Von der Skipiste auf den Mars

Mittwoch, 15.03.2023
2008 gewinnt Hagen Patscheider bei der Junioren-WM die Goldmedaille in der Abfahrt. Alle Zeichen stehen auf eine Karriere im alpinen Skiweltcup, bis Rückenprobleme den Langtauferer zum Karriereende zwingen. Ein schwieriger Moment. Heute baut der Produktsicherungsingenieur mit seinem Team in Bremen an einem Roboter, der 2024 auf dem Marsmond Phobos eingesetzt wird und zeigt: Es gibt viele Türen im Leben, man muss sie nur aufmachen.

 

 

Hagen, wie bist du zum Skifahren gekommen?

Das lief bei mir ganz klassisch ab. Mit 5, 6 Jahren war ich im Skiclub, dann bin ich bei ersten Kinderrennen gestartet und da langsam hineingewachsen. Irgendwann wurde klar, dass ich gute Voraussetzungen habe, um einen Schritt weiterzugehen. 

 

Einen richtig großen sogar: Du bist Juniorenweltmeister in der Abfahrt geworden. Dann machte dir eine Verletzung einen Strich durch die Rechnung. 

2012 hatte ich so große Rückenschmerzen, dass ich mich an den Bandscheiben operieren lassen musste. Nach der OP war es nicht mehr wie vorher. Vielleicht ist da auch eine psychische Komponente dazu gekommen, ich hatte einfach nicht mehr das Urvertrauen. Damals startete ich noch im Welt- und Europacup, aber ich habe gesehen, dass es nicht mehr so funktioniert. 

 

Ein Tiefpunkt?

Ich bin tatsächlich in ein Loch gefallen, aber schon viel früher. Als ich auf die OP wartete, hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Was mache ich? Wie geht es weiter? Was passiert, wenn der Rücken nicht mehr so wird? Solche Fragen schossen mir durch den Kopf. Das war eine harte Phase. Aber dann fiel mir bald ein, dass ich schon als Kind immer studieren wollte. Das wäre schwierig gewesen nach einer ausgedehnten Skikarriere. Mir war klar, dass mein Rücken nicht mehr gut genug ist für den Spitzensport. Deshalb ist mir die Entscheidung am Ende doch leicht gefallen. 

 

Du hast dann Sport- und Ingenieurwesen studiert. War das ein Versuch, zwei Welten miteinander zu kombinieren?

Ja, das stimmt. Technik hat mich immer interessiert, Sport war ein großer Teil von mir. Schon während der aktiven Laufbahn war das so. Ich wollte mich nicht nur aufs Waxeln und den Kontakt mit dem Servicemann konzentrieren. Ich wollte wissen, wie die Skier hergestellt werden, welche Materialien dafür benutzt werden, eben das Verfahren dahinter. 

 

Von der Piste an die Uni – wie war das? 

Überhaupt nicht einfach. Ich habe die Sportschule besucht, also eine Handelsschule. Da gab es keine Physik, Mechanik. In einem technischen Studiengang anzutreten, war eine Herausforderung. Ich war 26, meine Kommilitonen 18. Sie haben zuerst mal gefeiert, ich habe gelernt. Das war der größte Unterschied. Ich wusste einfach, dass ich von Anfang an mitmachen muss. 

Foto: Weltcupabfahrt Gröden. Photocredit: Agance Zoom

 

Nach dem Bachelor hast du noch einen Master in Maschinenbau angehängt. 

Produkte zu entwickeln, wo du menschliches Wissen und technische Erfahrung brauchst, hat mir gefallen. Trotzdem: Ich steckte mitten im Bachelorstudium, da entstand der Wunsch in mir, ein vollwertiger Ingenieur zu werden. 

 

Du arbeitest heute am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Bremen. Wie kam es?

Es war keine Autobahn, die mich da hingeführt hat. Ich bin Quereinsteiger. Viele meiner Kollegen haben Luft- und Raumfahrt studiert. Bei mir hat es Umwege gebraucht. Die Qualifikation habe ich erst durch den Master erlangt und den Job selbst durch eine Initiativbewerbung. Zum Glück hat meiner Chefin meine Bewerbung gefallen. 

 

Was hat dich gereizt, in der Raum- und Luftfahrt zu arbeiten?

Die Astronomie hat mich immer schon interessiert. Wie die Sterne heißen, wie das Planetensystem entstanden ist, wie groß unser Universum ist. Solche Dinge. Oft habe ich das als Hobby sogar mit dem Skifahren verbinden können. In Argentinien hatte ich die Möglichkeit, die Sterne des Südhimmels zu sehen. Und jetzt kann ich dieses Interesse mit der Arbeit verbinden. 

 

Fotos von links: Skitour in Rojen 2020. Photocredit: Privat; Aufstieg zur Mitterlochspitze in Langtaufers. Frühjahr 2022 Skitour. Photocredit: Markus Eller

 

Seit drei Jahren arbeitest du am MMX-Rover-Projekt, einem Rover, der für den Marsmond Phobos entwickelt wird. 

Neben Satelliten entwickeln wir kleine Explorer, also Fahrzeuge, die für die Forschung gedacht sind. Sie tragen in kleinen Schritten dazu bei, dass wir unsere Welt und unser Sonnensystem besser verstehen. Mein Glück war, dass ich dieses Projekt von Anfang an begleiten konnte. Jetzt sind wir in der Phase, dass wir den Rover bauen und testen. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen der französischen und der deutschen Raumfahrtagentur. Das Ziel ist der Marsmond-Phobos. Eine japanische Mission wird den Rover da hinbringen und wir werden auf dem Phobos landen können. Wir erforschen, wie die beiden Marsmonde Phobos und Deimos entstanden sind. Durch ein Spektrometer, das wir mithaben, wird es hoffentlich gelingen, Rückschlüsse zu ziehen, welches Material wir unter dem Rover haben. Dieses Projekt ist eine unbemannte Mission, die von zwei Kontrollzentren in Deutschland und Frankreich aus über Japan gesteuert wird. Wir befinden uns gerade in der finalen Testphase. Der Rover ist gebaut und befindet sich aktuell bei den französischen Partnern. Im Juli geht er nach Japan, wird auf der Sonde installiert und 2024 im August geht es irgendwann los. Wir sind schon alle sehr gespannt. 

 

Was ist deine Aufgabe am Projekt?

Es hat eine Weile gedauert, bis ich wusste, was ich da mache. Oder mit anderen Worten: Es ist kompliziert. Schlussendlich liegt alles, was mit Qualität zu tun hat, in meiner Verantwortung. Ich mache die Produktsicherung für alle Produkte des Rover, die vom Deutschen Zentrum für Raum- und Luftfahrt kommen. Schon in der Planungsphase stellen wir Anforderungen an die Materialien. Strahlung, Temperaturen: Im Weltall herrschen extreme Bedingungen. Das Material muss beständig sein. Wir testen also die Hardware, sämtliche Teile, die verbaut werden. Nach jedem Arbeitsschritt, der am Rover gemacht wird, muss jemand mit meinem Berufsbild das abnicken. Wir nennen das Schlüsselinspektion.

Fotos von links: eines der letzten Skirennen (Riesentorlauf 2014). Photocredit: Privat; Abfahrt vom Bärenbartkogel 2019. Photocredit: Markus Eller

 

 

Wird nur ein Rover für die Mission gebaut oder gibt es mehrere? 

Wir haben mehrere Modelle, die jedoch nur dazu dienen, spezielle Aspekte zu testen, zum Beispiel die Landung auf dem Phobos oder das thermale Verhalten. Schlussendlich bauen wir ein einziges Flugmodell, man nennt das in der Raumfahrt den sogenannten Protoflight-Ansatz. 

 

Was bringt die Zukunft?

Wenn wir den Rover in Japan abgeben, werde ich persönlich dabei sein. Mit dem Start der Rakete sind wir aus dem Projekt raus. Wir werden dann nur noch konsultiert, wenn es Probleme gibt. Dann werde ich mich auf die Suche nach einem neuen Projekt machen, ich würde gerne in der Raumfahrt bleiben. 

 

Somit ist Südtirol als Wohnort vorerst mal raus. Gibt es einen Ort in der Heimat, wo der Himmel besonders schön anzuschauen ist?

Südtirol ist ein guter Platz, um die Sterne zu beobachten. In Mitteleuropa ist die Lichtverschmutzung in den Hochalpen sicher am geringsten. Da hast du gute Chancen viel zu sehen. In Maseben, wo ich herkomme, gibt es eine kleine Sternwarte. Da schaue ich öfter mal vorbei. 

 

Ist der Mars nun der wichtigste Punkt für dich am Sternenhimmel?

Wegen der Mission schaue ich sicher öfter, ob man ihn sieht. Es ist schon faszinierend, einen Planeten von der Erde aus zu sehen. Und dann noch zu wissen, dass in zwei Jahren ein Objekt da rauffliegt, das man selbst in der Hand gehabt hat. 

 

Wem drückst du die Daumen, wenn ein Skirennen ist?

Natürlich dem Domme. Wir waren zusammen auf der Sportschule und im Landeskader. Unsere Skikarriere haben wir zusammen angefangen und damals habe ich ihn manchmal noch abgehängt (lacht).

 

Du hast so viele Jahre hart trainiert. Was hast du aus dem Sport in dein Berufsleben mitgenommen?

Ganz generell glaube ich, dass Sport eine extrem gute Schule für das Leben ist. Ich war mit viel Hingabe dabei, musste einiges dafür opfern. Man ist im Skisport ein Einzelkämpfer, aber trotzdem zählt der Teamzusammenhalt, denn von 365 Tagen ist man sicher an 200 Tagen zusammen unterwegs. Diesen Teamspirit und mit Motivation und Hingabe auf etwas hinzuarbeiten, das kann man auf viele Bereiche im Leben übertragen. 

Photocredit: Georg Pircher

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