Open Data: "Wir sind noch ganz am Anfang"

Dienstag, 21.05.2013

 

Ulrich Atz ist Statistiker beim Open Data Institute in London. Im Südstern-Interview erklärt der gebürtige Bozner nicht nur, was Open Data sind, sondern auch, warum sie so wertvoll sind – und was er am liebsten damit machen würde.

 

 

 

Herr Atz, fast jeder hat den schillernden Begriff Open Data schon mal gehört, kaum einer kann ihn definieren. Was genau sind Open Data?

Open Data heißt für jeden verwendbar. Es sind Daten, die für alle ohne finanzielle, legale oder technische Hürden verfügbar sind. Transparenz in der öffentlichen Verwaltung spielt eine wichtige Rolle. Open Data bezieht sich aber auf alle möglichen Bereiche wie Geographie, Transport, Wissenschaft, Kultur oder private Unternehmen.

 

Wie kam es zu Ihrem Interesse an Daten?

Daten als solche sind relativ wertlos. Wir schöpfen Wert, wenn wir die Daten in Information verwandeln und es schaffen, diese Erkenntnisse zu kommunizieren. Für mich ist das eine unglaublich spannende Herausforderung. In meinem Studium der Volkswirtschaftslehre hat mich stets der praktische Bereich interessiert, weil Daten angewandte Probleme lösen können. Wenn es um Entscheidungen geht, sind Daten oft besser als das Bauchgefühl.

 

Würden Sie sich als Statistiker bezeichnen? Hat sich das Berufsbild des Statistikers in den letzten 20 Jahren verändert?

Die Statistik hat ein Marketingproblem. Der ganze Hype um „Big Data“ sollte Statistikern eigentlich in die Hände spielen. Tatsächlich bezeichnen sich viele Quereinsteiger viel lieber als „data scientist“ und andere Neuberufe. Grund dafür ist zum einen, dass sich das Berufsbild mit der Menge an Daten und Computerleistung bedeutend verändert hat. Zum anderen gibt es Traditionen, die weit zurückreichen: die Royal Statistical Society ist zum Beispiel 180 Jahre alt. Ich bezeichne mich als Statistiker. Gelegentlich überrascht das Leute und das ist gut so.

 

Welche Daten sind in Großbritannien schon öffentlich zugänglich?

Zu diesem Zeitpunkt zählen wir 9408 offene Datensätze allein von öffentlichen Institutionen und Abteilungen. Dazu kommen noch unzählige Daten im Bereich Transport (z.B. London Tube), geographische Informationen, Kulturgüter wie das BBC-Archiv, wissenschaftliche Datensätze, Daten von privaten Unternehmen wie z.B. Internetanbieter und, demnächst, Transaktionsdaten von drei Finanzunternehmen.

 

Gibt es Beispiele dafür dass Open Data die Gesellschaft in irgendeiner Form „vorangebracht“ hat?

Ein beliebtes Beispiel ist die Veröffentlichung von 300.000 Bus-Haltestellen in Großbritannien – die Standorte und Details von rund 18.000 wurden dadurch verbessert. Eine Studie in Spanien zeigt, wie offene Daten 5000 Jobs erzeugt haben. Das Open-Street-Map-Projekt hat auch zu einem bedeutenden gesellschaftlichen Nutzen in weniger entwickelten Ländern beigetragen.

 

„Daten sind das neue Öl“, schrieb der Werbefachmann Michael Palmer in 2006. Unbearbeitet seien Daten wertlos. Sobald Datensätze aber behandelt werden, würden sie zu digitalen Äquivalenten von Plastik, Chemikalien oder Gas. Kann man die Aufbereitung von Open Data monetarisieren?

Absolut! Und das zeigen die Startups, die wir im ODI inkubieren. Vor ein paar Monaten hat eines davon, Mastodon C, einen riesigen Datensatz im Gesundheitswesen analysiert und dabei ein Sparpotential von sagenhaften 200 Millionen Pound gefunden; hauptsächlich, indem man Generika effizienter einsetzt.

Wir sind noch ganz am Anfang, wenn es um Open Data geht. So gibt es viele Parallelen zu dem Beginn des World Wide Webs. Heute wissen wir, dass das WWW die erfolgreichste Informationsarchitektur in der Geschichte ist.

 

In Großbritannien sowie im Norden Europas wird Open Data von den höchsten Regierungskreisen unterstützt, im Gegensatz zum europäischen Festland. Welche Vorbehalte gibt es hier gegenüber Open Data, was spricht dagegen?

Das stimmt, die USA und ganz besonders Großbritannien sind Vorreiter; Open Data wird von ganz oben unterstützt. Ich glaube, in Europa gibt es mehr Vorbehalte mit Bezug auf Datenschutz. Man ist generell vorsichtiger. Das ist genau richtig, wenn es um persönliche Datensätze wie Krankheitsfälle geht. Bei Bushaltestellen oder Staatsausgaben ist dieses Argument meist eine Ausrede.

Im Allgemeinen sind es oft finanzielle Hürden. Die Deutsche Nationalbibliothek zum Beispiel verkauft Daten im Wert von einer halben Million Euro. Um nicht von heute auf morgen ein riesiges Loch in der Bilanz zu haben, wird das Open Data Prinzip über fünf Jahre schrittweise ausgerollt.

 

 

Kann man die Open-Data-Bewegung im Zusammenhang mit Wikipedia, mit Linux, mit der Hackerethik des finnischen Philosophen Pekka Himanen sehen – handelt es sich um eine neue Form des Denkens und Arbeitens überhaupt? Oder sehen Sie in Open Data primär ein Projekt, das in erster Linie den Unternehmen Vorteile bringt? Wem konkret nützen die Daten, die frei verfügbar werden?

Open Source und Open Knowledge sind eng verbunden mit Open Data. Das sieht man auch bei sogenannten „grassroots organisations“ wie die Open Knowledge Foundation, die alles unter einen Hut packen.

Daten, die allen verfügbar sind, können auch allen nutzen.  Wir sprechen nicht nur von einem ökonomischen, sondern auch gesellschaftlichen und ökologischen Nutzen. Wir arbeiten zum Beispiel daran, Daten von Autos öffentlich zu machen: Diese würden Millionen an Betrugskosten einsparen, Straßen sicherer machen und die schlimmsten Dreckschleudern aus dem Verkehr ziehen.

 

Nicht nur in den Printmedien kann man in den letzten Jahren einen Siegeszug von Infografiken und grafischen Darstellungen beobachten. Was gestern die traditionellen Meldungen und Reportagen waren, sind das Data Journalism und Visual Journalism morgen? Wer sind die Vorreiter bei diesem Thema?

Es gibt sicherlich einige wichtige Ansätze: Der Guardian Data Blog ist ein Vorreiter im Data Journalismus. Die New York Times ist bekannt für ihre beeindruckenden Visualisierungen. Es gibt das Data Journalism Handbook für diejenigen, die einsteigen möchten. Das heiße Thema ist inzwischen eine Evolution von Infografiken zu „Storytelling“ und ein „visual narrative“.

 

Mit welchen Argumenten würden Sie Südtirols Politik davon überzeugen, der Öffentlichkeit mehr Daten zur Verfügung zu stellen? Welche Daten würden Sie gerne zugänglich machen, wenn Sie an Südtirol denken?

Nehmen wir wieder das Beispiel Transport, weil es einfach und relativ unkontrovers ist. Warum nicht Bushaltestellen, Fahrpläne und live Daten zu Abfahrtszeiten veröffentlichen? Das würde erstens Innovation schaffen, wie z.B. digitale Applikationen, die Qualität der Daten würde sich verbessern, weil Bürger fehlerhafte Informationen (dezentral) korrigieren können und möglicherweise wären mehr Leute bereit öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Und Touristen würde ein besserer Service geboten, also ein Marketinggrund noch dazu.

 

Welchen Datensatz möchten Sie zur Verfügung haben und was würden Sie damit machen?

Ich wünsche mir mehr Offenheit bei Produkten, die es im Supermarkt oder unter den Lauben zu kaufen gibt. Ich will wissen, was ein fairer Preis ist, was im Produkt drinnen steckt und woher es kommt. Open Data kann dieses Problem lösen.

 

 

Redaktion: Tobias Lechner

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