"Der Alltag hängt stark von der Position des Forschers ab."
Im Jahr 1999 wurde Maria-Christina Zennaro als eine von drei Preisträgerinnen des Futura - Förderpreises für junge SüdtirolerInnen im Ausland auserkoren. Heute ist die gebürtige Brixnerin genau da, wo sie es sich vor 15 Jahren erhofft hatte: Sie forscht im Bereich Genetik in Paris am nationalen Forschungsinstitut INSERM und im Hôpital Européen Georges Pompidou und leitet dort eine Forschungsgruppe, die der seltenen Krankheit des Pseudohypoaldosteronismus sowie dem Hyperaldosteronismus auf den Grund geht. Im Südstern-Interview erzählt Zennaro von den vielfältigen Aufgaben einer Forscherin, von der Lebensqualität der Weltstadt Paris und von den Vorzügen des Südstern-Planeten Medizin.
Nachdem Sie Ihren Facharzt in Endokrinologie in Padua abgeschlossen hatten, haben Sie einen PhD an der Universität Pierre et Marie Curie in Paris begonnen. Welche Überlegung stand hinter dieser Entscheidung?
Ich wollte im Bereich molekulare Endokrinologie forschen und eine Universitätskarriere als Forscherin unternehmen. Zu diesem Zweck habe ich nach meinem Medizin- und Endokrinologie Studium einen PhD in Science an der Universität Pierre et Marie Curie in Paris abgeschlossen, deren naturwissenschaftliche Fakultät zu den führenden europäischen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen zählt. Meine Forschungsarbeit führte ich am Collège de France. Mit dieser Ausbildung erhielt ich 2008 eine Forscherstelle am Institut National de la Santé et de la Recherche Medicale, dem französischen nationalen Institut für Gesundheit und medizinische Forschung.
Sie leiten seit 2004 eine Forschungsgruppe, die sich mit den genetischen Grundlagen der Blutdruckregulierung befasst und untersuchen unter anderem eine seltene Krankheit, den Pseudohypoaldosteronismus. Was kann man sich als Laie darunter vorstellen?
Bluthochdruck ist einer der wichtigsten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf Erkrankungen. Hoher Blutdruck kann zu Schlaganfällen, koronarer Herzkrankheit, Herzinsuffizienz, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Nierenfunktionsstörungen führen. Das Hormon Aldosteron spielt eine Schlüsselrolle in der Regulation des Salzhaushalts und des Blutdrucks. Ausgangspunkt unserer Untersuchungen ist die Hypothese, dass ein besseres Verständnis der Aldosteron-Produktion und -Funktion zu neuen diagnostischen Untersuchungsmethoden und medikamentösen Therapien zur Blutdruckkontrolle in der allgemeinen Bevölkerung beitragen kann. Ganz spezifisch interessieren wir uns für die genaue genetische Charakterisierung von Erkrankungen der Nebenniere, die das Hormon Aldosteron in Überschuss produzieren, dem sogenannten Hyperaldosteronismus, und für eine seltene Krankheit namens Aldosteronresistenz, dem Pseudohypoaldosteronismus Typ 1. Diese Krankheit manifestiert sich bei Neugeborenen als renaler Salzverlust, Gedeihstörung und Dehydratation. Es gibt zwei klinische Formen davon: eine milde Form, die sich mit zunehmendem Alter bessert und eine schwere Form, die bis in das Erwachsenenalter persistiert und lebenslange Therapie benötigt. Ursache des Pseudohypoaldosteronismus Typ 1 sind Veränderungen an verschiedenen Genen, die entweder ererbt sind oder neu erscheinen. Unser Labor an der Abteilung für Genetik des Hôpital Européen Georges Pompidou in Paris ist Referenzzentrum für die genetische Diagnose des Pseudohypoaldosteronismus Typ 1, für die ich verantwortlich bin, und ich leite seit 2004 ein Netzwerk, das sich mit der klinischen und genetischen Forschung an der Krankheit befasst.
Sie haben in Innsbruck, Padua und Paris studiert und forschen nun seit 1998 am INSERM, dem französischen nationalen Institut für medizinische Forschung, und auch am Hôpital Européen Georges Pompidou in Paris. Sehen Sie Unterschiede in der Forschungspraxis in Italien, Frankreich und Österreich?
Ich habe in Innsbruck meine Vorklinik abgeschlossen, jedoch keine Forschungsarbeit durchgeführt, ich kann mich also dazu nicht äußern. Wenn man Frankreich und Italien vergleicht, dann ist die Forschung in Frankreich strukturierter und verfügt über höhere Mittel, soweit ich das beurteilen kann. Insbesondere gibt es hier neben der Forschung an der Universität sehr starke Forschungsstrukturen, wie Inserm und CNRS, die über die modernsten Einrichtungen und starke finanzielle Unterstützung verfügen. Jedes Jahr werden in Frankreich nur am Inserm über 100 beamtete Stellen für medizinische Forschung ausgeschrieben, die aufgrund ihrer Attraktivität zahlreiche Forscher aus dem Ausland anziehen. Das ergibt ein extrem interessantes und internationales wissenschaftliches Milieu!
Wie darf man sich den Alltag eines Forschers in Ihrem Gebiet vorstellen – wenn es so etwas wie „Alltag“ da überhaupt gibt?
Eine richtige Alltagsroutine gibt es in der Forschung nicht, wenigstens nicht auf intellektueller Ebene. Der Alltag hängt stark von der Position des Forschers ab. Am Anfang ist die Arbeit vorwiegend experimental, wissenschaftliche Hypothesen werden durch experimentale (genetische, molekularbiologische, zellbiologische) Arbeit überprüft und die Ergebnisse in internationalen wissenschaftlichen Zeitungen veröffentlicht. Der Alltag läuft also vorwiegend im Labor ab. Je mehr Verantwortung man übernimmt (sprich: je älter man wird), desto mehr geht es darum, Forschungsprojekte zu schreiben, Drittmittel zu erwerben und Forschung zu managen. Praktisch gesprochen heißt das, man verbringt den Tag am Computer und in Sitzungen! Weiterhin haben die meisten Forscher eine Lehraktivität an der Universität. Wir schreiben regelmäßig wissenschaftliche Artikel für internationale Zeitungen und reisen mehrmals pro Jahr auf internationale wissenschaftliche Kongresse, an denen wir unsere Arbeit vortragen.
Sie leben seit geraumer Zeit in Paris, einer Stadt mit Weltruhm, die weltweit eine der beliebtesten Reisedestinationen darstellt. Wie ist es um die Lebensqualität in dieser Stadt bestellt?
Paris ist eine fantastische internationale und weltoffene Stadt! Das kulturelle Angebot ist riesig, tolle Musikszene, unglaubliches Nachtleben! Wenn man dann eine Familie mit Kindern hat, wird es allerdings schwieriger: Wohnungen und Leben sind in Paris extrem teuer, grüne Flächen gibt es wenige und die Straßen sind konstant verstaut. Sobald die Kinder etwas größer sind, ist es jedoch wieder ein großer Vorteil, in Paris zu leben: die Möglichkeit, sich mit den öffentlichen Mitteln fortzubewegen ermöglicht rasch eine große Autonomie und für Jugendliche ist die Stadt natürlich extrem interessant und lebenswert. Was ich hier ganz besonders schätze ist die multikulturelle Dimension und die Toleranz gegenüber der Verschiedenheit, die jedem ermöglicht, nach seiner Art zu leben – das ist ein tolles Gefühl der Freiheit!
Wir wissen heute mehr denn je über den menschlichen Körper, was ihm alles schadet und wie wir ihn am besten gut in Schuss halten. Mancherorts hat dieses Wissen schon fast zu einem „Gesundheitswahn“ geführt. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Diese Entwicklung läuft parallel mit anderen Entwicklungen unserer Gesellschaft, die eine immer größere Kontrolle der eventuellen Risiken unseres Lebens anfordert. Was mir wichtig erscheint ist, dass wir heutzutage die Möglichkeit haben, eine stets ansteigende Anzahl von Krankheiten zu heilen und vor allem, dass das erworbene Wissen uns ermöglicht, effektive Vorbeugungsaktionen einzusetzen, mit denen man das Krankheitsrisiko von Millionen Menschen durch relativ einfache Maßnahmen senken kann!
Sie haben im Jahr 1999 den Förderpreis für junge SüdtirolerInnen im Ausland, Futura, erhalten. Sieht Ihr Leben heute so aus, wie Sie sich das vor 15 Jahren vorgestellt haben?
Ja, ich würde sage, ich hab das Glück, mehr oder weniger das zu tun, was ich mir vorgestellt habe!
Sie arbeiten aktiv am Planeten Medizin mit, unter anderem bei der Organisation des jährlichen Symposiums. Was gefällt Ihnen am Planeten?
Wissenschaftler sind im Allgemeinen stark vernetzt, das ist für unsere Arbeit und den intellektuellen Austausch notwendig. Der Planet Medizin vernetzt innerhalb Südsterns Mediziner, Naturwissenschaftler und alle diejenigen, die im Gesundheitswesen tätig sind. Ich hab durch den Planeten viele tolle und motivierte Kollegen kennengelernt - es ist beindruckend, was die Leute alle so machen! Durch das jährliche Symposium, von dem heuer am 31. Oktober die zweite Ausgabe stattfindet, soll der Austausch und das Networking mit in Südtirol ansässigen Medizinern und Wissenschaftlern verstärkt werden. Das Symposium war letztes Jahr extrem interessant und bereichernd!
Interview: Verena Platzgummer