"Man jammert gerne auf hohem Niveau"

Freitag, 12.04.2013

Der Meraner Claudio Quaranta arbeitet seit vielen Jahren in Brüssel, seit kurzem im Generalsekretariat des Europäischen Parlaments. Im Interview erzählt er, wie man sich am besten auf eine Karriere in Brüssel vorbereiten kann, was er von der gemeinsamen Kandidatur Nordostitaliens zur Kulturhauptstadt 2019 hält – und warum Brüssel gar nicht mal so unattraktiv ist.

 

Lieber Herr Quaranta, Sie arbeiten als Beamter des Europäischen Parlaments. Können Sie uns einen typischen Arbeitstag schildern?

Ich war acht Jahre lang in verschiedenen politischen Ausschüssen des Europäischen Parlaments tätig und bin erst kürzlich ins Generalsekretariat des Parlaments berufen worden. Die Ausschüsse haben eine sehr wichtige Funktion, denn sie bearbeiten alle EU-Gesetzesvorlagen und bringen sie dann in abgeänderter Form zur Abstimmung ins Plenum. Unsere Arbeit als Beamte ist, die zuständigen Abgeordneten bei der Ausarbeitung von Berichten zu beraten und betreuen, für den korrekten Ablauf der Abstimmungen zu sorgen, die Verhandlungsrunden mit dem Rat zu koordinieren, müssen nebenbei aber auch organisatorische Aufgaben bewältigen, z.B. anlässlich von öffentlichen Anhörungen oder Delegationsreisen innerhalb oder außerhalb der EU ... Also alles in allem ein recht abwechslungsreiches Metier!

 

Sie haben am großen Wettbewerb für EU-Beamte, dem Concours, teilgenommen. Welche Tipps können Sie jungen Südtiroler Bewerbern geben, die daran teilnehmen möchten? Wie bereitet man sich am besten auf eine Beamtentätigkeit in Brüssel vor?

Die EU-Concours waren immer schon sehr selektiv: Auf ein paar Dutzend Stellen bewerben sich Tausende von Kandidaten. Da braucht es nicht nur gute Vorbereitung, sondern vor allem ein schnelles Reaktionsvermögen und die Fähigkeit, unter extremen Zeitdruck komplizierte Sachverhalte zu erfassen und gut zu bearbeiten. Die zweite Sprache, die man anmeldet, sollte man auch schriftlich perfekt beherrschen, und eine dritte Sprache auf hohem Niveau wäre empfehlenswert.

Aber egal wie gut man ist: Man kann nie damit rechnen, beim Concours durchzukommen – wie immer im Leben braucht es auch ein Quäntchen Glück! Abgesehen davon ist ein bestandener Concours ja keine Jobgarantie, sondern ermöglicht lediglich, sich auf offene EU-Stellen zu bewerben. Ich hatte damals den Vorteil, auf zehn Jahre Erfahrung mit EU-Institutionen zurückgreifen zu können und hatte eigentlich schon einen guten Job – da konnte ich die Sache recht entspannt angehen. Und zu meinem Erstaunen hat’s geklappt!

Welche Tipps? Mein Concours war vor 10 Jahren, heute gibt's einen neuen Prüfungsmodus, alle Wettbewerbe werden zentral von EPSO verwaltet. Was sicher nach wie vor gilt: sich nicht zu stark unter Druck zu setzen und ruhig einen zweiten oder dritten Anlauf einzuplanen!

 

Sie haben zehn Jahre lang das Südtirol-Büro in Brüssel geleitet. Was ist die Aufgabe dieses Büros?

Das Südtiroler Büro in Brüssel wurde 1995 eröffnet – gemeinsam mit Tirol und Trentino – als Interessensvertretung gegenüber den EU-Institutionen, vor allem natürlich der Kommission. Es gab schließlich Strukturfonds zu verwalten, Landesbeihilfen absegnen zu lassen, Vertragsverletzungsverfahren abzuwenden, eigene Positionen zu Themen wie Berglandwirtschaft, Transitverkehr u.a. einzubringen. Und auch für andere Themen – egal was –war man als Beratungs- und Schnittstelle zwischen der Südtiroler Landesverwaltung und den europäischen Institutionen laufend im Einsatz. An Arbeit mangelte es jedenfalls nicht!

 

Wie viele Südtiroler arbeiten in europäischen Institutionen in Brüssel?

Ich habe keine genaue Übersicht mehr, aber ich schätze so ca. 20 Personen.

 

Südtirols Politiker werden meist belächelt, wenn sie in ihren Sonntagsreden von der „Europaregion Tirol“ reden. Glauben Sie, dass der europäische Integrationsprozess langfristig fortschreitet und die Regionen eines Tages wichtiger als die Nationalstaaten werden?

Der europäische Integrationsprozess wird auch weiterhin fortschreiten, das ist klar – wenn auch in langsamerem Tempo. Das wäre auch durchaus zu begrüßen, denn jeder Integrationsschritt muss erst mal verdaut werden: von den nationalen bzw. lokalen  Behörden, von der Wirtschaft und nicht zuletzt von den Bürgern selbst. Die zunehmende Komplexität des EU-Gesetzgebungsverfahren, bei 28 Mitgliedstaaten und 24 (!) Amtssprachen, tragen auch wesentlich dazu bei.

Und was Ihre zweite Frage betrifft: sicher nicht! Das „Europa der Regionen“ ist eine Worthülse, die vor 20 Jahren noch einen Sinn hatte, an die heute jedoch niemand mehr ernsthaft glaubt! Auf EU-Ebene haben in den vergangenen 15 Jahren die Nationalstaaten (sprich: der Ministerrat) sehr viel an Bedeutung gewonnen, und natürlich auch das Europäische Parlament mit dem Lissabon-Vertrag. Aber die Regionen nicht: sie sind zwar in Brüssel sehr präsent und aktiv, so wie andere Interessensvertretungen auch, und das ist gut so.

Doch an der EU-Gesetzgebung direkt sind sie nicht wesentlich beteiligt – auch wenn man sich das vielerorts schönreden möchte. Wie soll das auch klappen? Es ist ein viel zu heterogener Haufen, mit ganz unterschiedlichen Zuständigkeiten: was hat denn ein deutsches Bundesland wie Bayern mit einer litauischen oder griechischen Region gemeinsam? Man betrachte nur den Ausschuss der Regionen, seit 1994 ein beratendes EU-Organ und Hoffnungsträger bzw. „Stimme“ der Regionen in Brüssel, der aus verschiedensten Gründen faktisch zur Bedeutungslosigkeit verkommen ist – leider.

 

Immer wieder wird die EU als bürokratisch aufgeblasener Apparat mit überbezahlten Beamten dargestellt. Warum gelingt es nationalen Politikern, die EU in Frage zu stellen und ihre Erfolge klein zu reden? Schließlich wird außerhalb der EU, etwa in Afrika oder auch in Ostasien, durchaus mit Neid auf das europäische Projekt geblickt.

Ja, EU-bashing war immer schon populär! Für nationale/regionale Politiker ist es praktisch, einen Sündenbock für unpopuläre Maßnahmen zu finden, und für die Medien lässt sich eine negative Schlagzeile leichter verkaufen als eine positive. Auf die Dauer brennt sich aber dieses negative Image der EU in die Köpfe ein und lässt sich nur schwer wieder korrigieren. Dabei hat die EU in den letzten 30 Jahren ohne Zweifel vieles geleistet, auf das wir Europäer stolz sein können: Viele monopolistische Strukturen wurden zerschlagen, die die europäische Wirtschaft gebremst hatten, der Binnenmarkt schuf einen Freiraum für Bürger und Unternehmen, der vorher undenkbar war, und die Einführung des Euro hat – trotz aller Krisen und Unkenrufe – dem europäischen Wirtschaftsraum sicher wesentlich mehr Vorteile als Nachteile gebracht. Man jammert zwar gerne auf hohem Niveau, doch glaube ich nicht, dass die Bürger wirklich lieber zu den nationalen Währungen zurückkehren möchten!

Die Arbeitsgebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel

 

Wo sehen Sie gegenwärtig die größten Probleme der EU?

Die größten Probleme der EU sehe ich gegenwärtig im großen Legitimations- bzw. Demokratie- und Transparenzdefizit. Mit Ausnahme der EU-Abgeordneten besitzt keiner der EU-Entscheidungsträger eine echte direkte demokratische Legitimierung: Niemand wählt die EU-Kommissare oder den Kommissionspräsidenten, die dann die das alleinige Recht haben, Gesetzesvorlagen ausarbeiten. Das EU-Parlament ist auch die einzige Institution, die öffentlich tagt, und man kann die meisten Sitzungen sogar per Webstream live mitverfolgen.

Der Rat hingegen tagt hinter verschlossenen Türen, das Kollegium der Kommissare ebenso, alle wichtigen Entscheidungen werden dort fernab jeglichen Publikums getroffen. Das gleiche gilt für die unzähligen Fachausschüsse, die die Normen zur praktischen Umsetzung von EU-Recht ausarbeiten, auch sie tagen nicht öffentlich. Der Bürger ist heute aber immer weniger bereit, politische Intransparenz zu tolerieren. Wenn er das Ganze nicht mehr versteht, wenn er nicht mehr mitkommt, kann er sich damit auch nicht mehr identifizieren. Kein Wunder also, dass man in der ganzen EU dem System bestenfalls skeptisch, wenn nicht gar feindlich gegenübersteht! Die Europawahl im kommenden Jahr wird dafür ein wichtiger Test sein ...

 

Zurzeit wird an einer gemeinschaftlichen Außen- und Sicherheitspolitik gebastelt. In welchen Bereichen sehen Sie noch Chancen für eine Vergemeinschaftung?

In der Sicherheitspolitik gibt’s viel Nachholbedarf sowie gemeinsame Interessen, da hat man Fortschritte gesehen und es können auch noch weitere gelingen. Anders sieht’s hingegen bei der gemeinsamen Außenpolitik aus: nicht gerade ruhmreich, was da bisher geleistet wurde! Europa ist global gesehen die größte Wirtschaftsmacht, auf der außenpolitischen Bühne tritt man aber immer nur zögerlich und gespalten auf, man denke an den Nahen Osten, die Krisenherde Libyen, Mali, Ägypten, aber auch an die Frage der Menschenrechte in Russland oder China ... Es fehlen meist eben die gemeinsamen Interessen, die ein selbstbewusstes, klares Auftreten ermöglichen würden. In der Realität schlagen dann die einzelnen nationalen Eitelkeiten durch ...

Auch der neue EEAS (EU External Action Service), also die diplomatischen Vertretungen der EU, hat sich leider als Flop erwiesen – und das behaupte nicht ich, sondern das sagen die meisten, die dort arbeiten, denn die Mischbesetzung der EU-Botschaften mit EU-Diplomaten und nationalen Diplomaten hat deren Effektivität keineswegs gestärkt. Die EU braucht heute keine neuen Großbaustellen mehr: Sie müsste sich vermehrt darauf konzentrieren, das bisher erreichte zu konsolidieren – und wie gesagt, die Transparenz und Akzeptanz ihrer Entscheidungen verbessern. Im Binnenmarkt, mit allem was dazu gehört, gäbe es genügend Kleinbaustellen, wo ausgebessert werden müsste, Dinge die auch die Bürger spüren und honorieren würden.

 

Brüssel gilt gemeinhin nicht unbedingt als schöne Stadt. Packt Sie oft das Heimweh? Wie oft kommen Sie nach Südtirol zurück und was machen dann dort als erstes?

Brüssel mag zwar keine besonders attraktive Stadt sein, bietet aber doch eine recht gute Lebensqualität. In welcher Großstadt könnte man zu erschwinglichen Preisen im Grünen wohnen und noch ins Büro radeln? In London, Rom oder Paris sicherlich nicht! Es ist eine multikulturelle Stadt, die Immobilienpreise sind immer noch akzeptabel – im Gegensatz zu vielen anderen Ballungsräumen. Aber ich fahre natürlich immer gerne nach Südtirol, nach Meran, so alle 3 Monate, mit längeren Aufenthalten im Sommer und zu Weihnachten. Wenn es in Bozen einen funktionierenden Flughafen gäbe, wäre die Sache auch viel einfacher!

Claudio Quaranta beim Entspannen

 

Südtirol will sich gemeinsam mit dem Nordosten Italiens als Europäische Kulturhauptstadt 2019 bewerben. Venedig ist bereits ausgestiegen, da man touristisch dort bereits voll ausgelastet ist. Wie sehen Sie diese Kandidatur?

Ich kenne nicht die Details der Bewerbung und kann mich deshalb dazu nicht qualifiziert äußern. Was ich aber schon hervorheben möchte ist folgendes: die „Europäische Kulturhauptstadt“ war ursprünglich gedacht, kleinere oder mittelgroße Städte, die nicht so bekannt, aber kulturell wertvoll waren, für ein Jahr ins Rampenlicht zu bringen. Später wurden je eine Stadt aus den alten und eine aus den neuen Mitgliedstaaten ausgewählt, wobei die Auswahl noch auf EU-Ebene getroffen wurde.

Nach dem kolossalen Streit um den Millennium-Titel im Jahr 2000 ist leider alles ausgeufert: Inzwischen hat jeder Mitgliedsstaat seinen „Jahresslot“ und entscheidet selbst, Ballungsräume ersetzen Städte ... Der ursprüngliche Charakter dieser ehemals erfolgreichen EU-Initiative, und damit auch ihre Bedeutung, ist längst verloren gegangen. Eine Frage zur Kandidatur 2019: Wie kann man, bitte sehr, den ganzen Nordosten Italiens als irgendwie homogenen „Kulturballungsraum“ darstellen? Das ist mir schleierhaft ...

 

Was lieben, was hassen Sie am Südtiroler in Ihnen?

Viele Südtiroler sind durch ihre Mehrsprachigkeit weltoffen und anpassungsfähig, das sind sehr positive Züge. Und sehr tüchtig obendrauf: Beim Durchblättern der Südstern-Mitgliederliste kann man nur staunen, wie viele Südtirolerinnen und Südtiroler es im Ausland geschafft haben, hervorragende Leistungen zu erbringen und beachtliche Positionen zu erklimmen, und das bei nur 500.000 Einwohnern ... Da sage ich: Hut ab – als Südtiroler können wir darauf stolz sein!

 

Interview: Tobias Lechner

Fotoquellen: Claudio Quaranta, Wikimedia

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