"Ich bin eine in Wien lebende Europäerin deutscher Muttersprache mit einem italienischen Pass"

Freitag, 10.10.2014

Die bekannte Südtiroler Schriftstellerin Sabine Gruber erklärt im Südstern Interview, welche Rolle Identität für sie spielt und erzählt über den Alltag als Autorin und ihren Schreibprozess.

Photo: Karl-Heinz Ströhle

Vor kurzem ist der Reiseführer „111 Orte in Südtirol, die man gesehen haben muss“ erschienen, den Sie zusammen mit Peter Eickoff geschrieben haben. Was bedeutet Südtirol für Sie?

Südtirol ist das Land, in dem ich aufgewachsen bin, in dem meine Familie und viele meiner Freunde leben. Ich war in den letzten Jahren oft unterwegs – ich kann jetzt Vergleiche anstellen und trau mich zu sagen, es ist eines der schönsten Gebiete der Erde.

In Ihren Romanen spielt Südtirol meist eine größere Rolle oder kommt zumindest am Rande vor. Was steckt dahinter? Möchten Sie  Ihren Lesern Südtirol und die Südtiroler erklären?

Es ist nicht die Aufgabe der Literatur, etwas zu „erklären“.  Als Schriftstellerin kratze ich an den Klischees und Stereotypien, an tradierten, ideologisch aufgeladenen Geschichtsbildern. Literatur vermag die Widersprüche einer Gesellschaft und eines Landes aufzuzeigen, Positionen und Perspektiven zu wechseln, Sprache zu hinterfragen – anzuregen.

Ihre Schreibtätigkeit zeigt sich in vielen Gesichtern: Neben vier Romanen sind auch Gedichte, Essays, Hörspiele und Theaterstücke Ihrer Feder entsprungen. Welches dieser Genres bevorzugen Sie?

Es hängt vom Stoff ab, von den literarischen Produktionsbedingungen, welchem Genre ich den Vorzug gebe; wenn ich viel auf Reisen bin, schreibe ich eher kurze Texte. Der Roman bedarf eines längeren Rückzugs und finanzieller Absicherung.

Manche Autoren setzen sich jeden Tag zur selben Zeit an den Schreibtisch, andere verbringen dort pausenlos ihre Tage und Nächte, wenn Sie gerade von der Muse geküsst wurden. Wie und wann schreiben Sie?

Ich schreibe am liebsten zuhause an meinem Schreibtisch. Ich schreibe täglich. Die Geschichte vom „Musenkuß“ ist ein Märchen. Schreiben ist harte Arbeit, und guten Texten sieht man diese Arbeit auch an: sie sind bis ins Detail recherchiert und sprachlich ausgefeilt.

Beim Schreiben fließt immer auch ein Teil des Schreibenden in den Text hinein. Kann man nur von Dingen erzählen, die man selbst erlebt hat, oder dringen Sie in Ihren Texten auch in Gebiete vor, die Sie im echten Leben unangetastet lassen?

Keiner meiner Romane ist autobiographisch. Es sind erfundene Figuren und fiktive Geschichten. Allerdings kann ich nicht über etwas schreiben, das mich nicht interessiert. Herta Müller sagt, man müsse das Wichtigtuerische des Erlebten demolieren, um darüber zu schreiben, aus jeder wirklichen Straße abbiegen in eine erfundene, weil nur die ihr wirklich ähneln kann. Ich hab über ein nicht existierendes Dorf Stillbach in Südtirol geschrieben, und so viele haben es als ihr eigenes wiedererkannt.

Photo: Karl-Heinz Ströhle

Sie haben selbst einige Zeit lang an der Universität Venedig gearbeitet und dort auch literarische Forschung betrieben. Verfolgen Sie mit Interesse, was Kritiker und Forscher über Ihre Werke schreiben, oder halten Sie sich fern von solchen Texten?

Ich finde es interessant, was andere über meine Texte schreiben; ich erfahre viel Neues…

Was wünschen Sie sich, dass Ihre Leser von Ihren Werken mitnehmen?

Vielleicht ist Lesen Einübung in Empathie. Es wäre schön, wenn diese Übung gelänge.

Haben Sie schon ein nächstes literarisches Projekt?

Ich schreibe an einem Roman, der sich unter anderem mit Kriegsphotographie beschäftigt.

Das Schlagwort „Brain-Drain“ beschreibt die Abwanderung von kreativen Köpfen aus einem Land. Wie sehen Sie dies im Zusammenhang mit der Autorenwelt Südtirols?

Als Schriftstellerin ist es letztlich egal, wo ich schreibe. Ich kann mich auch von Wien aus über SALTO und andere Internet-Plattformen in Diskussionen einmischen. Die Frage ist eher eine der Distribution von Literatur, von Büchern – Bücher sind nur mehr sehr kurz auf dem Markt präsent, die Aufmerksamkeit passiert über außerliterarische Kriterien – da sehe ich ein Problem, aber das ist kein Südtirol spezifisches.

In Ihren Romanen spielt die Suche nach Identität vielfach eine große Rolle. Was bedeutet Identität für Sie? 

Ich bin eine in Wien lebende Europäerin deutscher Muttersprache mit einem italienischen Pass – das sein zu dürfen, ohne mich permanent erklären zu müssen, dafür kämpfe ich!

Interview: Verena Platzgummer und Alexander Walzl

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