"Bei Godzilla hatte ich so große Einstellungen zu bearbeiten, wie noch nie zuvor"

Mittwoch, 11.06.2014

Markus Kircher hat an der Filmakademie in Wien studiert und ist nach einem Intermezzo in Peking nun im Bereich der visuellen Effekte als Compositor in Vancouver tätig. Im Südstern-Interview erklärt der junge Brixner, was Compositing eigentlich ist, erzählt von seinen Erfahrungen bei Großprojekten wie "Godzilla", "Star Trek" oder "Game of Thrones" und spricht über seine Sehnsucht nach Südtiroler Hausmannskost.

All jene, die sich nicht näher mit dem Filmgeschäft beschäftigt haben, können sich unter dem Begriff „Compositor“ mit Sicherheit nicht viel vorstellen. Worum geht es beim Compositing?

Im Compositing werden verschiedene Bildelemente so zusammengesetzt, dass sie im finalen Kinobild so fotorealistisch und glaubhaft wirken, als hätte der Kameramann das Bild genauso gedreht. Solche Bildelemente können etwa ein computergeneriertes Monster sein, das in ein richtig gedrehtes Bild eingesetzt wird. Wirbelt das Monster zudem Staub auf und wünscht sich der Regisseur Speichelfäden aus dem Mund des Monsters, so müssen auch solche Elemente eingebaut werden. Der aufwirbelnde Staub kann als separates Element vor blauem Hintergrund gedreht oder von einem FX-Spezialisten am Computer generiert werden. Für die Speichelfäden kann man beispielsweise separat zäh fließenden Leim drehen, der als Faden nach unten zieht.
Compositing ist die letzte von mehreren Disziplinen im Gebiet der visuellen Effekte, kurz: VFX. Somit sind die meisten VFX-Bilder ein Resultat von Teamarbeit.
An einem Monster haben mindestens vier andere Kreative (Konzept, Modeling/Texturing, Rigging/Animation, Shading/Lighting/Rendering), gearbeitet, bevor es einem Compositor für die finale Integration in die Hände fällt. Der Compositor kreiert selten Bildelemente, sondern “baut“ vielmehr das finale Bild zusammen.
Häufig sind auch zunächst nicht so augenscheinliche Effekte. Spielt etwa ein Film in einer Stadt im 15. Jahrhundert, so stattet man hauptsächlich Vorder- und Mittelgrund als reales Filmset aus und ersetzt die historischen Fassaden im Hintergrund mittels digitaler Hintergründe - so genannter mattepaintings. Die Trennung von realen Elementen und solchen, die man im Nachhinein ersetzen möchte, geschieht mittels Blue- oder Greenscreen.
Auch kleine Retuschen und digitales Make-Up fallen in den Aufgabenbereich eines Compositors.

Mein Compositing-Kollege Florian Girardot und ich vor dem Godzilla-Kinoplakat

Wie bist du zu dieser interessanten Tätigkeit gekommen?
Gewissermaßen bin ich eher in dieses Feld hineingestolpert. Zuerst hatte ich an der Filmakademie Wien Schnitt studiert und in meiner Bakkalaureatsprüfung saß Alex Lemke, der soeben den neuen Master-Studiengang „Digital Art - Compositing“ an der Akademie startete. Was genau sich hinter der Disziplin „Compositing“ versteckte, war mir bis dahin noch nicht klar. Als er mir seine Effekt-Arbeiten aus „Herr der Ringe“ und ähnlich renommierten Projekten zeigte, war ich schlichtweg begeistert und wollte auch solch magische Sachen machen können. So kam ich in diesen Studiengang und realisierte für Kurzfilme und Musikvideos meine ersten visuellen Effekte an der Filmakademie, bevor ich für ein Praktikum und darauf ersten Compositing-Job nach Peking zu Pixomondo ging.

Du hast an der Filmakademie in Wien studiert, danach für einige Zeit als Compositor in Peking gearbeitet und bist nun in Vancouver tätig. Drei Großstädte, die geographisch und kulturell wohl sehr weit voneinander entfernt liegen. Wie hast du die Unterschiede wahrgenommen?
Wien und Vancouver liefern sich immer abwechselnd das Rennen um die lebenswerteste Stadt. Um deren Lebensqualität richtig schätzen zu können, kam mir Peking dazwischen genau gelegen - das war natürlich nicht die Absicht, sondern lediglich ein kleiner Nebeneffekt.
In Vancouver fühlte ich mich gleich am Flughafen schon wohl, ist man dort doch von Bergen umgeben, hat das Meer vor der Haustüre und man kann wie in Wien jede Strecke innerhalb der Stadt bequem mit dem Fahrrad bestreiten. Die Luft und das Leitungswasser sind herrlich. Lamentiert der Wiener gern, so sind die Bewohner von Vancouver meistens so freundlich, dass es beinahe unangenehm ist. Beide Extreme mag ich, macht das die jeweilige Stadt doch aus. Wartet der Bimfahrer in Wien so lange, bis man außer Atem dahergelaufen kommt, um einem die Türe vor der Nase zuzumachen, so bedankt sich jeder aussteigende Fahrgast wie selbstverständlich beim Busfahrer in Vancouver.
In Peking führte mich mein Arbeitsweg 90 Minuten lang zu Fuß via U-Bahn und Bus durch Pekings Rush-Hour, in die man sprichwörtlich hineingequetscht wird. Trotz der Menschenmassen an jedem Morgen, sind die Leute ruhig und entspannt. Man ignoriert sich, es wird immer und überall zu Boden gespuckt und der Smog ist ab und zu so dicht, dass man kaum zwei Häuser weit sehen kann. So unwohl ich mich in den ersten Tagen dort fühlte, so ungern verließ ich nach einem Jahr diese Stadt mit ihrer uralten Seele.
In allen drei Städten musste ich mir einmal eine neue Sehbrille besorgen. In Wien macht man einen Sehtest  beim Optiker oder kennt seine Dioptrienzahl, sucht sich eine Fassung aus und holt die Brille eine Woche später ab.
In Vancouver ist ein Rezept von einem Augenarzt Voraussetzung - der natürlich erst in drei Wochen einen Termin frei hat. Mit diesem Rezept sucht man sich eine Fassung aus und kriegt die Augengläser drei Tage später mit der Post. In Peking geht man in einen Brillen-Supermarkt, macht einen blitzschnellen Sehtest und bis man sich verständigt hat, wann man die Brille denn abholen könne, hat man bereits ein Schleifgeräusch vernommen und trägt augenblicklich die neue Brille im Gesicht - für keine 25 Euro. Optisch natürlich nicht das Allerbeste, aber als Ersatzbrille, auf die man nicht achtgeben muss, sehr angenehm.

Die Mitarbeiter von Pixomondo Peking mit dem Oscar für Hugo Cabret

Die Liste der Filme, an denen du in Peking mitgearbeitet hast, liest sich gut: Neben der bekannten TV-Serie Game of Thrones stehen dort auch Filme wie Star Trek oder Fast & Furious 6. Wie war es, Teil solcher namhafter Produktionen zu sein?
Bei solch großen Produktionen lernte ich erst, wie man in hoher Qualität Bilder bearbeitet, zumal eine abgelieferte Einstellung erst an zwei Supervisors vorbeimuss, bevor es überhaupt von der Regie gesehen wird. Von Regie und Kundenseite einmal abgenommen gibt es zuletzt eine technische Qualitätskontrolle. Eine Effekt-Einstellung ist sehr selten auf Anhieb abgenommen - es kann bei aufwändigen Einstellungen schon bis zu 70 Versionen geben, bis jeder glücklich ist.
Sowohl in Peking als auch in Vancouver hatte ich das Glück, von sehr fortgeschrittenen Artists umgeben zu sein, von denen ich so viel lernen konnte, um die stets leicht zu großen Aufgaben zu meistern.
Während man an der Filmakademie noch von der Planung bis zur Setbetreuung und Postproduktion alles gemacht hatte, so wird man bei größeren Produktionen mehr und mehr zu einem Spezialisten auf einem Gebiet - eben Compositing - und lernt dort Kniffe und Wege von anderen, die sich auch technisch andauernd weiterentwickeln. Mit welch hochqualitativ gedrehtem und gerendertem Material ich in Peking bei Star Trek oder zuletzt in Vancouver bei Godzilla arbeiten durfte, davon hatte ich 2 Jahre zuvor nur geträumt.
Natürlich ist es schön, wenn man am Ende sogar einen Credit im Abspann kriegt, was aus Platzgründen selten für alle Artists mit noch wenigen Jahren Erfahrung möglich ist.

Wo in diesen Filmen können wir nun Markus Kirchers Handschrift erkennen? Gibt es sonstige Kostproben deiner Arbeit, auf die du besonders stolz bist und die du mit uns teilen kannst?
Es gibt den Supervisor einer Show und einen oder mehrere Lead-Compositor, die gewissermaßen für den Look einer Sequenz verantwortlich sind. Ihnen gegenüber ist man verpflichtet. Die Sequenz muss schließlich homogen aussehen und im Fluss funktionieren. Natürlich gibt es dorthin viele kreative Möglichkeiten, eine Effekt-Einstellung zum gewünschten Resultat zu führen. In Star Trek hatte ich die Gelegenheit, mit der chineschen Teamkollegin Gao Feng am Look der blauen Betäubungs-Pistolen (Phaser) zu arbeiten. Sie machte Abschuss und Flugphase und ich den Einschuss. Dabei kann es durchaus passieren, dass der Regisseur nach zwei Wochen Arbeit sagt, dass es ihm zu sehr nach Harry Potter aussieht und so schlägt man eben etwas Neues vor. Von einer eigenen Handschrift möchte ich allerdings nicht sprechen, dafür muss man schon VFX-Supervisor sein und dieses Ziel ist noch viele Jahre entfernt. Einige Kostproben meiner vergangenen Compositing-Arbeiten gibt es unter www.zerply.com/filmmechaniker oder www.filmmechaniker.com.

Gerade läuft im Kino der Blockbuster „Godzilla“ des Regisseurs Gareth Edwards. Du selbst hast den Film als „Monsterprojekt“ bezeichnet – nicht nur, weil Monster darin vorkommen, sondern auch weil dabei für das Visual Effects Team eine wahrhaftige Monsterarbeit dahinter stecken muss. Welche Erfahrungen hast du von „Godzilla“ mitgenommen?
Bei Godzilla hatte ich so große Einstellungen zu bearbeiten, wie noch nie zuvor. Es gab Explosionen, Raketen, digitales Wasser, voll digitale Charakter und einiges mehr. In 10 Wochen habe ich sieben Einstellungen bearbeitet und fertiggestellt, darunter vier Einstellungen auf der Golden Gate Bridge und drei Einstellungen gegen Ende des Films. Gelernt habe ich sehr viele technische Neuerungen und Kniffe von Kollegen, ihre Art, Bilder zu sehen und Effekte besser und glaubhafter zu machen. Immer wieder überrascht bin ich, wie sensibel Supervisors Details und Farbnuancen sehen können.
Was natürlich bleibt, wenn ein Projekt fertig ist, sind die Bekanntschaften und Freundschaften.

Meine chinesische Compositing Kollegin Gao Feng und ich im Büro

Compositor in Südtirol – ist eine Rückkehr nach Südtirol für dich denkbar, oder muss man sich in solchen Weltmetropolen aufhalten, um dieser Tätigkeit nachgehen zu können?
Da ich in den nächsten Jahren noch als Compositor bei großen VFX-Firmen Erfahrungen sammeln möchte, ist Südtirol leider noch keine Möglichkeit.
Sobald ich mir zumute, als VFX-Supervisor die Effekte eines ganzen Films kreativ zu leiten, wäre das durchaus eine spannende Möglichkeit, zumal in Südtirol die Filmlandschaft rapide wächst.

Was fehlt dir am meisten an Südtirol?
In diesem Moment bin ich auf einem Roadtrip durch die USA unterwegs und träume von Tirtlan und Schlutzern. Natürlich fehlen mir Familie und Freunde, aber ich bin andauernd wieder für mehrere Wochen in Südtirol, dann am liebsten in Brixen oder auf der Büllelejochhütte in den Dolomiten, mein heimlicher Lieblingsort!

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Ich wünsche mir spannende VFX-Projekte an denen ich in einer lebenswerten Stadt arbeiten und wachsen kann. Es wäre sehr angenehm, wenn diese Produktionen einem freie Wochenenden erlauben, sodass man nicht vergisst, wie die Realität aussieht, die man andauernd im dunklen Büro nachzuahmen versucht.

Interview: Verena Platzgummer

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