"Ich finde, dass Québec in vielen Punkten Südtirol ähnelt"
Elisa Valentin, gebürtige Boznerin mit Gadertaler Wurzeln, lebt und arbeitet seit nun fast 10 Jahren in Québec City. Dort ist sie im Ministerium für internationale Beziehungen tätig und leitet nun die Abteilung Lateinamerika und Antillen der kanadischen Provinz. Im Südstern-Interview spricht Valentin über ihre Arbeit für die Québecer Regierung, über Besonderheiten Südtirols und Québecs und über die Herausforderung, Kinder mehrsprachig großzuziehen.
Was hat Sie nach Kanada geführt und was schätzen Sie besonders an diesem Land?
Ich habe schon während meiner Studienzeit längere Zeit im Ausland verbracht (Auslandsjahr in Frankreich während des Lyzeums und später Erasmus in Spanien) und somit internationale Erfahrungen gesammelt und schätzen gelernt. Nach meinem Uniabschluss habe ich dann die Gelegenheit gehabt, ein Praktikum bei der kanadischen Regierung machen zu können und ich bin dort schließlich insgesamt 2 Jahre geblieben. Nach einem dreijährigen Aufenthalt in Paris bin ich jetzt seit 2004 in Québec, wo ich bei der Quebecer Regierung arbeite. Ich finde, dass Québec in vielen Punkten Südtirol ähnelt: besonders die Mehrsprachigkeit und die Herzlichkeit der Bevölkerung sind für mich auffallende Berührungspunkte. Aber natürlich gibt es da auch wesentliche Eigenschaften des nordamerikanischen Volkes, wie der Pragmatismus und die Lebensweise, an die man sich zwar erst gewöhnen muss, die aber auch viel Positives bieten, wie etwa Leistungsgesellschaft, Chancengleichheit, oft Unkompliziertheit, usw.
In Ihrem Lebenslauf sind eine Reihe unterschiedlicher Tätigkeiten vorzufinden: Sie waren Wirtschaftsanalystin für die kanadische Regierung, später Beraterin für einen der größten Werbedienstleister der Welt, Sie waren als Forscherin aktiv und sind nun im Bereich internationale Beziehungen angelangt. Wo sehen Sie die wichtigsten Berührungspunkte zwischen diesen Berufsbildern?
Berührungspunkte zwischen all diesen Tätigkeiten sind hauptsächlich Recherchen und Analysen. So habe ich bei der kanadischen Regierung Analysen in verschiedenen Wirtschaftssektoren durchgeführt, und das erwies sich mir später bei Publicis in Paris als sehr nützlich. Dort habe ich mich im Zweig "Public Relations und Consulting" des Unternehmens auf Benchmarking-Studien spezialisiert, d.h. wir haben innovative Kommunikationsstrategien führender Unternehmen in den Bereichen "Finanz" und "Nachhaltige Entwicklung" analysiert und sie dann miteinander verglichen. Das hat mir wiederum nach meiner Rückkehr nach Kanada dazu verholfen, einige Zeit als Forscherin im Bereich der Soziologie zu arbeiten. Aber schließlich habe ich die Gelegenheit wahrgenommen, für die Quebecer Regierung im Ministerium für internationale Beziehungen zu arbeiten. Das entspricht nicht nur meiner akademischen Ausbildung, sondern es kam mir auch zu diesem Zeitpunkt besonders gelegen, weil ich das Verlangen verspürte, mich nach all den Jahren der Forschung etwas mehr auf konkrete, zwischenmenschliche, bilaterale Beziehungen zu konzentrieren.
Sie sind Leiterin der Abteilung Lateinamerika und Antillen im Ministerium für Internationale Beziehungen in Quebec. Was reizt Sie besonders an dieser Tätigkeit und wie sind Sie als Südtirolerin zu dieser Position gelangt?
Im Ministerium für internationale Beziehungen hatte ich die Gelegenheit, verschiedene Stellen zu besetzen, u.a. war ich 2010-2011 für die Beziehungen mit Haiti zuständig, was zum Zeitpunkt des großen Erdbebens eine besondere Herausforderung und eine einzigartige Erfahrung für mich war. Daraufhin war ich Referentin für Deutschland, Österreich und die Schweiz, was mir einen gewissen "Heimvorteil" geboten hat - Québec pflegt z.B. besonders enge Beziehungen zu Bayern, weiters habe ich die Quebecer Premierministerin zum World Economic Forum in Davos begleitet. Ich hatte sogar die Gelegenheit, mich mit Vertretern der Uni Innsbruck - von Südtiroler Herkunft - in Québec zu unterhalten. Seit Juli bin ich in einer Führungsposition, und zwar als Leiterin der Abteilung Lateinamerika und Antillen. Besonders faszinierend an meinem Beruf ist es für mich mitzuerleben, wie aktiv eine Provinz auf einer internationalen Ebene sein kann.
Ihrem Profil nach zu schließen sind Sie zumindest fünfsprachig: Sie sprechen fließend Deutsch, Italienisch, Englisch, Französisch und Spanisch. In welcher Sprache fühlen Sie sich zuhause?
Ich fühle mich immer noch in Deutsch zuhause: Ich denke, zähle und träume auf Deutsch. Auch mit meinen zwei Töchtern spreche ich Deutsch. Es tut mir leid, dass ich ihnen weder die ladinische Sprache übermitteln kann (meine Eltern stammen beide aus dem Gadertal) noch die italienische Sprache, aber in einer 100% französischsprachigen Umgebung ist es schon eine Leistung, wenn sie halbwegs Deutsch verstehen und sprechen! Was die Arbeit anbelangt, fühle ich mich inzwischen aber auf Französisch sicherer.
Bei näherer Betrachtung lassen sich einige Gemeinsamkeiten zwischen Südtirol und Québec erkennen: beides sind Gebiete in einem Land, das mehrheitlich eine andere Sprache spricht und einen anderen kulturellen Hintergrund aufweist. Wo sehen Sie hier Parallelen und Unterschiede?
Genau, ich glaube, dass ich mich deshalb auch hier wohl fühle. Wie die Südtiroler sind die Quebecer ein Volk, das sich seiner kulturellen Eigenart sehr wohl bewusst ist und sie auch zu gelten weiß. Québec ist wohlhabend, im Gegensatz zu manchen anderen Provinzen in Kanada. In Südtirol wie auch in Québec sind sich die Menschen bewusst, wie wichtig es ist, ihre Besonderheit zu schützen, aber auch, einen eigenen "modus vivendi" der restlichen Bevölkerung gegenüber zu finden. Man darf ja nicht vergessen, dass Québec etwas mehr als 6 Millionen französischsprachiger Einwohner zählt, die sich knapp 350 Millionen Anglophonen in Nordamerika gegenüber "behaupten" müssen.
Was können wir in Südtirol von Kanada im Allgemeinen und von Quebec im Speziellen lernen?
Vielleicht die Tatsache, dass man mehr für die Integration beider Sprachen tun könnte, was allerdings weder in Québec noch in Südtirol einfach sein dürfte. Zum Beispiel könnte man bereits in den Schulen verschiedene Aktivitäten planen, die die Schüler der jeweils anderen Sprachzugehörigkeit mehr oder weniger spielerisch und auf interessante, intelligente Weise näher bringen würde.
Was fehlt Ihnen am meisten an Südtirol?
Die "wahren" Berge (hier in Québec gibt es nur "Hügel", und die Rocky Mountains sind etwa 4000 km entfernt), das Essen und natürlich meine Familie und meine Freunde.
In Südtirol wurde vor kurzem ein neuer Landtag gewählt. Welche Themen sollte die Politik Ihrer Meinung nach in Zukunft stärker angehen?
Die Integration der Einwanderer, denn um dieses Thema kommt man heute nicht mehr herum. Deswegen sollte man es offen und mutig angehen.
Interview: Verena Platzgummer