Aber dann packt sie einen halt doch wieder, die Nabelschau. Mich hat sie in jener Kreuzberger Hinterhofbar gepackt. Da hatte der Barista so einen Klang in der Stimme. Bist du Österreicher?, fragte ich ihn. Nein, Südtiroler, antwortete er. Und fing an, automatisch herunterzulabern, was ich auch automatisch immer herunterlabere: Nein, kein Italiener, nein, auch kein … Ich unterbrach ihn. Ich bin Traminer, sagte ich. Er sei Neumarkter, sagte er. Und schon lagen wir uns in den Armen und sind seitdem Freunde.
Ja, natürlich ist das Blödsinn, wenn man sich so verbrüdert, sagte mir eine Freundin aus Luxemburg an einem anderen Abend in einer anderen Kreuzberger Hinterhofbar. Und natürlich sei das der Beweis, dass auch ich nicht der Nabelschau der Südtiroler entkommen kann, und ich solle mir bitte nichts darauf einbilden. Bildet euch, ihr lieben Südtiroler, bitte nichts auf eure Nabelschau ein, sagte sie mir. Wir Luxemburger machen das nämlich genauso.
Viele Südtiroler zieht es nach Südtirol zurück. Auch mich hat es erwischt. Keine Ahnung, warum. Ich bilde mir indes ein, ich bleibe nur ein Weilchen. Dann gehe ich wieder. Aber ob ich das wirklich mache? Eigentlich egal. Wichtig ist nur, dass ich – wir! – im Kopf frei sind. Dann sind wir überall frei. In Neuseeland, in einer Kreuzberger Hinterhofbar, in Gsies, in Salurn. In Italien, in Österreich. Freie Südtiroler in aller Welt.
LENZ KOPPELSTÄTTER
findet die unterschiedlichen Biografien der Südsterne spannend und den Austausch mit Südtirolern in aller Welt bereichernd. Es selbst ging zum Studium nach Bologna, München und Berlin. In der deutschen Hauptstadt arbeitete er über zwölf Jahre lang als Reporter und Medienentwickler. Heute lebt er wieder in seinem Heimatdorf Tramin, ist für Magazine wie „Geo“ und „Salon“ in der Welt unterwegs und schreibt Bücher, die regelmäßig auf den deutschen Bestsellerlisten landen („Das dunkle Dorf – Ein Fall für Commissario Grauner“ oder „Hubert Messner – Der schmale Grat“).