Dahingehen, wo es weh tut

Mittwoch, 08.01.2025
Als Geschäftsführerin von neunerhaus erlebt Daniela Unterholzner Tag für Tag, dass Glück nicht selbstverständlich ist und Menschen in manchen Situationen des Lebens ein unterstützendes System brauchen, um selbstbestimmt leben zu können. Es ist ein Gefühl, das ihr nicht fremd ist: Die 41-Jährige wuchs in einer Familie auf, in der Geld nicht immer ausreichend verfügbar war. Das hat sie geprägt und früh dazu gebracht, selbst für sich einzustehen und sich für andere Menschen einzusetzen. Wie sie zu neunerhaus gekommen ist und was das alles mit ihrer Tochter zu tun hat, erzählt sie im Job-Protokoll.

 

 

„Ich bin in Tisens-Gfrill auf 1061 Meter aufgewachsen. Zweimal am Tag ist der Bus gekommen, wenn man ihn versäumt hat, dann war es einfach Pech. Es war wirklich Berg – mit Ziegen, Hennen, Hunden und sieben Katzen. Wir Kinder haben viel Zeit im Wald verbracht. Wenn wir nach Hause kommen sollten, hat die Mama gepfiffen. Das stellt man sich natürlich 

sehr idyllisch vor und das war es auch. Diese Freiheit und die Natur haben mich geprägt. Ohne Natur kann ich nicht leben. 

Nach Abschluss der LBA habe ich beschlossen, in Innsbruck Geschichte und Kunstgeschichte zu studieren. Warum ich zwei Studien gewählt habe? Ich habe immer schon gerne gemalt und liebe Ästhetik, die Kunst als Ausdrucksform fand ich einfach schön. Und zur Geschichte kam ich, weil wir in der Oberschule einen tollen Geschichtslehrer hatten, der es geschafft hat uns zu zeigen, dass Geschichte nicht aus einzelnen Ereignissen besteht, sondern ein historisches Ereignis nur ein Punkt ist in einer Summe von Entwicklungen. Ich wollte die Welt verstehen lernen, ein Geschichtsstudium war dafür die richtige Basis. Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum ich zwei Studiengänge gewählt habe. Ich wuchs in einer Familie auf, in der Geld ein Thema war. Mit zwei abgeschlossenen Studien, so mein Gedanke, würde ich anderen gegenüber in der Arbeitswelt einen Vorteil haben. 

Kurz vor Ende des Studiums ging ich für meine Diplomarbeit nach Bangkok, zusammen mit meinem heutigen Mann. Er hat einen Master in Volkswirtschaft gemacht, ich habe meine Diplomarbeit geschrieben. Wir waren ein Jahr in Thailand und sind in der Zeit sehr viel gereist. Es war ein fantastisches Jahr, in dem wir die Welt erkundet und uns dadurch gut kennengelernt haben. Als wir nach Innsbruck zurückgekehrt sind, standen wir vor der Frage, was wir in Zukunft machen wollen. Unmittelbar nach Südtirol zurückzukehren, war nach Bangkok für uns nicht denkbar, genauso wenig in Innsbruck zu bleiben. Dann bekam mein Mann eine Stelle an der WU in Wien angeboten. Ich war zurückhaltend, ich fand Wien eigentlich immer zu kalt und windig. Aber dann ließen wir uns doch darauf ein. Wien muss man lieben lernen, heißt es. Bei mir hat das ein ganzes Jahr gedauert. 

Schon während meines Studiums musste ich immer arbeiten, das Stipendium reichte nicht aus. Hinter der Wursttheke stehen, als Nanny arbeiten, das war meine Realität. Obwohl es für das Studium wichtig gewesen wäre, konnte ich nicht in der fancy Galerie in London oder Berlin unbezahlt anheuern, sondern musste mir etwas suchen, für das ich bezahlt wurde und habe das, so gut es ging, natürlich in Bereichen aus meinem Studienkontext, etwa in Landesarchiven, Galerien in Innsbruck oder als Kunstvermittlerin auf Schloss Ambras, gemacht. 

 

Ich habe mich oft gefragt, ob das ein Nachteil war. Heute kann ich sagen, dass in der Arbeitswelt Leute gesucht werden, die anpacken und machen und die sich auch für manches nicht zu schade sind. Ein paar große Namen im Lebenslauf beeindrucken mich als Arbeitgeberin nicht. Und es geht auch nicht darum, die Beste oder der Beste zu sein, sondern es kommt auf verschiedene Kompetenzen an, die man lernt, indem man tut. 

Ich war früh gefordert, mein Leben selbst zu gestalten. Daran bin ich sehr gewachsen, weil ich gelernt habe, dass ich es kann. In der Zeit ist es mir nicht immer gut gegangen. Aber der Spruch, dass man an Krisen wächst, stimmt. 

In Wien stand ich vor der Aufgabe, mir das Netzwerk neu aufzubauen. Alles, was ich in Innsbruck schon geschafft hatte, war weg. Dazu musste ich erstmal das System neu kennenlernen. In der Zeit habe ich mein Doktorat gemacht, das hat mir geholfen und eine Basis gegeben. Ich schaute zwar nach einem Job, hatte aber jeden Tag einen Plan, was ich mit meinem Tag tun kann. Nach einigen Stationen in Wiener Galerien für zeitgenössische Kunst, habe ich im Institut für Kulturkonzepte angefangen, wo ich im Lehrgangsmanagement tätig war und Marketing und Kommunikation geleitet habe. Ich habe auch gerne unterrichtet, u.a. an der FH Kufstein, der Anton-Bruckner-Uni Linz, im Institut für Kulturkonzepte oder im Bildungshaus Neustift. Den Konnex zu Südtirol habe ich immer proaktiv gesucht und mache das bis heute.

2014 kam unsere Tochter zur Welt. Das hat etwas in mir verändert. Ich war an einem Punkt, an dem mein Leben stabil und solide verlaufen ist. An einem Abend saß ich am Gitterbettchen und dachte, dass es Wahnsinn ist, welche Möglichkeiten die Kleine im Leben haben wird. In dem Moment habe ich gemerkt, dass ich nicht in der Kultur bleiben kann. Es interessierte mich, wie Menschen zusammenleben und wie Gesellschaft funktioniert, darauf wollte ich meinen Fokus legen. Denn mir war so klar, dass auch ich selbst im Leben weitergekommen bin, weil es meine Familie und ein System gab, das unterstützt hat. Ich wollte jenen helfen, die nicht die perfekten Rahmenbedingungen haben und wo es keine Eltern gibt, die die Kinder auf ihrem Weg angemessen begleiten (können). 

neunerhaus war zum damaligen Zeitpunkt schon als innovativste Organisation im Bereich der Wohnungslosenhilfe in Wien bekannt. Ich habe die Projektentwicklung geleitet und somit große, komplexe Projekte mit vielen Stakeholdern. Die Arbeit hat mich auf Anhieb begeistert. Eineinhalb Jahre nach meinem Einstieg war die Position als Geschäftsführung vakant und ich bin sehr froh, dass die Entscheidung des Aufsichtsrates in einem mehrstufigen Prozess auf mich gefallen ist. Jetzt bin ich seit sechseinhalb Jahren in dieser Position. Gemeinsam mit meiner Kollegin Elisabeth Hammer verantworte ich eine Organisation mit über 270 MitarbeiterInnen und über 100 Ehrenamtlichen. Für unsere Vision kämpfen wir jeden Tag – eine inklusive Gesellschaft mit Zugang zu Wohnen, Gesundheit, Teilhabe, Arbeit und Bildung.

 

Daniela war auch Gast im Südstern Podcast: Jetzt reinhören auf Spotify, YouTube und Deezer!

 

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