Die Idee für den Dinosaurier

Montag, 09.03.2015

Eine gute Idee reicht nicht, Stehvermögen und die richtige Einstellung sind genauso wichtig: Diesen Ratschlag erteilt Jungunternehmer Stefan Siegel an andere Jungunternehmer. Im Interview spricht Stefan Siegel, der beim Südtiroler Wirtschaftsforum 2015 als Referent dabei sein wird, über den „Dinosaurier“ Modebranche, über London und Dubai – und über Südtirol.


SWZ: Herr Siegel, zuerst auf dem Weg zum Militärpiloten, dann als Model tätig, danach bei den internationalen Beratungs- und Finanzgrößen Ernst&Young, Sal. Oppenheim und Merrill Lynch auf der Gehaltsliste, schließlich der Sprung in die Modebranche: Müssen Sie nicht selbst manchmal über Ihren Werdegang schmunzeln?

Stefan Siegel: Ich bin jemand, der gerne alles aufgibt und wieder von Neuem beginnt. Ich langweile mich sehr schnell. Den Ursprung hat diese meine Eigenheit wahrscheinlich in meiner Jugend in Meran, als ich von der deutschen Mittelschule in die italienische Oberschule wechselte, weil ich unbedingt zur Marineschule in Venedig zugelassen werden wollte. Damals wurde ich erstmals aus einer gewohnten Umgebung herausgerissen – und spä- ter hat sich das mehrmals wiederholt. Wenn sich heute eine tolle Chance ergäbe, hätte ich kein Problem damit, morgen in eine andere Stadt umzuziehen.

Wie schaut es derzeit mit der Langeweile aus? Immerhin sind es bald sieben Jahre, die Sie „Not Just a Label“ widmen.

Tatsächlich steht nirgends geschrieben, dass wir ewig in London bleiben.

Ihr Drang, ständig zu neuen Ufern aufzubrechen, in Ehren, aber welcher Teufel hat Sie 2008 geritten, als Sie einen sicheren und wahrscheinlich gut bezahlten Job bei Merrill Lynch gegen die unsichere Selbstständigkeit in der Modebranche tauschten?

Rückblickend weiß ich, dass ich vielmehr vom unsicheren zum sicheren Ufer gewechselt bin. Zwei Wochen nach meiner Kündigung bei Merrill Lynch ging Lehmann-Brothers pleite. Merrill Lynch wurde von der Bank of America aufgekauft, und viele meiner Arbeitskollegen von früher verloren ihren Job. Klar, damals konnte niemand meine Kündigung nachvollziehen. Aber meine Entscheidung war über Monate hinweg gereift: Ich war 28 und sah mich einfach nicht mit 30 als Banker in London. Das war nicht das Leben, das ich mir vorstellte.

Die Modebranche ähnelt einem Haifischbecken, in dem gefressen wird, wer zu langsam oder zu klein ist. Das hat ein Südtiroler einmal festgestellt, der in der Bekleidungsindustrie tätig ist. Stimmen Sie zu?

Es gibt zu viele Designer, und es gibt zu viele Kollektionen. Von daher ist die Modebranche sicher ein Haifischbecken, in dem nur die wenigsten überleben können. Gleichzeitig ist die Modebranche ein alter Dinosaurier, der seit 50 Jahren gleich funktioniert und einem Unternehmen wie dem meinen entsprechend große Chancen eröffnet, mit einer neuen Idee die Branche völlig umzukrempeln.

Was, glauben Sie, hat der Jungunternehmer Stefan Siegel besser gemacht als viele andere Jungunternehmer, die ebenfalls ihre Leidenschaft zum Beruf machen wollen, aber scheitern? Hatten Sie einfach nur Glück?

Ich habe den Eindruck, dass sich viele Jungunternehmer selber im Wege stehen. Sie haben eine gute Idee, aber die Idee macht meistens nur zehn Prozent des Erfolgs aus. Das notwendige Durchhaltevermögen und die richtige Einstellung besitzen hingegen die wenigsten Jungunternehmer. Ich denke, dass es in anderen Branchen exakt gleich ist wie in der Modebranche: Die persönliche Verwirklichung ist gut und recht, gleichzeitig muss eine Idee aber immer mit dem notwendigen Gespür für den Markt umgesetzt werden. Zuweilen müssen persönliche Befindlichkeiten hinter den Erwartungen des Marktes zurückstehen.

Auf den Markt hören und Stehvermögen beweisen: Sind das die Ratschläge, die Sie jedem Jungunternehmer mit auf den Weg geben würden?

Ja. Plus hunderttausend andere Dinge. Viele Jungunternehmer gehen naiv an die Aufgabe heran. Unternehmersein ist kein Honigschlecken, und eine gute Idee genügt noch lange nicht. Bei einer Firmengründung kommt ziemlich schnell ein „Reality Check“, der weniger mit dem Produkt zu tun hat als vielmehr mit dem Jungunternehmer selbst.

Wie unternehmerfreundlich ist der Standort London eigentlich? 

Jungunternehmer können heute in London unzählige Dienste in Anspruch nehmen. Ich staune darüber, dass es bald mehr Dienstleistungen für Start-ups gibt als Start-ups. Damit lässt sich offensichtlich gutes Geld verdienen. Es gibt eigene Anwälte für Start-ups, es gibt sogar Partys für Start-ups, und wenn heute in bestimmten Londoner Vierteln Gebäude saniert oder gebaut werden, müssen dort eigene Co-Working-Büros eingerichtet werden, wo Jungunternehmer einen Schreibtisch samt Laptop und Internetanschluss mieten können.

Ein Traumstandort.

Das würde ich nicht sagen. Die Mieten klettern zunehmend in astronomische Höhen. London wird mehr und mehr zum Finanzparkplatz und verliert seinen einstigen Reiz für die Kreativbranche, während sich anderswo Chancen auftun.

Zum Beispiel?

Wir sind derzeit an einem hochinteressanten Projekt in Dubai beteiligt. Dort werden sogenannte Freistädte aus dem Boden gestampft, in denen sich ausländische Unternehmen ansiedeln sollen. Das „Dubai Design District“ beispielsweise, doppelt so groß wie der Mailänder Flughafen Malpensa, ist als Kreativ-Freistadt konzipiert, in die alle bedeutenden Kreativunternehmen der Welt – von der Mode über das Design bis hin zur Kunst – ihren Hauptsitz hinverlegen sollen. Alle Neuansiedlungen sind drei Jahre mietfrei und 20 Jahre steuerfrei.

Und welches ist Ihre Aufgabe bei dem Projekt?

Die Stadt muss natürlich gefüllt werden, und „Not Just a Label“ vereint mit seinen 18.000 Designern die Zielgruppe schlechthin.

Apropos, wovon lebt Ihr Unternehmen eigentlich, wenn die Jungdesigner ihre Kollektionen kostenlos auf der Online-Modeplattform präsentieren können?

Das sind zwei Schienen. Erstens ist da der Online-Shop, für den wir die besten Designer selektieren und 30 Prozent Provision auf alle verkauften Teile nehmen – dem Designer bleiben immer noch 70 Prozent, im Gegensatz zu den fünf bis zehn Prozent, die er bei einem Verkauf über eine Boutique einnimmt. Zweitens fungieren wir als Bindeglied zwischen Jungdesignern sowie Firmen, Regierungen, Organisationen, die mit ebendiesen Jungdesignern etwas machen möchten. Der Auftrag in Dubai ist ein Beispiel, genauso wie die Messe „Origin Passion & Beliefs“ in Vicenza, wo wir Jungdesigner mit Manufakturen zusammenbringen. Wir arbeiten auch mit Firmen wie Ferrari, Swarowski und Zara zusammen.

Zieht es Sie eigentlich noch regelmäßig nach Südtirol?

Ich bin passionierter Skitourengeher und Freerider, weshalb ich jedes zweite Wochenende in den Bergen bin – auch in Südtirol, wenn es die Schneeverhältnisse zulassen, was heuer ja nicht unbedingt der Fall ist. Ab und zu besuche ich natürlich auch die Familie in Meran.

Sie sind Mitglied von Südstern, dem Netzwerk der Südtiroler im Ausland. Ist Südstern für Sie mehr ein Netzwerk, das interessante Kontakte ermöglicht, oder mehr eine Klammer zu ihrer ehemaligen Heimat? 

Südstern ist eine erstklassige Kontaktbörse, und ich hoffe, dass sich das Netzwerk so weiterentwickelt, dass Südtirol davon profitieren kann. Wir Südsterne werden ja standardmäßig gefragt, ob wir uns vorstellen können, irgendwann nach Südtirol zurückzukehren. Vielmehr geht es meines Erachtens darum, wie die Kontakte und die Kompetenzen der Südsterne in aller Welt genutzt werden können, um Südtirols Innovationsfähigkeit zu unterstützen.

Sie sind in Meran aufgewachsen, haben in Italien eine Ausbildung genossen, im deutschsprachigen Raum studiert und gearbeitet und sind dann in London sesshaft geworden. In welcher Sprache denken Sie eigentlich? 

In Englisch.

Interview: Christian Pfeifer

Mit freundlicher Genehmigung der SWZ (Südtiroler Wirtschaftszeitung)


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