"Man kennt zwar seine Rechte, allerdings ist es schwierig diese durchzusetzen"
Veit Gamper zog 2006 nach Shanghai, wo er über einen Zeitraum von fünf Jahren in chinesischen Rechtsanwaltskanzleien praktiziert hat. Seit über einem Jahr lebt und arbeitet er mit seiner Frau und seinem Sohn wieder in Südtirol. Im Interview erzählt er von der chinesischen Kultur, den Problemen ausländischer Unternehmen in China und den Vorzügen Südtirols.
Sie beraten ausländische Unternehmen, die in China tätig sind oder tätig sein wollen. Wer sind Ihre Kunden und wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen?
Meine Kunden sind Unternehmen aus verschiedenen, vorwiegend europäischen Ländern, die in China Wirtschaftsinteressen verfolgen. In China kooperiere ich mit über fünfzig hervorragenden chinesischen Dienstleistern, welche in den Bereichen Buchhaltung, Steuer-, Rechts- und Personalberatung alle Lizenzen halten, und seit 20 Jahren Erfahrung mit ausländischen Investoren haben. Ich selber habe einen guten Einblick in das chinesische Wirtschafts- und Steuerrecht und leiste bei der Korrespondenz zwischen Klienten und chinesischen Kollegen sowie bei der Vertragsgestaltung in englischer Sprache meinen Beitrag.
Mit welchen Schwierigkeiten hat ein ausländisches Unternehmen beim Marktzugang in China zu kämpfen? Wie berechenbar ist die chinesische Gesetzgebung?
Aus Sicht eines Europäers gibt es in China ein eklatantes Systemdefizit, im Sinne, dass die Rechtslage für ausländische Investoren mittlerweile zwar ziemlich klar ist, die Rechtsdurchsetzung aber sehr schlecht funktioniert. Mit anderen Worten: Man kennt zwar seine Rechte, allerdings ist es schwierig diese durchzusetzen, weil der chinesische Gerichtsvollzieher kaum den Mut haben wird das Eigentum eines gut gestellten chinesischen Unternehmers zu pfänden.
Gibt es Mentalitätsunterschiede zwischen dem chinesischen Recht und westlichen Rechtssystemen?
In China existieren subjektive Rechte erst seit wenigen Jahrzehnten. Die Figur der von der Legislativen und Administrativen unabhängigen Judikative ist nicht auf der DNA der Chinesen abgelegt. Die ältere Hälfte der Gesellschaft ist unter einem durch und durch autoritären Regime aufgewachsen, in dem der Staat die Figur des privaten Rechtsanwalts als Insult gegen die Obrigkeit angesehen hat. Weil die Prämissen also so unterschiedlich sind, ist es schwierig das chinesische mit dem westlichen Rechtssystem zu vergleichen.
Während die 36 Strategeme in China zum Allgemeinwissen gehören, sind sie im Ausland (noch) gänzlich unbekannt. Haben Sie ein Lieblingsstrategem und gibt es einen Fehler, der von ausländischen Unternehmen immer wieder begangen wird?
Ich habe die 36 Strategeme gelesen, allerdings hat das bei mir nicht zur praktischen Anwendung geführt. Ich glaube, dass viele Fehler der ausländischen Unternehmer in China darauf zurückzuführen sind, dass es äußerst schwierig ist, sich als Europäer in ein System hineinzudenken, in welchem man sein Recht letzten Endes nicht richterlich durchsetzen kann. Somit fehlt nämlich einer der tragenden Pfeiler der westlichen Wirtschaftssysteme, mit der Konsequenz, dass das unterbewusst wirkende Gedankengerüst westlicher Unternehmer nicht greift. Man wird zum Zeitpunkt der Investition mit offenen Armen empfangen. Wenn man einmal nicht mehr gebraucht wird, weil der chinesische Partner sich z. B. ein bestimmtes Know-how zu eigen gemacht hat, dann wird man boykottiert.
Zu Besuch bei Freunden
Vor Kurzem wurden schwere Anschuldigungen gegen deutsche Autohersteller in China verbreitet. Einige sehen dies als erstes Anzeichen dafür, dass das Land der Mitte nicht mehr Kuschelkurs gegen Europa fährt. Wie schätzen Sie die Situation ein?
Ich vermute, die Frage zielt auf von chinesischer Seite erhobene Vorwürfe gegen Audi ab, dass der Automobilhersteller gesundheitsschädliche Teile eingebaut haben soll. Ich kenne die Hintergründe nicht genau, glaube aber, dass Audi die Anschuldigungen als haltlos zurückgewiesen hat. Viel öfter lese ich, dass die deutschen Premiumautohersteller in China mit der Produktion kaum nachkommen. Während die Chinesen ausländische Qualitätsarbeit sehr schätzen, wünschen sie sich aber sicher sehnlichst, dass die hauseigenen Firmen endlich zur westlichen und japanischen Konkurrenz aufschließen können.
Wie steht es um die Reputation Italiens und Europas in China?
Jeder Taxifahrer in Shanghai weiß, dass in Italien der Premierminister trotz Bunga Bunga Parties immer noch vorne mitmischt. Das hat natürlich das Image der Italiener nicht nur in China stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Chinesen haben aber großen Respekt vor Frankreich (wo viele chinesische Führungspersönlichkeiten studiert haben), vor Deutschland und vor der Schweiz (welche für ihre Präzision bewundert werden), und vor den Engländern, die man dadurch ehrt, dass ihnen seinerzeit in ihrem chinesischen Namen das Zeichen für „herausragend“ zugewiesen worden ist. Chinesische Studenten wollen am liebsten nach England oder in die USA.
Was hat Sie dazu bewogen, in China tätig zu sein?
Ich habe 2003 einen Master im internationalen Wirtschaftsrecht absolviert. Dazu gehörte unter anderem ein Intensivkurs zum chinesischen Wirtschaftsrecht. Des weiteren war ich durch eine zweimonatige Kulturreise vom Reich der Mitte so fasziniert, dass ich meinen Lebensmittelpunkt im Jahr 2006 kurzerhand nach Shanghai verlegte.
Wie integrieren sich Europäer in China? Muss man die Landessprache beherrschen, um akzeptiert zu werden?
Es ist äußerst schwierig, sich in China als Ausländer zu integrieren. Ein Ausländer wird als „Waiguoren“ bezeichnet, was einen Menschen bezeichnet, der von außerhalb in das Reich der Mitte kommt. Ohne die chinesische Sprache funktioniert Integration erst recht nicht. Meist treffen sich die ausländischen Arbeitskräfte nach der Arbeit in einem der zahlreichen Restaurants und Pubs, um sich über das Erlebte auszutauschen.
Venedig ist bekanntlich besonders beliebt bei Touristen aus dem Reich der Mitte. Wie erklären Sie Ihren Geschäftspartnern Südtirol?
Den Versuch meinen chinesischen Geschäftspartnern Südtirol zu erklären, habe ich aufgegeben. Wenn ich danach gefragt werde wo ich herkomme, weise ich meist auf eine deutschsprachige Ecke an der Schweizer Grenze hin und damit ist das Thema meist abgehakt.
Vermissen Sie etwas aus Südtirol?
Südtirol bietet natürlich eine beneidenswerte Lebensqualität und scheint meiner Frau und mir nach unseren Auslandsaufenthalten ganz auf die Familie zugeschnitten zu sein. Wir konnten es uns nicht vorstellen, unseren Sohn im verschmutzten Shanghai aufzuziehen. In Südtirol schätzen wir besonders das sehr gute Gesundheitssystem und die Tatsache, dass in Südtirol ein Wort noch etwas zählt. Natürlich vermissten wir in Shanghai unsere besten Freunde.
Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?
Seit über einem Jahr lebe und arbeite ich mit meiner Frau und meinem Sohn wieder in Südtirol. Hier sehen wir unsere Zukunft. In der Zwischenzeit habe ich auch meine berufliche Tätigkeit an die Südtiroler Realität angepasst und praktiziere nun neben China vor allem im internationalen und im italienischen Recht. Meine Tätigkeit beschreibe ich auf www.vg-lex.com.
Es sei mir erlaubt, mich abschließend bei Südstern aufrichtig zu bedanken. Über Südstern habe ich sehr viele private und geschäftliche Kontakte geknüpft. Südstern erfüllt zweifellos einen wertvollen Dienst für alle jene Südtiroler, die es für einige Zeit ins Ausland zieht. Herzlichen Dank!
Interview: Alexander Walzl