„Manche Südtiroler haben bis heute am Mars gelebt“
Christoph Prantner aus Schlanders leitet das außenpolitische Ressort der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. Beim Mittagessen in einem Wiener Kaffeehaus spricht der 40-Jährige über seinen Alltag in einem Flohzirkus, den Konkurrenzkampf zwischen China und den USA und über die Sitten in Südtirols Medien- und Politiklandschaft.
Christoph Prantner (40) begann seine Karriere beim "Standard" als Chronik-Volontär 1997. Seit 2007 ist er Ressortleiter für Außenpolitik.
Wie läuft ein Arbeitstag in der „Standard“-Redaktion gewöhnlich ab? Bleibt da immer Zeit für eine Mittagspause?
Die Mittagspause muss wirklich oft ausfallen – aber heute habe ich Glück! Arbeitstage nach dem Schema F gibt’s im Journalismus relativ selten. Genau das ist auch einer der Reize des Jobs. Mein Tag in der Redaktion beginnt gegen neun Uhr früh vor allem mit der Nachrichtenbewertung.
Ich schaue mir an, was über Nacht in Amerika passiert ist, was die Korrespondenten hereinschicken und worüber die Agenturen, die österreichischen und die internationalen Blätter berichten. Dann überlegen wir in der Redaktion, was auch noch morgen für die LeserInnen und Leser interessant sein könnte und welche Analysen und Hintergrundgeschichten wir liefern wollen. Deadline für die letzten Texte ist dann gegen 18 Uhr, danach geht es oft noch zu Abendveranstaltungen, Debatten und Empfängen.
Das Schreiben macht vielleicht 25 Prozent meiner Arbeit aus, der große Rest ist vor allem Themenfindung, Koordination, Planung und Managment. Hier in Wien bin ich für fünf Redakteure verantwortlich und weltweit für circa 45 Korrespondenten. Das bedeutet viele Telefonate und auch viele Reisen. Allein diesen Flohzirkus zu koordinieren, ist ein relativ großer Aufwand.
Nairobi, Kenia: In einem der größte Slums Afrikas bei einem Projekt für AIDS-Waisen.
Ihr Job als Ressortleiter für Außenpolitik führt Sie um die ganze Welt. Was war das Ziel Ihrer letzten Auslandsreise?
Da ging’s für knapp zehn Tage in die USA – zur Berichterstattung über den Super Tuesday nach Ohio. Einerseits war dieser Bundesstaat in den republikanischen Vorwahlen sehr wichtig und andererseits wird er für die Präsidentschaftswahlen am 6. November entscheidend sein. Danach habe ich noch zwei Tage in Washington D.C. angehängt, um eine Runde durch Thinktanks zu machen, mit Journalistenkollegen und Universitätsleuten zu sprechen und um Bekannte zu treffen. Dabei bekommt man erst ein wirkliches Gefühl dafür, was in einem Land los ist und wohin die Reise im Herbst gehen könnte. Es ist unmöglich, außenpolitische Berichterstattung vom Schreibtisch aus zu machen.
Welche Begegnung hat Sie auf Ihren Reisen besonders beeindruckt?
Es gibt immer spezielle Begegnungen – mal sind sie geplant, mal weniger. Mich fasziniert es immer, wenn ich Leute treffe, die einen großen Horizont haben und Dinge in eine historische Perspektive setzen können.
In Mississippi etwa habe ich den alten Bürgerrechtskämpfer James Meredith besucht. Er war der erste Afro-Amerikaner, der auf die University of Mississippi durfte, nachdem Präsident John F. Kennedy ihn durch die National Garde beschützen ließ. Dieser Fall führte letztendlich zu den Bürgerrechtsgesetzen in Amerika.
Interviews habe ich mit George H. W. Bush gemacht oder dem ehemaligen NATO-Generalssekretär Javier Solana. Das sind Leute mit einem doppelten Boden, die nicht nur als Politiker, sondern auch menschlich interessant sind. Ein großartiger Typ ist auch Larry Hagman, der J.R. im Denver-Clan dargestellt hat. Hagman hat eine sehr prononcierte politische Meinung, die er dazu auch noch ganz gut ausdrücken kann. Er ist ein Links-Libertärer, der aber wirklich gar nichts mit der Figur des Ölbarons zu tun hat, die er gespielt hat.
Kasachstan, Semipalatinsk, Technical Area P1: In diesem Teil des Sowjetischen Atomwaffentestgeländes in der kasachischen Steppe haben die Sowjets ihre erste Atombombe gezündet. Noch heute sind Teile davon schwer verstrahlt.
Welche aktuellen Trends und Entwicklungen lassen sich in der Außenpolitik heute feststellen?
Es gibt mehrere interessante Entwicklungen: Unabhängig vom Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen gibt es etwa den Trend zu mehr transpazifischer Politik zwischen den USA und China. Der Aufstieg Chinas einerseits und der relative Abstieg der USA andererseits ziehen einen politischen und ökonomischen Konkurrenzkampf nach sich, der das 21. Jh. dominieren wird. Wenn die Prognosen stimmen, wird China 2020 die stärkste Wirtschaftsmacht sein. Daraus ergeben sich Konsequenzen für das Finanzsystem, für den Handel, für Investitionen, für die Sicherheitspolitik und viele andere wichtige Bereiche.
Gleichzeitig wird der Trend wohl oder übel dahingehen, dass die Europäer für die Amerikaner unwichtiger werden. Europa wird sich im weiteren Verlauf der Finanzkrise auf eine deutlich intensivere europäische Integration einstimmen müssen. Eine der Konsequenzen dieser Finanzkrise ist, dass ein Kerneuropa deutlich mehr integriert sein wird als die Peripherie und dass die Kapitalen der Nationalstaaten bis auf Berlin und Paris an Bedeutung verlieren werden.
Ansonsten werden Energie, deren Erzeugung und Transit sowie die Migrations-, Klima-, Cyber- und Handelspolitik die politischen Agenden im 21. Jh. bestimmen.
Wie sieht es mit der Machtverlagerung auf neue, nicht-staatliche Akteure in der Außenpolitik aus?
Eine der interessantesten Entwicklungen im politischen Bereich der letzten Jahre ist sicherlich die Relativierung des Machtbegriffs. Macht, die an staatlichen Akteuren festgemacht ist, erodiert. Dagegen treten neue politische Akteure stärker ans Licht, wie etwa NGOs, multinationale Unternehmen, transnationale Verbrecherkartelle oder global organisierte Hackergemeinschaften.
Mit der fortschreitenden Digitalisierung der Welt wird es ein neues Feld geben, auf dem politische Konflikte ausgetragen werden: den Cyberspace. Dieser eröffnet etwa der staatlichen Spionage völlig neue Möglichkeiten. Die Begriffe Cyberwar und Cybersecurity werden immer wichtiger. Hackergruppen können bedeutende Macht erlangen, indem sie relativ leicht, ganze Staaten lahm legen oder hochbrisante Informationen preisgeben. So etwas wie Wikileaks oder der Machtanspruch von Anonymous wäre noch vor zehn Jahren unvorstellbar gewesen.
Kiaoshiung, Taiwan: Zu Besuch in der größten buddhistischen Klosteranlage auf der Insel.
Wie schwierig ist es, diese komplexen Prozesse und Entwicklungen in der internationalen Politik für die Leserinnen und Leser verständlich und möglichst transparent aufzuschlüsseln?
Das ist bei unserer Leserschaft relativ einfach. Unser Blatt wendet sich an eine kleine, aber dafür umso höher gebildete Leserschicht. In Österreich haben wir ungefähr um die 360-370.000 Leser. Das ist eine Reichweite von immerhin fünf Prozent. Verglichen dazu haben die „Süddeutsche Zeitung“ oder der „Corriere della Sera“ nur die Hälfte.
Wir werden von Lesern mit universitären Abschlüssen und hohen Einkommen nachgefragt, von denen viele in leitenden Funktionen tätig sind, globalisiert denken und hochdigitalisiert leben. Aber natürlich gibt es immer technische Sachverhalte wie etwa den Atomwaffensperrvertrag oder das iranische Atomprogramm, bei denen auch große Erklärungsarbeit geleistet werden muss. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass die internationale Berichterstattung auf den ersten Seiten des „Standard“ zu finden ist und die Innenpolitik erst danach. Das ist, glaube ich, ein Statement unserer Zeitung, die eine internationale zu sein versucht – und, denke ich, es auch ist.
Sie haben selbst zahlreiche Interviews geführt. Wie ist es nun für Sie, selbst interviewt zu werden?
Es ist nicht das erste Mal, dass ich ein Interview gebe. Es ist Teil meines Jobs, das Blatt auch nach außen hin zu repräsentieren. Ich nehme regelmäßig an Podiumsdiskussionen teil und moderiere solche auch. Es ist also nichts Ungewöhnliches für mich – aber es kommt natürlich immer auch auf die Fragen an (lacht).
Der Onlinejournalismus boomt derzeit geradezu. Wie schwierig ist es für den „Standard“ - oder generell für Printmedien - daneben zu bestehen und weiterhin qualitativ hochwertigen Journalismus zu gewährleisten?
Insbesondere in Amerika lässt sich erkennen, dass das althergebrachte Geschäftsmodell der Tageszeitung nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Damit kämpft die „New York Times“ genauso wie deutsche Zeitungen oder der „Standard“. Noch niemand hat einen Königsweg gefunden, wie man Print- und Onlinebereich publizistisch so verknüpft, dass es Sinn macht. Das allerdings wäre aber noch die einfachere Übung. Das viel größere Problem sind die sinkenden Printeinnahmen und die nicht in gleichem Maße steigenden digitalen Einnahmen. Die Herausforderung für die kommenden Jahre wird sein, trotz dieser Situation genügend Geldmittel aufzustellen, um noch einigermaßen anständigen Journalismus bieten zu können. Qualitätsjournalismus kostet einfach Geld, darum kommt man nicht herum.
Nord Gondar, Äthiopien, auf dem Weg zum höchsten Berg Äthiopiens Ras Dashen: Ein Naturschutzgebiet, das über 1000 Meter hohe Wände in die sudanesische Tiefebene abbricht.
Welchen Weg geht der „Standard“, um diesem Dilemma auszuweichen?
Wir verfolgen einen Ansatz, der eigentlich von Anfang an ungewöhnlich war. Der Standard war 1995 die erste deutschsprachige Tageszeitung im Internet. Beide Redaktionen, also Print und Online, haben sich autonom entwickelt, sind beide erfolgreich und verdienen Geld. Jetzt stehen wir aber vor der Herausforderung, diese beiden Medienkanäle so zusammenzuführen, dass sie nebeneinander bestehen bleiben. Das soll gelingen, indem wir mit Ende des Jahres in ein neues Haus ziehen. In einem völlig neuen Newsroom wird die Printproduktion viel enger mit unseren Onlinekollegen zusammenarbeiten. Unser Credo dabei ist: Kooperation statt Zusammenlegung.
Was wird sich in naher Zukunft in der Medienbranche und im Journalismus noch tun?
Was an Trends dazukommt, sind die Social Media – nicht unbedingt als Wissensgeneratoren, sondern eher als Verbreitungskanäle. Viele von den Klicks und Zugriffen auf unsere Website kommen über die Social Media. Dort wird vieles verlinkt und weiterempfohlen. Das ist eine Entwicklung, der man Rechnung tragen muss und ganz generell stellt sich die Frage, wie man damit umgeht und welche Bedeutung man ihr beimisst. Es ist wichtig, dass die Leute vom Fach die beruflichen Standards einhalten und nicht auf jeden Spin, der durchs Internet getrieben wird, reinfallen. Qualitätsstandards gelten für den Print- und den Onlinejournalismus gleichermaßen, d.h. man muss ordentlich recherchieren, checken, rechecken und möglichst vor Ort sein.
Nahe Gori, Georgien: In der Nähe einer zerstörten georgischen Luftabwehrstellung aus dem Krieg 2008. Im Hintergrund: Südossetien.
Wenn Sie für einen Tag in der Südtiroler Tagespresse mitmischen könnten, was würden Sie tun?
Stellen Sie mir eine einfachere Frage! Das generelle Problem in Südtirol ist eine Medienkonzentration, die dem Land nicht gut tut. Das andere ist, dass die Politik und auch die Kirche viel zu sehr in den Medien und im Journalismus mitmischen. Das betrifft etwa Eigentümerstrukturen in gewissen Unternehmen oder Postenbesetzungen bei der Rai. Das ist einfach eine Unsitte, weil es sowieso kaum politischen Wettbewerb gibt – zumindest keinen vernünftigen und in die Zukunft gewandten. Das Problem ist, dass dieser Wettbewerb auch von den Medien nicht vorangetrieben wird.
Ich will das nicht generalisieren, aber es ist ein Trend, den ich feststelle, wenn ich dort bin – und ich bin relativ oft dort. Man sollte endlich mit der Vergangenheit Frieden schließen und Dinge wie die Europäische Integration zur Kenntnis nehmen. Es ist wichtig, dass man seine Vergangenheit kennt, sie bis zu einem gewissen Grad bewältigt und sich mit ihr auseinandersetzt – sonst verspielt man seine Zukunft. Aber in Südtirol wird über teils wirklich bizarre Dinge geredet. Da frage ich mich, wo bestimmte Leute in den vergangenen 20 Jahren gelebt haben – am Mars? Sie kochen in ihrem eigenen Sud und die Medien tragen dazu bei. Mit Ressentiments und Reminiszenzen kann man in einer globalisierten Welt einfach nicht bestehen. Das ist in Zeiten wie diesen völlig verfehlt, um nicht zu sagen dumm.
Gerade deswegen ist das Südstern-Netzwerk für mich wichtig. Es soll frischen Wind von außen hereinholen, das Land durchlüften, neue Ideen bringen – und das tut es auch. Allerdings: Nur jene Leute sind im Netzwerk, die schon „draußen“ sind. Deswegen sollten vielleicht auch die relevanten Leute in Südtirol ein bisschen öfter einen Blick auf den Südstern riskieren.