"An zwei Orten daheim zu sein ist ein Privileg"

Donnerstag, 18.04.2013

 

Margit Brugger, aufgewachsen in Brixen, lebt seit vielen Jahren in Brasilien. Die Einheimischen, so berichtet sie, merken inzwischen gar nicht mehr, dass sie keine Brasilianerin ist. Im Südstern-Interview erzählt sie von ihren Erfahrungen mit den Indios und von ihrem Weg, eine Medizinfrau zu werden.

 

 

Was hat Sie nach Brasilien gezogen? Und was hält Sie dort?

Ich bin Ende 2005 nach Brasilien gekommen, um hier an der Uni einen Master in Völkerrecht zu machen. Vorgesehen war ein Aufenthalt von zwei Jahren, inzwischen sind es, mit Unterbrechungen, fast acht. Was mich hier heute hält ist vor allem meine Familie, mein Mann, ein Universitätsprofessor, ist von hier, und inzwischen ja auch meine Tochter. Was ich mir für die Zukunft wünsche, und woran ich auch arbeite, ist, dass ich meine beiden Welten so gut wie möglich vereinen kann.

 

Sie haben als Projektberaterin einer brasilianischen Organisation, die sich um indigene Völker des Landes kümmert, gearbeitet. Was genau waren da Ihre Aufgaben?

Die NGO, bei der ich gearbeitet habe, hat sich damals im Auftrag des brasilianischen Gesundheitsministeriums um die Gesundheitsversorgung der Indios gekümmert. Die Direktion hatte dazu eine wirklich interessante Einstellung. Statt sich nur um die Verträge von Ärzten und Krankenschwenstern und das Einrichten von Praxen in den Reservaten zu kümmern, war sie wirklich daran interessiert, die Gesundheit dieser Minderheiten als Ganzes zu sehen. Grundthese dazu war, dass diese Völker nur „gesund“ sein können (d.h. vor allem auch den Alkohol- und Drogenmissbrauch eindämmen), wenn sie die Möglichkeit haben, ihre Kultur in all ihren Facetten zu leben. Die NGO hat also einen Etat bereit gestellt um z.B. die Heiler und spirituellen Führer zu unterstützen, damit sie ihre Zeremonien feiern können, damit Menschen zu ihnen kommen können um sich heilen zu lassen. Außerdem war die Direktion der Auffassung, dass auch kulturelle Aspekte wie die des Handwerks und der Landwirtschaft unterstützt werden sollten und hier kam ich ins Spiel.

Ich hatte in Brasilien bald nach meiner Ankunft Kontakt zu einer Medizinfrau, die mit verschiedenen Ritualen und schamanischen Anwendungen arbeitet. Sie hat mich mit zu den Indios genommen, deren Kultur mich immer sehr interessierte. Bald war ich regelmäßig bei den Ritualen der Indios dabei, und kam so in Kontakt mit einigen Mitarbeitern dieser NGO. Als ich meinen Master abgeschlossen hatte und nicht recht wusste, ob ich in Brasilien bleiben sollte, haben sie mir vorgeschlagen, als Projektberaterin in der NGO mitzuarbeiten.

Mein Aufgabenbereich war es, mit den Anführern der Indios zu sprechen, um zu wissen was sie für ihre Reservate brauchten und wollten, dann die Experten ausfindig zu machen (z.B. Anthropologen, Agronomen usw.), die mit ihnen arbeiten konnten, alle Beteiligten zu Sitzungen zusammenzubringen und die Ausarbeitung der Projekte verfolgen. Dann ging es darum Geldgeber ausfindig zu machen (vor allem brasilianische Ministerien) und die Projekte nach deren Richtlinien zu formatieren.

Schwierig waren da zum einen die kulturellen Unterschiede. Die Indios haben eine ganz andere Weltanschauung, dazu gehört z.B. dass sie sehr stark auf ihre Träume und Intuition achten. Wenn diese ihnen mitteilen, an jenem Tag sei zu Hause zu bleiben, werden sie auf einer Sitzung auf keinen Fall erscheinen, auch wenn das ganze Projekt davon abhängt.

Eine andere große Schwierigkeit ist die Bürokratie, wenn man mit den Ministerien zusammenarbeitet. Zwischen der Ausarbeitung eines Projekts und dessen Umsetzung können da oft Jahre vergehen, mit all den daraus resultierenden negativen Konsequenzen.

 

Sie bieten inzwischen selbst „spirituelle Reisen“ zu den Ureinwohnern an – was glauben Sie, können „moderne Europäer“ dort noch lernen?

Ich denke die Frage ist nicht was die Europäer noch lernen können, sondern was sie wieder lernen können. Bei ihrer Suche nach der Ursache und dem Funktionieren der Dinge haben sich die Europäer immer mehr auf die Einzelteile spezialisiert. Dass alles von allem getrennt ist, wurde sozusagen zu einer Basisannahme. Die modernste Wissenschaft allerdings ist ja dabei zu erforschen, dass in Wahrheit alles zusammenhängt und das wissen die Indios seit immer. Dies bedeutet unter anderem auch eine andere Lebensqualität, wie ich meine. Denn tief im Inneren zu spüren, dass alles verbunden ist, und wir Teil einer wunderschönen Schöpfung sind, gibt dem Leben einen anderen Sinn. Wir bekommen wieder ein Gefühl von Aufgehoben-Sein, etwas, nach dem sich der Mensch in seinem Innersten sehnt.

Die Indios haben seit sehr vielen Generationen gewisse Rituale weitergegeben, die die ganze Symbologie ihrer Weltanschauung beinhalten. Eine Weltanschauung, die vom Ursprung kommt, von einer Zeit, wo die Menschen in tiefem Einklang mit der Natur und ihren Zyklen lebten und sie beobachteten, um auf ihre Geheimnisse zu kommen. Viele „moderne“ Europäer interessieren sich sehr dafür, diese Geheimnisse in und um sich wieder zu entdecken.

Außerdem finde ich ist es immer eine unglaubliche Bereicherung, Menschen zu treffen, die die Welt auf eine ganz andere Weise interpretieren. Das bringt sozusagen einen frischen Wind in oft eingerostete und limitierende Ansichtsweisen. Informationen zu den spirituellen Reisen gibt es hier. Abgesehen von den spirituellen Reisen werde ich Ende Juni zum zweiten Mal eine brasilianische Medizinfrau mit nach Südtirol bringen, die dort Workshops und Schwitzhütten leiten wird, sowie Einzelbehandlungen anbieten, um Interessierten das Wissen der amerikanischen Ureinwohner um das Leben zu vermitteln.

 

Sind Sie selbst auf dem Weg, eine Schamanin zu werden?

Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht einmal ob das überhaupt möglich ist, wenn man nicht von Kindesbeinen an darauf vorbereitet wird und sich im Leben ausschließlich damit beschäftigt. Vielleicht ist es auch eine Definitionsfrage. Ich bin auf jeden Fall auf dem Ausbildungsweg zur Medizinfrau, wo ich gewisse Initiationsriten durchlaufe und vieles lerne, auch über die Arbeit in und mit der so genannten „spirituellen Welt“. Wie das in der Zukunft für mich aussehen wird, weiß ich noch nicht.

 

 

Werden Sie in Brasilien von den Einheimischen akzeptiert?

Sowohl die Brasilianer generell als auch die Indios merken zunächst nicht, dass ich nicht von hier stamme – ich spreche inzwischen sehr gut Portugiesisch und fast ganz ohne Akzent. Wenn sie dann wissen, dass ich keine Brasilianerin bin, macht es für die meisten dann aber Sinn, weil ich einfach gewisse Verhaltensweisen habe, von denen sie merken dass sie anders sind. Z.B. hält man mich für ziemlich reserviert, was ja bei der offenen Art der Brasilianer kein Wunder ist! ☺ Ich würde im Allgemeinen sagen, die Brasilianer sind ein großzügiges und offenes Volk, so wie ihr ganzes Land, auch deshalb ist es ziemlich einfach, hier gut aufgenommen zu werden.

Was die Indios angeht: Die stehen grundsätzlich den Weißen sehr skeptisch gegenüber. Sie haben über die Jahrhunderte und bis heute sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Allerdings ist das ja irgendwie mit den meisten Beziehungen so: Man lernt sich kennen und überwindet anfängliche Berührungsschwierigkeiten. Inzwischen hat mich der 104-jährige Schamane der Guarani von Yynn Moroti Wherá (in der Nähe von Florianópolis) getauft, weil ich in seinen Augen seiner gleichen spirituellen Familie angehöre. Das ist sehr schön für mich, es geht sozusagen um die „Essenz“, ungeachtet von geographischen, kulturellen und hautfarbigen Unterschieden.

 

Wo fühlen Sie sich inzwischen mehr zuhause – in Brasilien oder in Südtirol?

Ich fühle mich in Südtirol immer noch sehr stark verwurzelt und fahre mindestens einmal im Jahr dorthin. Wenn ich nur daran denke, hüpft mein Herz vor Freude. Ich liebe meine Heimat sehr. Inzwischen fühle ich mich aber auch hier sehr zu Hause und versuche es auch auf diese Art zu sehen: statt gespalten, reich beschenkt. An zwei Orten dieser Erde so daheim zu sein ist ein Privileg.

 

Zum Lebensstandard in Florianópolis: Müssen Sie auf etwas verzichten, das Sie in Südtirol hätten?

Na ja, vor allem ist hier einfach alles anders, es ist eine andere Welt. Verzichten muss ich z.B. auf das Fahrrad, weil mir das hier auf den Straßen einfach zu gefährlich ist. Oder funktionierenden öffentlichen Nahverkehr. Alles was öffentlich ist, ist leider von schlechter Qualität, abgesehen von der Universität. Allerdings ist Floripa eine der brasilianischen Hauptstädte mit der besten Lebensqualität und so empfinde ich es wohl auch. Mit Südtirol in vielen Punkten allerdings nicht zu vergleichen. Dafür hat das Leben hier eindeutig andere Vorteile. Eine gewisse Lockerheit dem Leben gegenüber finde ich z.B. sehr entspannend.

 

Was lieben, was hassen Sie an der Südtirolerin in Ihnen?

Was ich an der Südtirolerin in mir liebe ... vielleicht, dass ich mit einer gewissen Struktur aufgewachsen bin, mit gewissen Werten, die ich jetzt auch gerne weiterlebe und an meine Tochter weitergebe. Allerdings ist das gleichzeitig auch etwas, das ich zwar nicht hasse, das ich aber oft als einengend und anstrengend empfinde. Gleich wie so vorgefertigte Meinungen, die, glaube ich, richtiggehend in uns eingeimpft sind, z.B. „bei uns ist alles besser“.

 

Könnten Sie uns zum Schluss eine Lebensweisheit der Ureinwohner oder einen schamanischen Gedanken mit auf den Weg geben?

Das Leben ist die reine Fülle, wir sehen es oft nur nicht.

 

Redaktion: Tobias Lechner

 

Tags

Brasilien

Ähnliche Beiträge: