Alles eine Frage der Haltung

Mittwoch, 15.06.2022
Er hat ein Theater gegründet, feilt mit Politiker*innen an ihrer Rhetorik und stellt Straßenfestivals auf die Beine. Mit gerade einmal 27 Jahren hat Südstern Philipp Falser schon viele Pflöcke eingeschlagen. Im Interview erzählt er, warum Kultur offener werden muss, mit welchen Politikern er nie arbeiten würde und wie er den Sad-Skandal aus rhetorischer Sicht bewertet.

 

 

Philipp, wenn man sich deinen Lebenslauf anschaut, kommt man nicht umhin zu denken: Der hat sich ausprobiert. 

Es stimmt, ich hatte immer schon viele Interessen, habe auch immer lieber drei Sachen gleichzeitig gemacht als in die Schule zu gehen. Mein Ziel ist seit jeher, Projekte zu machen und Leute kennenzulernen, die einen spannenden Hintergrund haben und mir dabei auch abzuschauen, wie andere Probleme lösen. 

 

Du bist in Esslingen am Neckar aufgewachsen, deine Eltern stammen beide aus Südtirol. War immer klar, dass Philipp Dialekt lernt?

Immer. Daheim haben wir Dialekt geredet, das war meinen Eltern wichtig. Die Verwurzelung mit Südtirol war immer stark. Bis zu Grundschule habe ich die Hälfte der Zeit in Bozen verbracht. Als ich dann in die Schule kam natürlich weniger. Wobei ich seit jeher jede freie Minute in Südtirol verbringe.

 

Was ist denn in deiner beruflichen Entwicklung rückblickend zuerst gekommen? Das Reden und Kommunizieren? Oder das Spielen und Inszenieren?

Es war die ästhetische Kommunikation, also das Theater. Damit habe ich schon in der vierten Klasse angefangen. Nach der Schule habe ich in Stuttgart meinen Bachelor in Sprechkunst gemacht. Es gab nur acht Studienplätze, ein ganz kleines Umfeld. Da kam ich dann auch immer mehr zum Inszenieren. Ich habe es in der Zeit geschafft, ein Theater zu gründen und zu finanzieren, was ja der viel schwierigere Part ist. Somit kam auch das Inszenieren dazu. Und als Vorsitzender des Netzwerks Kultur in Esslingen habe ich auch eine kulturpolitische Aufgabe. Und dann habe ich angewandte Rhetorik studiert, da gab es nur zwei Studienplätze und mehr Professoren als Studenten. 

 

Ist Philipp Falser etwas provokant gesagt der zweite Südtiroler neben Markus Lanz, der richtig Hochdeutsch kann?

Als ich in die Schule gekommen bin, habe ich laut gesagt: Was ist das für ein Puff da? Da wurden gleich meine Eltern angerufen und es gab das erste Elterngespräch (lacht). Die anderen Kinder haben mich oft nicht verstanden und ich sie nicht. Nach der Schule dachte ich, ich kann Hochdeutsch, aber tatsächlich war es hier im Stuttgarter Raum ein Hochdeutsch mit Süddeutscher Färbung. Im Studium habe ich es dann klassisch gelernt. Es ist ein Handwerk und eine Frage des Trainings. Wobei ich den Dialekt verteidige. Gerade wenn es um Schwäbisch und Sächsisch geht, stehen die Leute nicht zu ihrem Dialekt, weil er negativ konnotiert ist. Hochdeutsch muss in meinen Augen eine zweite Sprache sein, was nicht passieren darf, ist eine Dialektreduktion. Wenn ich nach Südtirol schaue, ist genau das meine Befürchtung. Dass man eben immer weniger zum Dialekt steht und versucht, Hochdeutsch zu reden und sich in dem Bereich auch anbiedert. 

 

War es schwierig, richtiges Hochdeutsch zu lernen?

Zunächst wird im Studium alles zerlegt und dann wieder neu zusammengesetzt. Ich habe drei Jahre gebraucht, täglich Artikulationsübungen gemacht. 

 

Was macht gute Kommunikation aus? 

Für mich ist Rhetorik keine Technik, sondern eine Menschenkunde. Ein Zeichen der Zeit ist ja oft, andere zuzutexten, um sie von der eigenen Meinung zu überzeugen. Gute Kommunikation fängt bei einer klaren ethischen Haltung an: Ausgehend von einem Menschenbild, das der Würde eines jeden gerecht wird, geht es mir um eine kooperative Rhetorik, die nicht machtausübend und manipulierend ist, sondern wertschätzend und um die Wahrheit ringend.

 

Hast du den Sad-Skandal verfolgt? Da gab es aus kommunikativer Sicht ja einiges zu beobachten. 

Das echte Leben bietet immer die besten Geschichten. Von Politikerinnen und Politikern wird ja immer Authentizität gefordert. Aber wenn sind authentisch sind, heißt es oft, dass sie ihrer Rolle nicht gerecht werden. Das hat man ganz gut beim Sad-Skandal gemerkt. Zu sagen, das sei alles nur blödes Gerede gewesen, ist zunächst einmal authentisch. Aber man hat eben auch gemerkt, dass Authentizität alleine nicht reicht. Es fehlte an Haltung. Der Skandal lässt sich nur lösen, wenn jemand sich selbst eingesteht, dass es ein Fehler war, diesen auch aufzuzeigen und nicht abzutun. Das ist ja genau gleich in der Ibiza-Affäre passiert.  Manch einer möchte jetzt aber vom Skandal ablenken. Was jedoch der Sache nicht dienlich ist. Etwa mit der Frage, ob es zulässig war, die Protokolle zu veröffentlichen. Diese Fragen kann man sich natürlich stellen. Aber nicht derjenige, der ertappt worden ist. Damit befeuert jemand den Skandal ja weiter. Wenn ich aber Haltung zeige und mich entschuldigen kann, dann kann so ein Skandal auch positiv genutzt werden. 

Fällt dir ein Beispiel ein, wem das gelungen ist?

Margot Käßmann. Die damalige Vorsitzende der evangelischen Kirche ist angetrunken im Auto erwischt worden. Sie hatte die Größe, klar zu benennen, einen Fehler gemacht zu haben und dass das nicht duldbar sei für eine Person in ihrer Position. Sie hat es geschafft, dem Skandal vorzubeugen, in dem sie es nicht kleingeredet hat. Sie ist gestärkt da rausgegangen. Selbst ihre Kritiker zollten Respekt für ihre klaren Worte. 

 

Du bist 27. Fällt es den Leuten schwer, von einem so jungen Menschen wie dir Tipps in puncto Auftreten und Rhetorik anzunehmen?

Manchmal ist das Alter ein Nachteil, aber nur sehr kurz. Ein Politiker merkt schnell, ob man kann, wovon man redet und ob man in der Lage ist, es praktisch umzusetzen. Am herausforderndsten sind aber nicht Politiker, sondern Juristen in Großkanzleien. Für sie ist das Alter oft entscheidend, weil sie sehr hierarchisch organisiert sind.

 

Sind Sie auch harte Brocken, wenn es um Rhetorik selbst geht?

Der Jurist liebt Substantivierungen. Diese führen aber immer zu Passivität. Wenn ich sage: Ich bin Rechtsanwalt bei der Firma XY und ich bin verantwortlich für Gesellschaftsrecht, dann löst das im Gegenüber nichts aus. Weil ich mir nichts drunter vorstellen kann. Das ist eine Herausforderung für Juristen. So wie sie Hierarchien verinnerlicht haben, sind sie eine gewisse Sprache gewöhnt. Das Gemeine an der juristischen Fachsprache ist, dass sie so tut als wäre sie keine. Im Gegensatz zur Fachsprache des Ingenieurs verwendet der Jurist Worte, die wir im Alltagsgespräch auch verwenden. Für den Juristen bedeuten sie jedoch was anderes.

 

Welche Aussagen oder Sprüche sind in der Kommunikation ein No-Go?

Was nicht geht, und das sieht man sehr oft: Dass man sich gar nicht mehr zuhört, etwa in Talkshows, wo es oft nur mehr um die Show geht, nicht um das gemeinsame Ringen um die beste Lösung. Da stimmt die Haltung nicht. Leute aus der Kommunikation ausschließen, geht auch nicht. In der Kultur ist das oft der Fall. Sich zum Beispiel ständig den Rechten zu verschließen, indem man sagt, sie dürfen nicht ins Theater. Viel wichtiger wäre es, hier in den Dialog zu treten. Sprüche, die gar nicht gehen, gibt es natürlich auch. Was angemessen ist, entscheidet sich immer an der Situation. Was aber immer schlecht ist, sind Verallgemeinerungen oder Suggestivfragen, damit werden wir unserem Gegenüber nicht gerecht.  

 

Mit welchem Südtiroler oder welcher Südtirolerin würdest du gerne einmal arbeiten?

Um im Politischen zu bleiben: Sehr stark finde ich, was die Grundhaltung und die klaren Aussagen betrifft, Julia Unterberger. Oder Winfried Kretschmann und Norbert Röttgen auf großer Ebene in Deutschland. Und dann gibt es sicher jede Menge Führungskräfte in der Südtiroler Wirtschaft, mit denen eine Zusammenarbeit spannend wäre. 

 

Mit wem würdest du nie arbeiten?

Mit Parteien, die meinem Wertekonstrukt widersprechen wie die AFD oder Die Linke. Auch mit dem linken Flügel der SPD arbeite ich nicht mehr zusammen.

 

Bist du ein politischer Mensch?

Ja, unbedingt. Politik ist letztlich ein Grundbestandteil der Öffentlichkeit. Wenn ich in Esslingen versuche, die Kultureinrichtungen zu erhalten, Finanzierungen langfristig sicherzustellen, dann ist das eine politische Tätigkeit. Politikern zu erklären, dass Kultur wichtig ist, bringt nichts. Man muss ihnen klar machen, wo der Nutzen ist. Dann funktioniert das auch. 

 

Mit deinem Straßenkunstfestival betreibst du Kulturvermittlung. 

Wir haben drei Festivals auf die Beine gestellt, in Heilbronn, Esslingen und nun kommt ein weiteres dazu. Da habe ich Führungsverantwortung und kann viel von dem, was ich gelernt habe und tagtäglich vermittle, anwenden. Ich organisiere die Finanzierung, stelle sicher, dass Künstler aller Genres vertreten sind und Kultur niederschwellig möglich wird. Nur fünf Prozent unserer Gesellschaft gehen ins Theater. Es heißt aber immer: Theater ist der Kitt unserer Gesellschaft. Das stimmt so nicht ganz, wenn wir nur einen Bruchteil der Menschen erreichen. Mit einem Straßenkunstfestival sprechen wir Leute an, die nie in ein Museum oder Theater gehen würden. Die erleben dann, dass das Spaß macht. Da kann ich auch nur fünf Minuten zuschauen, und muss nicht eine Stunde ruhig auf dem Stuhl sitzen. Kultur genießen muss man üben wie das Trinken eines guten Weins. Nach dem Üben stellt sich dann der Genuss ein.

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