"Spanier sagen immer lieber alles durch die Blume"
Die Konferenzdolmetscherin Waltraud Hofer lebt und arbeitet seit einigen Jahren in Barcelona. Im Südstern-Interview erzählt die gebürtige Kastelrutherin von der Sprachpolitik in Katalonien, von kulturellen Eigenheiten der spanischen Geschäftswelt, und auch von ihren Erfahrungen als Dolmetscherin, wo sie sogar für Berlusconi sprechen durfte.
Als Konferenzdolmetscherin waren Sie bei Pressekonferenzen namhafter Unternehmen tätig und haben bei Staatschefstreffen Persönlichkeiten wie Silvio Berlusconi oder dem ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Zapatero eine deutsche Stimme verliehen. Welcher Dolmetsch-Auftrag sticht da für Sie persönlich besonders heraus?
Die Dolmetschtätigkeit anlässlich des Staatstreffens mit dem ehemaligen spanischen Ministerpräsidenten Zapatero war für mich sicherlich einer der interessantesten Aufträge, da man plötzlich Menschen vor sich hat, die man nur aus dem Fernsehen und der Zeitung kennt und doch das Gefühl hat, man kennt sie schon seit langem. Das Interessante an solchen Aufträgen ist auch, dass man das Geschehen hinter den Kulissen erlebt, sieht, was sich hinter laufenden Kameras abspielt, wie nervös die Mitarbeiter so eines Präsidenten sind, damit wirklich nichts schief läuft. Ich habe auch schon oft für namhafte spanische Modedesigner bei Modenschauen gedolmetscht, was ebenfalls sehr spannend sein kann, vor allem wenn man sich das Treiben hinter den Kulissen ansehen kann, wie die Models hin und herlaufen, für den Laufsteg vorbereitet werden und manchmal muss man auch durch die Umkleideräume der Models gehen, um zu den Dolmetschkabinen zu gelangen. Vor allem meine männlichen Kollegen finden das sehr amüsant. Oft sind es jedoch ganz andere Ereignisse, die mich bei meiner Arbeit besonders berühren, so z.B. anlässlich einer AIDS-Konferenz, als ein Patient erklärte, dass sich bei der Erstellung der Diagnose von AIDS viele aus Angst vor einer Ansteckung von ihm abgewandt hätten, er jedoch den größten Vertrauensbeweis von seiner Schwägerin erhalten habe, als sie ihm ihr neugeborenes Baby in den Arm gedrückt hat. In solchen Momenten muss man sich dann als Dolmetscher wirklich stark unter Kontrolle haben, damit es einem nicht die Stimme verschlägt.
Auf Ihrem Südstern-Profil zitieren Sie Theodor Fontane: „Courage ist gut, Ausdauer ist besser.“ Welche Bedeutung hat dieses Zitat für Sie?
Im Leben ist es wichtig, auch mal ein Risiko einzugehen, den Sprung ins kalte Wasser zu wagen, da man sonst an der gleichen Stelle bleibt. Aber ich für meinen Teil habe gelernt, dass man immer konstant weiterarbeiten muss, wie eine kleine Ameise, da nur so der Bau vollendet werden kann. Talent ist gut und wer viele Talente hat, kann sich glücklich schätzen, aber Talent allein reicht nicht, nur die Beharrlichkeit bringt einen tatsächlich weiter.
Das Dolmetschen ist eine Tätigkeit, die mit sehr viel Stress und einer großen Verantwortung verbunden ist. Wie erleben Sie dies und wie gehen Sie damit um?
Ich habe noch vor jedem Auftrag „Lampenfieber“ und empfinde jede Arbeit als Prüfung. Sobald dann jedoch das Mikrofon an ist, ist der Adrenalinspiegel so hoch, dass ich mich nur mehr auf den Sprecher und seine Rede konzentriere, sodass die gesamte Aufregung und Nervosität verfliegt. Nach der Arbeit bin ich jedoch für eine gewisse Zeit sehr lärmempfindlich und empfinde laute Geräusche als störend. Meinen Ausgleich finde im Joggen in der Natur. Wichtig ist in diesem Beruf eine gewissenhafte Vorbereitung auf jeden Dolmetscheinsatz, denn dadurch erhält man Sicherheit und kann daher viel entspannter an die Sache herangehen. Ein wichtiges Thema ist auch die Vertraulichkeit. Bestimmte Aussagen, die man gehört und in die andere Sprache verdolmetscht hat, müssen auch vertraulich behandelt werden und dürfen nicht nach draußen gelangen.
Sie haben an zwei der renommiertesten Institutionen für Dolmetschen studiert – in Triest und in Heidelberg. Wie haben Sie die deutsche und italienische Mentalität in Ihren Studienjahren erfahren?
Ich bin sowohl bei den Professoren als auch bei den Studenten immer auf eine sehr europäische Einstellung gestoßen und habe nie besonders gravierende Unterschiede festgestellt. Allein die Tatsache, dass man von zu Hause wegzieht, um in einer anderen Stadt zu studieren, zeigt doch schon, dass man bereit ist, offen zu sein und Neues auf sich einwirken zu lassen.
Sowohl in Südtirol als auch in Katalonien gab es immer wieder Konflikte um die Sprachpolitik. Wie stehen diese beiden Regionen Ihres Erachtens nach im Vergleich da?
Die katalanische Sprache ist neben Spanisch in Katalonien offizielle Landessprache, die in der öffentlichen Verwaltung, vor Gericht, bei der Polizei und in den Schulen gesprochen wird. Auch hier muss man zweisprachig sein, um in der öffentlichen Verwaltung arbeiten zu können. Es gibt hier jedoch keinen ethnischen Proporz, nach dem die Stellen vergeben werden. Ich finde, dass die Zweisprachigkeit in Katalonien fließender ist als in Südtirol, da die Leute hier wirklich problemlos von einer Sprache in die andere übergehen und mit dem Katalanischen und Spanischen sehr natürlich umgehen. Als nicht Katalanisch sprechender Ausländer hat man hier überhaupt kein Problem zurechtzukommen. Sobald die Leute hören, dass man des Katalanischen nicht mächtig ist, wechseln sie sofort ins Spanische über. Im Gegenzug schätzt man es an Ausländern sehr, wenn sie ein paar Worte Katalanisch sprechen. Das Katalanische steht jedoch aufgrund der Einwanderung, vor allem aus lateinamerikanischen Ländern, in denen Spanisch gesprochen wird, unter einem gewissen Druck. Wenn es hier eine Sprache gibt, die die Oberhand einnimmt, dann ist es das Spanische. Die katalanische Autonomieregierung versucht dem mit ihrer Sprachpolitik entgegenzuwirken, da sie Angst hat, das Katalanische könnte vom Spanischen überrollt werden. So wird der Unterricht an den öffentlichen Schulen nur auf Katalanisch erteilt. An den halbstaatlichen Schulen ergolgt er in beiden Sprachen. Im Unterschied zu Südtirol gibt es hier in Katalonien einen Verein, der dazu beiträgt, die Sprache und vor allem die katalanische Kultur aufrechtzuerhalten, nämlich den Fußballclub Barça.
Sie interessieren sich für die Unterschiede in der Unternehmenskultur von deutschen, spanischen und italienischen Unternehmen. Welche Unterschiede stechen besonders hervor?
Besonders stechen die deutsche Disziplin und Pünktlichkeit hervor. Man stellt Regeln auf, die auch eingehalten werden. Bei der Arbeit werden nur Sachthemen behandelt, Deutsche vermeiden es, Persönliches mit Beruflichem zu vermischen, während Spanier sehr gesprächsfreudig sind und gern persönliche Themen besprechen. Ich habe schon öfter von Spaniern gehört, dass sie nicht so gern mit ihren deutschen Kollegen in der Kantine Mittag essen, da diese auch während des Mittagessens nur über die Arbeit sprechen. Ein weiterer Unterschied ist im Konfliktmanagement zu erkennen. Deutsche sprechen Konflikte dirket an, um sie sofort aus der Welt zu schaffen, während Spanier konfliktscheu sind und ein direktes, offenes Gespräch lieber vermeiden, weil sie sehr empfindlich auf Kritik reagieren. Da die Deutschen Berufliches und Privates stark trennen, können sie mit Kritik besser umgehen und erkennen diese als konstruktiv. Spanier fühlen sich bei Kritik sofort persönlich angegriffen und sind schnell beleidigt. Die Deutschen möchten ein Problem sofort aus der Welt schaffen, während Spanier und Italiener das Thema lieber auf Morgen verschieben oder unter den Teppich kehren und dem Problem ausweichen. In vielen Unternehmen habe ich den offenen Ansatz der Deutschen erlebt, die Dinge konkret beim Namen zu nennen, während Spanier die Dinge nie offen ansprechen, sondern immer lieber alles durch die Blume sagen, was oft zu Mißverständnissen zwischen deutschen und spanischen Mitarbeitern in den Unternehmen führt. Die Deutschen verstehen die ausschweifenden Antworten der Spanier nicht und die Spanier können mit der zu direkten, rauhen Kommunikation der Deutschen nichts anfangen und empfinden sie oft als unhöflich, beleidigend und sogar aggressiv. Deutsche gehen davon aus, dass Aufgabenstellungen und Verpflichtungen auch ohne externe Kontrolle eingehalten werden, was aber so bei Spaniern nicht funktioniert. Sie erfüllen ihre Aufgaben pflichtbewusst, aber nur, wenn sie immer wieder daran erinnert werden. Bei Meetings kommen die deutschen Kollegen immer mit einer Tagesordnung an, alles ist geplant und gut strukturiert. Spanier kommen ohne Tagesordnung und plappern drauf los, jeder ergreift das Wort, ohne eine Sprechreihenfolge einzuhalten und alle zu behandelnden Punkte werden gleichzeitig angesprochen, während sich Deutsche an die Sprechreihenfolge halten und die wichtigen Punkte zuerst erwähnen. Was ein Deutscher als korrektes Verhalten empfindet, nimmt der Spanier oft als autoritär und stur wahr. Spanier duzen sich relativ schnell, was für deutsche und italienische Unternehemskulturen eher ungewöhnlich ist.
Worauf sollte man als Südtiroler achten, wenn man in Spanien Geschäfte machen will?
Bevor man im Land erste Geschäftskontakte anknüpfen will, sollte man sich über die Kultur und die Tradition des Landes informieren und sich darauf einstellen. Die Geschäftsbeziehungen müssen von langer Hand vorbereitet werden. Man darf nicht davon ausgehen, dass man sich sofort einigen wird und es unverzüglich zu einem Vertragsabschluss kommt. Wenn man in Spanien eine Geschäftsbeziehung eingehen möchte, darf man nicht sofort mit Sachthemen beginnen, sondern man sollte das persönliche Gespräch suchen, man kann getrost persönliche Themen ansprechen wie Familie, Hobbies. In Barcelona kann man gut über die Schiene Fußball mit Barça einsteigen. Man sollte darauf bedacht sein, in einer lockeren, gemütlichen Atmosphäre zusammenzukommen, am besten beim Essen. Wir als Südtiroler haben den Vorteil, zwischen zwei Kulturen leben zu dürfen und diesen Trumpf sollte man in Spanien auch ausspielen. Wir können mit unserer „deutschen“ Disziplin und Seriösität punkten, die man in Spanien sehr schätzt. Spanier halten viel von deutscher Arbeitsweise, sobald sie sie verstanden haben. Gleichzeitig bedarf es auch der „italienischen“ Flexibilität und Kreativität. Besonders wichtig ist es, einmal geknüpfte Geschäftsbeziehungen nicht aus der Hand zu lassen, sondern sie immer weiterzuverfolgen. Spanier muss man immer wieder anrufen und sie nach dem Stand der Dinge befragen. Sie reden nämlich sehr viel, und viele ihrer Aussagen sind am nächsten Tag schon nicht mehr gültig.
Als Südländer haben Spanier und Italiener dem Klischee gemäß vieles gemeinsam. Was zeichnet die beiden Völker aus?
Die Italienier sind viel theatraler als die Spanier, was man bereits an der Gestik erkennt. Italiener gestikulieren beim Sprechen sehr viel, was für Spanier nicht typisch ist. Die Italiener unterhalten sich lauter, treten selbstsicherer auf und machen sich so schnell bemerkbar. Die Italiener können sich besser darstellen als die Spanier und verkaufen sich daher auch viel besser. Beispeilhaft ist hier das italienische Marketing. Spanier sind etwas diskreter und distanzierter. Sie sind zwar auch ein sehr offenes Volk, mit dem man sofort ins Gespräch kommt, aber es dauert etwas länger, bis einem die Spanier die eigene Haustür öffnen. Aber auch hier darf man nicht verallgemeinern, sondern muss berücksichtigen, dass es in Spanien sehr große Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen gibt.
Interview: Verena Platzgummer