal wieder persönlich treffen, sich austauschen und strategisch besprechen, wie die nächste Zeit abläuft. Und dann kehrt jeder wieder an seinen Arbeitsort zurück. Das ist in einem großen Konzern natürlich leichter möglich, keine Frage. 

Wenn du so ein Set-up hast, kannst du überall arbeiten. Und somit sind die Veränderungen, die Corona angestoßen hat,  auch eine große Chance für Südtirol. Ein Nachteil ist hier aber weiterhin die Anbindung an große Zentren in Europa. Das heißt nicht zwingend, dass Südtirol einen größeren Flughafen braucht. Aber die Verbindungen und Möglichkeiten müssen sich verbessern, wenn wir von Südtirol aus international arbeiten wollen. 

Im Moment wechsle ich wieder zwischen St. Felix und Meran. Diese räumliche Veränderung brauche ich, weil ich ja schon seit zwei Jahren im Homeoffice arbeite. Ich sehe physisch den ganzen Tag keine Personen. So eine Art zu arbeiten, muss man sich gut einrichten und dabei die psychische Gesundheit im Blick behalten. Manchmal miete ich mich mit anderen, die so arbeiten wie ich, in ein Apartment ein. Am Abend machen wir dann was zusammen oder gehen am Wochenende Skifahren. Solche Perspektivwechsel sind wichtig. 

Mein Frausein in einem Karrierejob ist immer mal wieder ein Thema. Wie kommt man in so eine Position? Durch konstante Leistung, ganz einfach. Viele denken, dass Frauen durch die Quote auf ihre Position rutschen. Das Thema sehe ich deshalb zwiespältig. Einerseits ist die Sichtbarkeit von Frauen wichtig, denn im Denken ist noch viel zu oft verankert, dass bedeutungsvolle Positionen von Männern besetzt werden, da hilft sicher auch die Quote. Auf der anderen Seite nervt sie mich aber auch, eben weil viele denken, eine Frau habe es nur deshalb geschafft. Wir müssen zu einer Gesellschaft kommen, wo Leistung zählt und das Geschlecht irrelevant ist.  

Mein Job in Strategie und Business Transformation ist nicht an den Tourismus gebunden. Ein Wechsel in andere Industrien wäre für mich leicht möglich. Im Moment bin ich sehr glücklich im Unternehmen, auch die Mitarbeiterkultur ist spannend. Gerade in einer Krise lernt man sehr viel. Ein Wechsel wäre da für mich nie in Frage gekommen. Meine Zukunft sehe ich in einer internationalen Umgebung mit verschiedenen Unternehmenskulturen. Dabei von Südtirol aus international tätig zu sein, sei es für einen Konzern oder für ein Südtiroler Unternehmen, kann ich mir sehr gut vorstellen. Solange ich nur genug zwischen den Welten wandeln kann.”

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