Eine Ameise kann eine endlich runde Oberfläche unendlich lang ablaufen ohne auf eine Grenze zu stoßen
Der promovierte Physiker Eugenio Bottacini forscht derzeit an der renommierten Stanford University. Im Südstern-Interview erzählt er von den Herausforderungen und Perspektiven der Astronomie und seinen Eindrücken vom Kinofilm “Gravity”.
Findet Astronomie im täglichen Leben Anwendung?
Um bessere und detailliertere Beobachtungen anstellen zu können, entwickelt die Astronomie neue Technologien, die dann später auch im täglichen Leben Anwendung finden. Zum Beispiel verwendet man in der Astronomie schon seit Jahrzehnten sogenannte CCD (Charge-Couple Devices), Bestandteile die wir heute in unseren Fotoapparaten und Handys wiederfinden. GPS und medizinische Röntgentechnologie machen von astronomischen Kenntnissen Gebrauch. Das sind nur einige Beispiele dafür, dass Astronomie in unserem tӓglichen Leben sehr wohl Anwendung findet und wirtschaftlich sehr gewinnbringend sein kann.
Haben Sie Alfonso Cuaróns "Gravity" gesehen? Was halten Sie von dem Film und was hätte Ihrer Meinung nach anders laufen müssen?
Ich habe den Film genossen. Die Einstellungen aus der Sicht der Astronauten und die wunderschönen Bilder der Erde haben mich von jeglichen Fehlern abgelenkt, von denen ich nur im Nachhinein gelesen habe. Es ist gut, dass der Film das Problem des Weltraumschrotts aufwirft.
Populärwissenschaftliche Veröffentlichungen erfreuen sich derzeit großer Beliebtheit, werden aber oft der Übervereinfachung bezichtigt. Wir wollen es dennoch versuchen: Ist das Universum von einer Nussschale umgeben?
Das Universum enthält alles: alles, was in der Vergangenheit existierte und alles, was in der Zukunft existieren wird. Wenn es also eine umgebende Nussschale gäbe, wäre auch sie Teil des Universums. Um genauer zu sein, kann das Universum entweder unendlich oder endlich sein. In beiden Fällen gibt es keine Grenze: Eine Ameise kann eine endlich runde Oberfläche unendlich lang ablaufen ohne auf eine Grenze zu stoßen.
In den USA ist es selbstverständlich sich für ein Hochschulstudium haushoch zu verschulden: Präsident Obama beispielsweise konnte seinen Studienkredit erst vor etwa 10 Jahren abbezahlen. In Europa hingegen kommt es zu Ausschreitungen, wenn Universitäten überhaupt Studiengebühren erheben. Wie viel soll und darf eine gute Universitätsausbildung kosten?
Die Gebühren an der Universität Stanford sind auch im Falle von verteilten Studienstipendien hoch. Stanford bemüht sich aber auch um viele Initiativen auβerhalb der Uni. Dabei geht es um neue Ideen und deren Umsetzung in hochwertige Industrieprojekte. Diese machen das Silicon Valley, zusammen mit Unternehmen wie Google und Facebook, zum unumstrittenen Leader im technologischen Bereich: Es erklärt sich von selbst, dass so viele Arbeitsstellen geschaffen werden. Auch damit hӓngen die hohen Studiengebühren zusammen. Europäische Universitäten haben nicht den Drang, wirtschaftliche Früchte zu ernten und bieten daher nach dem Studium weniger Arbeitsmöglichkeiten. Dementsprechend sollten die Gebühren ausfallen. Dennoch ist schwierig zu sagen, wie viel eine Universitätsausbildung kosten darf.
Die EU wird höchstwahrscheinlich einschneidende Kürzungen am Budget für Horizon 2020, einem bedeutenden Rahmenprogramm für Forschung und Innovation, vornehmen:Gleichzeitig werden zunehmend Universitäten von Unternehmen gesponsert. Wie schätzen Sie die Folgen dieser Entwicklung ein?
Während private Unternehmen wie zum Beispiel Apple die eigene Forschung wirtschaftlich nutzen, kürzt die EU das Bugdet der Forschung, weil sie als wirtschaftlich unrentabel wahrgenommen wird. Um das zu ändern müssen wir uns bemühen die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Forschung zu vermitteln. Auf diese Weise würde die Forschung als wichtiger Pfeiler unserer Gesellschaft wahrgenommen werden, was sich auch positiv auf das zur Verfügung stehende Forschungsbugdet auswirken würde.
Indien gelang letztes Jahr der Flug zum Mars mit einer Low‐Cost Sonde. Inwiefern hängt Ihr Forschungserfolg von Großinvestitionen ab? Sollten sich Ihrer Meinung nach Entwicklungsländer zuerst um lokale Probleme kümmern, bevor sie sich an Marsmissionen versuchen?
Meine Forschung stützt sich auf Beobachtungen mit Teleskopen (genauer mit Experimenten) an Bord von Weltraummissionen. Als solche hängt sie tatsächlich von Großinvestitionen ab. Ich arbeite aber auch an anderen Projekten, die mir durch Förderungen für mehrere Jahre finanziert wurden.
Missionen zum Mars setzen eine Raumfahrtindustrie voraus, die eng mit militärischen Interessen zusammenhängt. Es stellt sich also die Frage, ob Entwicklungsländer wie Indien sich zuerst um lokale Probleme kümmern sollen, bevor sie an die Raumfahrtindustrie und Atomwaffen denken.
Eine wissenschaftliche Laufbahn ist oft mit vielen Hürden verbunden: Was treibt Sie an? Wie definieren Sie Erfolg?
Meiner Arbeit nachzugehen stimmt mich erfolgreich und Neugier ist meine Motivation. Arbeiten heißt für mich auch jeden Tag ins Universum zu schauen: Das ist alles andere als langweilig.
Welchen Ratschlag würden Sie einem jungen Südtiroler mit auf den Weg geben, der in der Wissenschaft seine Zukunft sieht?
Die Wissenschaft ist für Forscher in erster Linie eine Leidenschaft und nicht ein Verdienst im Sinne von Geld. Umso wichtiger ist es das wissenschaftliche Gebiet so auszusuchen, dass es persönlich relevant ist und daher muss es vor allem Freude bereiten.
Stanford zieht die Besten der Besten Wissenschaftler und Studenten der Welt an: Die Vielfalt der auf dem Campus vertretenen Kulturen, Religionen und Sprachen ist enorm. Wie definieren Sie Heimat und wie erleben Sie die Integrationsdebatte, die derzeit in Europa und Südtirol geführt wird?
Persönlich bedeute Heimat für mich Identität und Ort, wo ich mich wohl fühle. Dies trifft mit meinem Zuhause überein. Immer wenn ich meinen Freunden von Südtirol erzähle, denke ich an die Einzigartigkeit meiner Heimat. Die Integrationsdebatte habe ich nicht eingehend verfolgt.
Ihr Lieblingsgericht in Südtirol? In Stanford?
„S Muas“, das mir meine Oma auf dem Herd kochte und jetzt die Lasagne meiner Mutter. In Stanford: Sushi.
Interview: Alexander Walzl