"Die größte Herausforderung liegt in unseren Köpfen"
Martin Campestrini aus Terlan hat kürzlich sein Trainee-Programm bei VERBUND in Wien abgeschlossen. Im Südstern-Interview spricht er über die Herausforderungen, die der Berufseinstieg mit sich bringt.
1. Was hat Dich dazu bewogen, Deinen Berufseinstieg über ein Trainee-Programm zu machen, anstatt den klassischen Direkteinstieg zu wählen?
Ich habe mich während des Studiums und bei der Diplomarbeit sehr intensiv mit energiewirtschaftlichen Fragestellungen beschäftigt und folglich auch den Berufseinstieg in diese Richtung angestrebt. Da diese Branche sehr umfassend und breit entlang der Wertschöpfungskette, von der Energieerzeugung über die Übertragung bis hin zum Handel ist, wollte und konnte ich mich als Absolvent noch nicht festlegen, in welchem Bereich ich mich hin entwickeln möchte. Genau dort liegt der große Vorteil eines Traineeprogramms. Man kann in kurzer Zeit sehr viele unterschiedliche Tätigkeitsfelder kennenlernen und an Hand eigener Erfahrungen sehen, mit welchen Bereichen man sich identifizieren, aber auch nicht identifizieren kann. Der letzte Punkt gehört sicherlich zu den wichtigsten Argumenten.
2. Trainee-Programm ist nicht gleich Trainee-Programm: Wie hast Du die Spreu vom Weizen getrennt?
Der Name Trainee-Programm ist leider kein Garant für Qualität. In den letzten Jahren wurde der Begriff „Trainee“ sehr breit getreten, d.h. vom Sommerpraktikanten bis zur Berufsausbildung. Ein klassischer Traineeposten richtet sich an Universitätsabsolventen, dauert mindestens ein Jahr, bietet neben individuellen Weiterbildungsmaßnahmen und das Jobhopping durch verschiedene Abteilungen ein branchenübliches Einstiegsgehalt. Bei genauerem Anschauen der Stellenbeschreibungen lässt sich relativ einfach ableiten, welches Traineeprogramm wie anspruchsvoll ist. Einige Unternehmen versuchen mittlerweile schon von dem Begriff abzukommen.
3. Der Weg in den Beruf führt meist unweigerlich über ein Praktikum. Einer aktuellen Studie zufolge sind zwei von fünf Praktika in Deutschland unbezahlt: unverschämt oder Realität, an die man sich anpassen muss?
Aus eigener Erfahrung bin ich als Praktikant immer fair bezahlt worden. Wie die aktuellen Trends sind kann ich nicht beurteilen. Seriöse Arbeitgeber bieten in der Regel eine angemessene Vergütung an, dies kann jedoch stark von Branche zu Branche schwanken.
Die Gehaltsfrage gehört für Studenten sicherlich zu den wichtigsten Argumenten, aber sollte nicht als das ausschlaggebende Argument herangezogen werden. Im Vordergrund eines Praktikums steht in erster Linie Berufserfahrung zu sammeln und Kontakte für den späteren Berufseinstieg zu knüpfen. Wenn es für die weitere Entwicklung sehr hilfreich sein kann, sollte man ein nicht bezahltes Praktikum in Betracht ziehen, es sollte aber kein Dauerzustand werden.
4. Wie und wann hast Du herausgefunden, in welchem Bereich du einmal arbeiten möchtest?
Wie gesagt, eine der Stärken eines Traineeprogramms ist es, verschiedene Bereiche und Tätigkeitsfelder des Konzerns kennenzulernen, unabhängig vom akademischen Hintergrund.
Zusammenfassend war ich in vier Stationen tätig: Erzeugung, Innovation, Lobbying und Vertrieb. Jeder Bereich war sehr interessant und ich habe mich überall wohlgefühlt. Schlussendlich habe ich mich für den Bereich entschieden, im welchem ich die bisherigen Erfahrungen bestmöglich einsetzen kann, der vielseitig ist und wo ich mich am besten entfalten kann. Die Entscheidung wurde auch dadurch begünstigt, dass bedingt durch die aktuelle Krise im Erzeugungsbereich VERBUND ein klares Committment Richtung Downstream und Endkunden gesetzt hat.
5. Du hast ja vor kurzem das Traineeprogramm beendet: Was waren die interessantesten Erfahrungen die Du mitnehmen konntest?
Zurückblickend bot das Traineeprogramm bei VERBUND die Möglichkeit, das Unternehmen in der Breite und aus verschiedensten Perspektiven kennenzulernen und sich ein Netzwerk innerhalb des Konzerns, aber auch außerhalb zu schaffen. Eine der spannendsten Tätigkeiten war sicherlich die Teilnahme am Traineeprogramm der österreichischen Interessenvertretung der Energiewirtschaft in Brüssel.
6. Du warst 5 Jahre lang Vorstandsmitglied und Finanzvorstand der ISAS München. Wie können Südtiroler Studenten im Ausland Deiner Meinung nach noch besser unterstützt werden?
Die ISAS München war und ist eine sehr gute Möglichkeit sich mit anderen Südtiroler Studenten unabhängig vom Studiengang und –fortschritt auszutauschen. Die Mitarbeit bei ISAS hat gezeigt, dass vor allem Studieninteressierte und angehende Absolventen spezifische Fragen im Zusammenhang mit der Herkunft haben. Mit der jährlich erscheinenden ISAS-Informationsbroschüre für Südtiroler Maturanten und Infoveranstaltungen zum Thema der Studientitelanerkennung wurde recht gut gegengesteuert. Besonders bei letzterem würde ich mir mehr Unterstützung erhoffen, dass die Anerkennung ähnlich wie die einem Studienabschluss in Österreich erleichtert werden würde.
7. Die Verbund AG ist Österreichs größter Stromkonzern. Wo siehst Du die größten Herausforderungen der Energiewende?
Die Energiewende an sich ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Seit 10 Jahren beschäftigt sich Politik, Forschung und Wirtschaft sehr ausführlich mit dieser Materie und infolgedessen gibt es unzählige Veröffentlichungen zu dieser Thematik.
Für mich persönlich ist die Umstellung auf ein nachhaltiges Energieversorgungssystem aufgrund ökologischer, politischer sowie ökonomischer Aspekten unabdingbar. Die aktuelle Ukraine-Krise zeigt deutlich auf, dass die Versorgungssicherheit in Europa stark von außerhalb abhängig ist. Allein die Tatsache, dass über 500 Mrd. EUR jedes Jahr für Energieimporte ins Ausland abfließen spricht klar für die Nutzung eigener erneuerbaren Energiequellen.
Die Energiewende wird nicht von heute auf morgen stattfinden, es ist ein Prozess der viele Jahrzehnte dauern wird und breiten Rückhalt auf politischer und vor allem auf gesellschaftlicher Ebene benötigt. Voraussetzung dafür ist die Schaffung von stabilen Rahmenbedingungen und einer koordinierten Vorgehensweise auf europäischer Ebene. Nationale Alleingängige, wie wir es beispielweise aktuell in Deutschland sehen, sollten vermieden werden. Die größte Herausforderung liegt meiner Meinung nach in unseren Köpfen. Schlussendlich müssen wir uns entscheiden, wie wichtig uns der Klimaschutz, die Versorgungssicherheit und der Wirtschaftsstandort Europa auf langfristiger Basis sind.
8. Wie sehen Deine Zukunftspläne aus?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Aktuell fühle ich mich in Wien beruflich aber auch privat sehr wohl. Kurz- und Mittelfristig plane ich den aktuellen Weg weiter fortzuschreiten und in der E-Wirtschaft zu bleiben. Da man bekanntlich die Zukunft leider nicht planen kann (oder auch zum Glück), könnte es aber auch ganz anders kommen…
9. Der Planet Wien auf Südstern ist besonders aktiv: Gelingt es dir auch im Alltag den Kontakt zu anderen Südtirolern im Ausland aufrechtzuerhalten?
Da Wien schon immer eine beliebte Stadt für Südtiroler war und viele Südtiroler auch nach dem Studium in Wien bleiben, ist die Südsterne-Community recht groß. Zu den Jahreshighlights der Südsterne in Wien zählt sicherlich das Jahrestreffen im Falkensteiner Hotel. Im beruflichen Alltag treffe ich oft auf Südtiroler, was in gewisser Hinsicht oft sehr hilfreich ist. Privat gesehen habe ich einen regen Kontakt zu Südtirolern in Wien, die ich schon seit Schulzeiten kenne.
10. Was vermisst Du aus Südtirol am meisten?
Die Heimat an sich wird man immer vermissen, einige Dinge mehr andere weniger. Was ich an Südtirol besonders vermisse ist das Essen, die Natur, aber vor allem Familien und Freunde. Wien ist zwar nicht am andern Ende der Welt, aber trotzdem 7 Zugstunden entfernt.
Interview: Alexander Walzl