Fern der Heimat müssen wir uns selbst um Knödel, Schlutzer und „Keschtn“ kümmern

Sonntag, 08.02.2015

Die gebürtige Brixnerin Eva Ogriseg lebt seit fast 5 Jahren in Abu Dhabi und ist derzeit für die National Bank of Abu Dhabi tätig. Die Mitorganisatorin des traditionellen Wüstentörggelens erzählt im Südstern-Interview von den Besonderheiten des Lebens in den Golfstaaten.


Abu Dhabi ist zweifelsohne eine Stadt der Superlative und der Gegensätze: Mit welchen persönlichen Anekdoten schildern Sie Bekannten das Leben in den Vereinigten Arabischen Emiraten? 

Meistens muss ich gleich zu Anfang klar stellen, dass die Vereinigten Arabischen Emirate nicht zu Saudi Arabien gehören und ich somit als Frau auch keine Einschränkungen erfahre. D.h. ich muss mich nicht verschleiern, ich darf selbstverständlich Auto fahren, ich kann mich im Bikini an den Strand legen und in kurzen Hosen zum Joggen gehen. Natürlich kleiden sich die Leute hier eher konservativ und es ist halt ein Zeichen von Respekt wenn man es ihnen gleich tut. Abgesehen davon würde man sich sowieso in jedem Einkaufzentrum, Restaurant oder sonstigem öffentlichen Gebäude sofort erkälten, wenn man sich nicht gegen die allgegenwärtige Luft aus der Klimaanlage schützen würde. 

Die Temperaturen und das Wetter sind auch immer ein Großes Thema. Es scheint hier tatsächlich das ganze Jahr über die Sonne und es regnet maximal an 5-10 Tagen im Jahr, worüber ich mich nicht im Geringsten beschweren mag. Einzig die 3 Sommermonate, in denen das Thermometer selbst nachts selten unter 35 Grad fällt, sind brutal (mit Höchstwerten um die 50 Grad!). Da versuche ich dann immer mindestens 2-3 Wochen Urlaub in Südtirol zu machen, um dem Ganzen zumindest ein bisschen zu entfliehen und etwas Frischluft zu tanken.

Was das Leben in den VAE interessant macht, ist, dass man das Wachstum förmlich sehen kann. Überall wird gebaut und in den 5 Jahren seit meiner Ankunft in Abu Dhabi hat sich das Stadtbild signifikant verändert. Nicht nur neue Wolkenkratzer wurden gebaut, sondern komplett neue Stadtviertel sind in der Zeit entstanden, wofür es in Europa Jahrzehnte bräuchte. 

Natürlich ist das ganze ohne Geld (sehr viel Geld!) nicht machbar und die Schere zwischen Arm und Reich ist hier wirklich extrem sichtbar. Das geht schon auf der Straße los: Auf der einen Seite die Abertausenden von Arbeitern aus Südasien, die in uralten Bussen ohne Klimaanlage auf die verschiedenen Baustellen im ganze Land gekarrt werden und auf der anderen Seite die „local“ Lamborghini- und Ferrari-Fahrer, die sich im Straßenverkehr oft genauso verhalten, wie in einem Play-Station-Spiel. Da wird jede Autofahrt zum (nicht wirklich willkommenen!) Abenteuer.

Überhaupt kann das Leben hier recht abenteuerlich sein, weil man nie wirklich weiß woran man ist. Unter dem Motto „nix ist fix“ wurde z.B. in meinem Unternehmen letztes Jahr der Urlaubsanspruch für alle Mitarbeiter um 30% gekürzt. Religiöse Feiertage werden immer erst max. 1-2 Tage im Voraus angekündigt (je nach dem wie der Mond steht). Die Miete wird jedes Jahr neu verhandelt und kann dadurch schon mal 10-20% billiger oder teurer werden. Und auch bei Strafzetteln kann man mit ein bisschen Geschick bis zu 50% Rabatt heraus schlagen.

Im Großen und Ganzen bin ich aber sehr froh hier gelandet zu sein, auch wenn ich oft das Gefühl habe im falschen Film gelandet zu sein, z.B. wenn mir ein Emirati erzählt, dass er einen Löwen als Haustier hat oder wenn ich auf eine Hochzeit mit 800 Gästen gehe und nur Frauen dort sind. Ein bisschen verrückt ist es hier schon.

Der Bauboom in den Vereinten Arabischen Emiraten ist voll im Gange: Der Burj Khalifa ist das derzeit welthöchste Gebäude und auch die Expo 2020 wird in Dubai ausgetragen. Ist die Immobilienkrise vorüber?

Ja, zumindest wenn man den lokalen Medien glauben darf, denn das Thema Immobilienpreise ist dort ein Dauerthema. Gerade in den letzten 2 Jahren haben sie auch wieder kräftig zugelegt und sind momentan recht stabil, wobei das Vor-Krisen-Niveau noch nicht wieder erreicht wurde. 

Die Vereinigten Arabischen Emirate gelten als Schmelztiegel der Schwellenmärkte: Woher kommen all die Investoren?

Aufgrund der instabilen politischen Lage in vielen anderen arabischen Ländern, sehen viele Investoren in den VAE einen „sicheren Hafen“ für ihre Investitionen. Daher kommen viele Investoren aus Syrien, Libanon, Jordanien, Ägypten und Irak, aber auch reiche Pakistani und Inder mischen kräftig mit und treiben die Immobilienpreise nach oben. Allerdings ist es  Ausländern nur gestattet in gewissen Gegenden („Free Zones“) Immobilien zu erwerben. So bleibt ein großer Teil der Immobilien in den Händen reicher Familien-Clans aus den VAE.


Auch in Qatar wird eifrig an den Stadien für den FIFA ¬World Cup 2022 gebaut, wofür hunderttausende Gastarbeiter aus Indien eingeflogen werden. Wird das Thema in der Öffentlichkeit und den Medien diskutiert?

Nein, weil dasselbe für alle anderen Baustellen am Golf genauso gilt. Die Fußball-WM ist nur eine gute Gelegenheit, um die Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter auch im „Westen“ in der Vordergrund zu rücken. Es stimmt natürlich, dass sie für einen sehr geringen Lohn sehr hart und auch unter teilweise gefährlichen Umständen arbeiten müssen. Auch die Unterbringung in den so genannten Labor Camps stelle ich mir nicht gerade angenehm vor und der Begriff „moderne Sklaverei“ ist daher auch bestimmt nicht ganz verkehrt. Allerdings muss man auch bedenken, dass diese Arbeiter alle hier sind, weil die Arbeitsbedingungen in ihren Herkunftsländern noch viel schlechter sind und sie mit den wenigen Hundert Dollar, die sie hier im Monat verdienen, oft mehrköpfige Familien versorgen können.  Daher wird es bestimmt auch weiterhin einen Großen Zustrom von Indern/Pakistanern/Nepalis/Bangladeschis geben, die auf den Baustellen in der Golfregion ihr Geld verdienen.  

Was unternehmen die Emirate, um ihre Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren?

Sie investieren. Weltweit. Gerade in Abu Dhabi sitzen einige sehr Große Staatsfonds, die die Dividenden aus dem Ölgeschäft in Beteiligungen an Unternehmen auf der ganzen Welt stecken. Außerdem wird auch weiterhin auf die Entwicklung des Tourismus, des Handels, des Gesundheitswesens, des Finanzsektors, usw. gesetzt, um auch andere Einkommensmöglichkeiten aufzubauen. Dennoch wird wohl noch auf längere Sicht Öl die Haupteinnahmequelle bleiben.

Die niedrigen Ölpreise führen auch in den Golf-Staaten zu einem deutlichen Rückgang der Einnahmen: Machen sich die Auswirkungen bereits bemerkbar?

Die Golfstaaten haben ja das Glück, dass ihre Produktionskosten für Öl im Vergleich zu anderen Ländern sehr niedrig sind und daher können sie auch einen niedrigeren Ölpreis für eine Weile verkraften. Spannend wird es erst, wenn es in den nächsten 1-2 Jahren keine Erholung gibt. Bisher habe ich noch nicht mitbekommen, dass irgendwelche Großprojekte verschoben oder abgesagt worden wären. Im Gegenteil, es wird weiterhin überall kräftig gebaut. Dennoch kann ich mir schon vorstellen, dass es im Staatshaushalt an der einen oder anderen Stelle Kürzungen geben wird.

Dubai ist mittlerweile der internationalste Flughafen der Welt und nicht weit von Abu Dhabi entfernt: Emirates und Etihad Airways gelten als die weltbesten Fluggesellschaften und bieten ein beachtliches Streckennetz. Wie fühlt es sich an, am Puls der Zeit zu leben?

Die Erfolgsgeschichten der beiden Fluglinien sind schon sehr spannend zu beobachten und Etihad (aus Abu Dhabi) versucht auch mit allen Mitteln die 20 Jahre Vorsprung von Emirates (aus Dubai) aufzuholen. Obwohl in Dubai gerade ein neuer Flughafen entstanden ist, wird in Abu Dhabi, nur 45 Autominuten entfernt, auch ein neuer Flughafen gebaut. Mit diesen Kapazitäten wollen die VAE ihre günstige geografische Lage nutzen und sich als Drehkreuz zwischen Europa, Asien und Afrika weiter etablieren. 

Emirates und Etihad haben ja schon einige Auszeichnungen gewonnen und dies, wie ich finde, auch zurecht. Das Preis-Leistungs-Verhältnis und der Service am Boden und in der Luft sind im Vergleich zu anderen Fluglinien schon viel besser und es verwundert daher nicht, dass es die europäische Konkurrenz zunehmend schwieriger hat zu bestehen.

Profitieren Sie vom Etihad Regional-Anschluss nach Bozen?

Nein. Das hat aber persönliche Gründe. Da die Eltern meines Mannes in der Nähe vom Münchener Flughafen wohnen, fliegen wir immer non-stop nach München, um ihnen einen Besuch abzustatten, bevor es dann weiter geht nach Brixen. Irgendwann würde ich die Verbindung aber schon gern einmal ausprobieren, zumindest aus Neugier.

Was macht den Reiz der Vereinigten Arabische Emirate aus?

Das Interessante an den VAE ist, dass man nicht nur eine fremde Kultur sondern ganz viele zugleich kennen lernen kann, weil über 80% der Bevölkerung Gastarbeiter oder so genannte „Expats“ sind, die aus allen Ländern dieser Welt kommen. Was mich auch gleich positiv überrascht hat, war, wie schnell man Anschluss findet und wie leicht es uns fiel, neue Freunde kennen zu lernen. Dadurch dass die Arbeitszeiten hier im Vergleich zu Europa doch deutlich kürzer sind, kann man auch eine bessere „Work-Life-Balance“ genießen.

Einen besonderen Reiz macht für mich die Wüste aus. Auf einer Düne zu sitzen und bei Sonnen auf- oder -Untergang in das unendliche Meer aus Sand zu blicken ist etwas sehr ergreifendes und mit dem Gefühl zu vergleichen, das man auf einem Gipfel der Dolomiten verspürt. Auch eine Autofahrt in den Oman ist landschaftlich sehr reizvoll und mit einem 4x4 Wagen „offroad“ zu fahren macht richtig Spaß.


Steht die Kultur der lokalen Bevölkerung oder die der vielen Expatriierte im Vordergrund?

Beides bzw. weder noch. Es sind hier zwar viele verschiedene Kulturen vertreten („Locals“, sonstige Araber, Inder, Pakistani, Philippinos, „Westerners“, usw.), die miteinander arbeiten. Aber im Privatleben bleibt man doch eher unter „seinesgleichen“, da die jeweiligen Interessen doch recht unterschiedlich sind. Das soll jetzt nicht heißen, dass die Menschen hier verschlossen wären oder sich nicht für andere interessieren würden, es ergibt sich nur einfach immer wieder so, dass man eher Anschluss zu Menschen aus dem eigenen Kulturkreis findet.

Was macht das traditionelle Südstern-Wüstentörggelen so besonders?

Das Wüstentörggelen hat ja im November 2014 bereits zum 3. Mal statt gefunden und wir konnten uns über 17 Teilnehmer freuen. Es ist sehr lustig sich über die jeweiligen Erfahrungen, die man so in den VAE macht, auszutauschen, da sich die Anekdoten trotz der unterschiedlichen Berufe der Südsterne doch sehr ähneln und sich jeder damit identifizieren kann. Außerdem macht es Spaß, das ganze in der eigenen Muttersprache zu besprechen. 

Das Essen steht beim Wüstentörggelen natürlich auch im Mittelpunkt. Fern von der Heimat müssen wir uns allerdings selber um die Knödel, Schlutzer, „Keschtn“, usw. kümmern und wir haben ein paar fleißige Köche unter uns, die gerne ihren Beitrag leisten. Die Nicht-Köche kümmern sich dann um die Verpflegung mit edlen Südtiroler Tropfen, ohne die ein richtiges Törggelen ja auch nicht auskommen könnte.

Was vermissen Sie an Südtirol?

Meine Familie und Freunde, die Berge, die Natur, das gute Essen, einen ordentlichen Kaffee,  Fußgängerzonen, die netten Straßencafés (in denen man auch mal einen Aperitif trinken kann ohne sich dafür in ein 5-Sterne Hotel verkriechen zu müssen).

Was wünschen Sie sich für Südtirol? 

Während ich mir wünsche, dass Südtirol weiterhin seine einzigartige Kultur und Traditionen pflegt, muss es auch mit der Zeit gehen. Zum Beispiel wäre es wichtig, gewisse Infrastrukturprojekte zu verwirklichen um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes zu erhalten bzw. zu verbessern. Es müssten noch mehr Anreize geschaffen werden, um auch junge Leute anzulocken bzw. zu halten. Eine Beibehaltung des Status Quo bedeutet leider in der heutigen Zeit oft einen Rückschritt und daher wünsch ich mir, dass Südtirol sich neuen Ideen gegenüber aufgeschlossener gibt.

Interview: Alexander Walzl


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