Im Bild: Erwin Hinteregger (©IDM)
Kluge Köpfe ins Land (zurück-)holen – das steht in Südtirol bei vielen Unternehmen seit Jahren auf der Agenda ganz oben. Warum gelingt es nicht in dem Ausmaß wie gewollt?
GERT: Der Hauptsitz meines Unternehmens war immer Bruneck. Das war damals nie ein Problem, im Übrigen auch die Mitarbeitersuche nicht, die heute ungleich schwieriger geworden ist. Teile unserer Module wurden in China produziert, die Logistik saß in Bozen und später Verona, aber das Herz war Bruneck. Wenn wir über den Standort Südtirol reden, dann höre ich heute immer heraus, dass es dabei um Gäste geht. Wir sollten uns aber auch schleunigst um die Bedürfnisse qualifizierter Arbeitskräfte kümmern, die sich vorstellen könnten, hier zu arbeiten. Ich kenne ein Paar, er Südtiroler, sie aus Asien, die haben es wirklich versucht, aber nicht geschafft. Die haben es hier nicht ausgehalten, weil es verflixt schwierig ist. Denn am Ende sind wir ein Dorf, und genau deshalb ist es manchmal schwierig, diese Leute langfristig für Südtirol zu begeistern.
Wie könnte es gelingen?
GERT: Es gibt im Land hochtechnologisierte Unternehmen mit großem Bedarf an spezialisierten Arbeitskräften. Hier unterstützend einzugreifen, ganz selbstverständlich hybride Modelle zu schaffen, das muss ein Ziel sein. Der Standort, an dem sich jemand befindet und arbeitet, muss unwichtiger werden. Das würde enorm helfen. Sind wir mal ehrlich: Für Südtiroler Industrien ist es viel attraktiver, Leute ins Land zu holen, die etwas vom Ausland gesehen haben. Viele von ihnen haben aber Partner, die aus einem anderen Land kommen. Es bräuchte also eine Art Begleitprogramm, um die Leute zu integrieren – auch ihre Partner. Wenn die Familie nicht ankommt, ist der Aufenthalt von kurzer Dauer.
ERWIN: Es fängt schon bei flexiblen Arbeitszeiten an. Im internationalen Kontext müsste man sagen, es ist o. k., wenn jemand drei Monate vor Ort ist und dann eine Zeitlang dort, wo die Familie lebt. Oder, dass man sich die Zeit anders einteilen kann. Mit besonderen Arbeitsmodellen gewinne ich auch gute Leute.
DORIS: Ich könnte mir vorstellen, irgendwann zurückzugehen. Aber die beruflichen und privaten Herausforderungen sind enorm. Mein Mann und ich arbeiten beide im Bankwesen. Den Job, den wir machen, gibt es in Südtirol gar nicht. Und dann ist da noch die Herkunft. William ist Sizilianer. Er verbringt gern ein paar Tage in Südtirol. Aber dann wird es ihm schnell zu eng …
ERWIN: Ich kenne das. Meine Frau kommt aus Südspanien, wo die Mentalität sehr ähnlich zu Sizilien ist. Multinationale Unternehmen machen es einfach für Manager und ihre Familien und nehmen ernst, ob der Partner happy ist. Das Land Südtirol kann dabei eine Hilfestellung geben, aber ich sehe auch die Unternehmen in der Pflicht. Ein riesiges Problem ist die Zweisprachigkeit hier im Land, obendrauf kommt noch der Dialekt, und es gibt keine englische Schule. Aus diesem Grund hat meine ältere Tochter ihren International Baccalaureate, also ihre Matura, nicht in Südtirol machen können. Wir bräuchten dringend eine internationale Schule in Südtirol.
Trient hat eine, Südtirol nicht. Warum?
ERWIN: Es ist ein bisschen zur Südtiroler Mentalität geworden, dass die Öffentlichkeit alles institutionalisieren muss. In anderen Ländern ist es normal, dass Unternehmen eine Schule sponsoren. Vielleicht müsste man auch in diese Richtung denken.
Was hat Südtirol, was andere nicht haben?
ERWIN: Eine enorme Lebensqualität. Seit ich wieder hier lebe, fühle ich mich gesünder als vor zehn Jahren. Die Landschaft, die soziale Struktur, das Familiäre, die Infrastrukturen und die gesamte Lebensqualität sind eine Qualität, das kann man nicht anders sagen.
GERT: Die Landschaft kann auch ein Nachteil sein. Die Erreichbarkeit ist in der Peripherie eingeschränkt und macht es für Unternehmen nicht einfach. Was Südtirol neben der Lebensqualität besonders ausmacht, sind die Charaktereigenschaften der Menschen. Egal, wo du als Südtiroler hinkommst: du wirst als offen, freundlich und irgendwie cool angesehen. Das zeichnet uns aus – und wirkt sich auch auf die Arbeitswelt aus.
ERWIN: Ich finde eines wichtig: Wenn wir davon sprechen, kluge Köpfe zurückzuholen, dann geht es nicht in erster Linie um die Frage, wie Topmanager für das Land begeistert werden können.
Sondern?
ERWIN: Wir brauchen auch gute junge Leute. Wir müssen deshalb mit den Universitäten in einem Umkreis von 500 Kilometern Entfernung in Kontakt bleiben und rechtzeitig eine Bindung aufbauen. Ich kenne viele Leute, die seit 20 oder mehr Jahren im Ausland sind und alle, wirklich alle wollen zurück. Aber da ist nicht nur die Frage des Jobs, der vielleicht nicht ganz passt. Da bleibt auch noch der Faktor Geld.
Wie wichtig ist Geld bei der Standortfrage?
DORIS: Nicht irrelevant.
ERWIN: Natürlich ist es wichtig für die Leute: Das Gehaltsniveau im Land, übrigens in ganz Italien, ist ungleich niedriger als im Ausland. Wer sich für Südtirol entscheidet, muss oft große Abstriche machen. Ich versuche immer wieder, Leute für einen Job hier zu motivieren, aber am Ende hält sie oft die Geldfrage davon ab. Wenn man älter wird, verändert sich das vielleicht ein Stück weit. Weil dann eben die anderen Vorteile überwiegen, die das Leben in Südtirol mit sich bringt.
Doris, war Lebensqualität ein Treiber bei der Wahl deiner bisherigen Stationen?
DORIS: Wenn es um die Frage der Lebensqualität geht, muss ich beim aktuellen Standort anfangen. Nach Mailand zu gehen war eine durchdachte Entscheidung. Hier können mein Mann und ich in Jobs arbeiten, die uns erfüllen. Meine Arbeit erlaubt mir, einen Tag in Paris zu sein, am nächsten in London oder Frankfurt, mich mit Kollegen international auszutauschen. Es liegt aber auch halbwegs nahe an Südtirol. Ich kann meinem kleinen Sohn meine Heimat zeigen und meine Familie einfacher besuchen. Das ist mir sehr wichtig – ich möchte diese Bindung aufrechterhalten.
Und bei früheren Standorten?
DORIS: Da wollte ich weg, um etwas anderes zu sehen. Die Uni-Wahl Wien war mehr ein Zufall. Nach Asien ging ich, weil ich für mich herausfinden wollte, wie es ist, in einer ganz anderen Welt zu leben. London lag – für die Arbeit in der Finanzwelt – nahe. Ich finde, jeder junge Mensch sollte die Möglichkeit haben, in die Welt hinauszugehen und neue Erfahrungen zu machen. Wir Südtiroler sind ein bisschen ein eigenes Volk, das sich sehr verbunden ist. Das sieht man auch im Ausland, wo Südtiroler sich gern treffen, was Südstern ja auch unterstützt. Aber Südtiroler wollen nicht nur mit ihresgleichen unterwegs sein, denn sie schätzen auch den Austausch mit Menschen aus anderen Ländern. Da schlagen zwei Herzen in einer Brust: das eine hängt an Südtirol, das andere will die Welt erkunden.