"Die grundlegenden Eigenschaften eines Toningenieurs sind erlernbar"

Sonntag, 09.08.2015

Der aus Sterzing stammende Christian Siller arbeitet seit 2012 als selbstständiger Akustiker und Toningenieur und hat unter anderem mit „Nena“, „Juli“ und „Joe Cocker“ zusammengearbeitet. Im Südstern-Interview erzählt er von den Herausforderungen für Toningenieure und warum er auf CDs und Vinylplatten setzt.


Benötigt man heutzutage immer noch ein voll ausgestattetes Tonstudio, um professionell Musik produzieren zu können?

Es ist mittlerweile natürlich möglich, Musik mit einfachen Mitteln auf hohem Niveau im Homestudio zu produzieren. Da fast alles auf digitaler Ebene im Rechner passiert, ist es nicht mehr erforderlich ein Tonstudio mit teurer Hardware zu besitzen, die zum einen viel Platz benötigt und zudem auch noch sehr viel Geld kostet. Dennoch ist die Qualität am Ende ja nicht unbedingt abhängig von der Hardware, mit der ich die Musik aufgenommen habe, sondern schon auch wie gut ich als Produzent bin und ob ich in der Lage bin Musik mit einfachen Mitteln hochwertig zu produzieren. Nicht zuletzt ist das akustische Ergebnis dann vom endgültigen Mixdown und dem feinen Gehör eines Toningenieurs abhängig.

Hier wiederum kommen dann doch auch die begrenzten Mittel eines Homestudio zum Tragen, da der finale Mixdown sehr stark von den verwendeten Lautsprechern und dem Raum abhängig ist in dem der Mixdown gemacht wurde. Wie man sich vorstellen kann, ist ein akustisch ausgewogener Raum dann schon kostspieliger als der kleine PC-Lautsprecher im Wohnzimmer.

 

Eine beträchtliche Anzahl der Hits, die ganz oben in den Charts landen, stammt aus den Federn von drei Komponisten und Produzenten: Dr. Luke (Katy Perry), Max Martin (Backstreet Boys) und RedOne (Lady Gaga). Wie können sich noch unbekannte Interpreten in einem solchen Umfeld behaupten?

Ehrlicherweise werden sich unbekannte Interpreten in einem solchen Umfeld gar nicht behaupten können. Unbekannte Interpreten können an sich arbeiten, um Schritt für Schritt in das entsprechende Umfeld zu kommen, aber von 0 auf 100 gibt’s nicht. Alles was nach außen hin so als Zufall und so nebenbei mal Star geworden aussieht, ist in der Regel jahrelange harte Arbeit bei der versucht wird ein Karriereweg aufzubauen um dann an die Leute zu kommen, die an den richtigen Fäden ziehen.

 

Hat MP3 Ihrer Meinung nach die Qualität der Musik zerstört?

Das Format MP3 war ja eine technische Weiterentwicklung, um Musik möglichst Ressourcen schonend zu speichern. Der Trend ging dann irgendwann in die Richtung Musik mit möglichst geringer Datenmenge zu speichern um immer so viel wie möglich Musik auf dem Smartphone oder dem mobilen Datenträger mit dabei zu haben. Dies geht dann doch irgendwann auf Kosten der Klangqualität. Zudem werden vom Standarduser freie Algorithmen zur Formatkonvertierung verwendet oder freie MP3's aus dem Internet geladen. Diese haben nicht immer die beste Qualität.

In weiterer Folge haben sich dann Standardplayer und Download-Plattformen durchgesetzt, die auf dem Computer schon quasi vorinstalliert sind. Diese kosten halt nix und der User muss sich um nichts weiter kümmern. Leider wissen die wenigsten, dass es andere Player gibt die auch nichts kosten und einen immensen unterschied in der Klangqualität haben.

Es wurde also nicht die Qualität der Musik zerstört, sondern vielmehr die Hörgewohnheit des Verbrauchers, da er quasi nichts Besseres mehr kennt, auch wenn sehr viel Zeit, Know-how und Energie in die Produktion von Alben gesteckt wird.


 


Kaufen Sie noch CDs und Schallplatten oder benutzen Sie einen Online- Musikdienst?

Ich kaufe noch CDs und seit kurzer Zeit auch wieder Schallplatten, da diese ja wieder vermehrt erhältlich sind. Zudem greife ich auch auf Musikportale zurück, aber auf  jene die kostenpflichtig sind und Musik in hoher Studioqualität zur Verfügung stellen.

Bei CDs weiß ich einfach schnell wo ich welches Lied finde und wo es im Regal steht. Schallplatten haben einerseits einen gewissen Charme und das Musikhören geschieht viel bewusster, da es nicht so nur so nebenbei passiert. Eine Schallplatte auf den Teller zu schmeißen ist ein anderes „Ritual“ und dauert schon mal länger, wenn auch nicht viel als per Mausklick eine Playlist zu starten. Des Weiteren ist der „Klang“ einer Schallplatte nach wie vor „wärmer“ und hat etwas Realeres in der Wiedergabequalität als eine MP3-Datei, die man über Kopfhörer am PC hört.

 

 

Das Geschäft mit Audio-Produkten für anspruchsvolle Hörer boomt: Welche Parameter beeinflussen spürbar den Hörgenuss und inwieweit sind diese messbar?

 

Da gibt es Produkte, die vor allem im Hi-Fi- Bereich verbreitet sind und meiner Meinung nach etwas Hokuspokus beinhalten. Diese sollten vielleicht besser über einen Esoterik-Shop verkauft werden und nicht beim Hi-Fi-Spezialisten.

Andere wiederum, die auf den ersten Blick vielleicht auch etwas esoterisch erscheinen aber sich dann bei genaueren Überlegungen physikalisch beschreiben und erklären lassen haben durchwegs ihre Berechtigung. Diese Eigenschaften der Produkte sind dann auch sehr gut messbar und die Klangverbesserung ist dadurch auch belegbar.

Viele klangverbessernde Maßnahmen sind aber auch ohne zusätzlichen finanziellen Mehraufwand möglich. Da gibt es schon so den ein oder anderen „Trick“ um aus den vorhandenen Produkten und bestehenden Mitteln deutlich mehr rauszuholen. Zum Beispiel können CDs am inneren und äußeren Rand, wo sich keine Daten mehr befinden, mit schwarzem wasserfestem Stift bemalt werden um die reflektierende Oberfläche zu reduzieren. Diese führt am Gerät zu Fehlern, die von der Fehlerkorrektur während der CD-Wiedergabe behoben werden müssen. Diese beeinträchtigt den Klang, da die tatsächlichen Daten nicht 100% richtig abgespielt werden.

 

Worauf legen Sie bei einem Albumkauf besonders wert?

Beim Albumkauf gibt es prinzipiell zwei Werte für mich: Der eine ist der persönliche Musikgeschmack, der andere die Qualität der Produktion, also die Aufnahmequalität und die Qualität der Abmischung. Gerade bei Klassikproduktionen gibt es Orchester, die als ein großer Klanghaufen abgemischt werden, beziehungsweise bereits bei der Aufnahme das Mikrofon nicht optimal stand. Dann gibt es Produktionen, wo man das Gefühl hat, man „sieht“ beim Anhören der CD ganz genau wo die Oboe und Querflöten sitzen – und genau so soll es sein :)



 



Sie haben mit „Nena“, „Juli“ und „Joe Cocker“ zusammengearbeitet: Was waren dabei die größten Herausforderungen?

Anfänglich war die größte Herausforderung cool zu bleiben, da bei den ersten großen Konzerten die ich gemacht habe die Künstler Stars waren, die man nur aus dem Fernsehen kennt. Es hat sich aber sehr schnell herausgestellt, dass die wirklich Großen der Musikbranche am unkompliziertesten sind.

Im Vorfeld gib es technische Anforderungen des Künstlers, damit er das Konzert machen kann und zudem die persönlichen Anforderungen des Künstlers, damit er sich optimal auf den Auftritt vorbereiten kann. Diese Anforderungen sind natürlich sehr genau zu erfüllen. Dann sind es Menschen, die einfach Spaß haben auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen. Dabei gibt es dann beiderseits eine respektvolle Arbeitsweise und jeder weiß zu schätzen, was der andere macht und kann. Die Künstler wissen ja, dass sie nur so gut klingen können wie der Toningenieur sie klingen lässt und dass die Technik rundherum funktionieren muss damit sie sich wirklich auf die Musik und Ihre Fans konzentrieren können.

 

 

Was macht einen guten Toningenieur aus? Inwieweit sind diese Eigenschaften erlernbar?

Die grundlegenden Eigenschaften die ein Toningenieur haben sollte sind definitiv erlernbar. Ein Tischler der eine Lehre macht kann ja auch erlernen wie er Küchenschränke und Möbel anfertigt.

Natürlich sollte eine bestimmte Musikalität vorhanden sein wenn man Toningenieur werden will, aber ich denke wenn man sich nicht ohnehin mit Musik beschäftigt und da auch gewissen Interessen hat, besteht ja auch kaum das Bestreben Toningenieur zu werden.

Das Gehör lässt sich auch sehr gut schulen, es ist so ähnlich wie lesen und schreiben lernen. Nur hören wird in der Schule selten unterrichtet :) Außer man begibt sich dann auf eine Hochschule wo es Gehörschulungen gibt. Diese sind in der Ausbildung des Toningenieurs sowohl als musikalische Gehörschulungen aber auch – ich bezeichne es mal als „technische“ Gehörschulungen Pflicht. Dabei lernt man dann in welchen Frequenzbereichen Instrumente spielen, diese Instrumente zu identifizieren und den Klang des Instrumentes durch entsprechendes Filtern im jeweiligen Frequenzbereich zu optimieren und in das passende Gesamtbild zu rücken.

Also sehr analytisch und demnach erlernbar.

Alles andere ist dann ein angeborenes Talent das darüber entscheidet wie gut derjenige im Beruf wird. Aber das ist ja nicht nur beim Beruf des Toningenieurs so.

 

Was würden Sie einem jungen Südtiroler raten, der einen ähnlichen Karriereweg einschlagen möchte?

Ich kann jedem jungen Südtiroler raten, am Anfang seiner Ausbildung soviel wie möglich von allem mitzunehmen: Sich zwar bewusst und im Klaren zu sein, wohin es gehen soll, aber sich nicht zu früh auf etwas zu Spezielles zu versteifen. Gerade in der heutigen schnelllebigen Zeit ist es wichtiger denn je, zuvor kurzfristig auf Änderungen reagieren und über den Tellerrand hinausblicken zu können. Kurze Ausbildungen haben zur Folge, dass junge Menschen nur mehr sehr speziell und leider auch sehr beschränkt ausgebildet werden. Später ist es für den Arbeitgeber auch wichtig Mitarbeiter zu haben, die gewerkeübergreifend agieren und mit den verschiedenen Sparten kommunizieren zu können.


 


Wie kann man sich Ihren Tagesablauf vorstellen?

Das ist eine Frage, die sich so nur schwer beantworten lässt. Da ich ja als freiberuflicher Toningenieur arbeite sind auch die Aufträge sehr vielfältig.

Prinzipiell lässt sich vielleicht unterscheiden ob es ein Büro Tag ist oder ein Tag, an dem ich auf einer Produktion arbeite. Sogar bei Bürotagen ist die Arbeit aber unterschiedlich. Es gibt die klassischen Büroarbeiten an denen organisatorische Dinge, oder die Buchhaltung zu machen ist. Andernfalls gibt es Bürotage, an denen ich dann mehr mit der Planung von Produktionen beschäftigt bin. Diese können dann zum Beispiel das Zeichnen von 3D-Modellen für eine Akustik-Simulation und im Anschluss die Simulation von Beschallungsanlagen selbst beinhalten. Andererseits, wie es kürzlich der Fall war, war ich mit der Restauration von altem Audiomaterial für einen kurzen Dokumentarfilm beschäftigt.

Bin ich auf einer Produktionen, könnte der Tagesablauf so aussehen, dass ich mich erst darum kümmere, dass das ganze Equipment aus dem Trailer in die Veranstaltungshalle rein kommt, mich anschließend mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut mache und mich um den Aufbau kümmere. Wenn dies dann alles abgeschlossen ist, messe ich die Beschallungsanlage optimal für die Anforderung ein und betreue anschließend die Künstler und weise hinzukommende Techniker in die Anlage ein. Dieser Ablauf kann sich je nach Produktionsgröße dann auch mal über mehrere Tage erstrecken.

 

Was lieben, was hassen Sie am Südtiroler in Ihnen?

Ich liebe es, dass man als Südtiroler immer recht gut an die Basics im Leben erinnert und zurückgeholt wird. Wenn ich im Winter zum Skifahren gehe oder im Sommer eine Bergwanderung mache kann ich recht gut den teilweise doch stressigen Jobs, die sehr oft kurzfristig und auf dem Motto „alles muss in letzter Minute passieren“ basieren, entkommen.

Was ich nicht so sonderlich mag ist die Identifikationsfrage. Im Ausland wird man oft danach gefragt, welchem Land man sich zugehörig fühlt. Die Antwort darauf geht aber bei mir immer mehr in Richtung „ich fühle mich als Südtiroler“, was so manch einem als merkwürdig oder gar arrogant vorkommen könnte. Abgesehen davon kann ich selbst schwer beurteilen, wieviel ich vom Südtiroler noch in mir habe. Nachdem ich ja doch schon eine längere Zeit weg bin, komme ich dennoch regelmäßig nach Südtirol zurück.

 

Was wünschen Sie sich für Südtirol?

Ich wünsche mir für Südtirol, dass es die Vorteile erkennt, die diese kleine Region mit sich bringt. Abgesehen von der Natur und Geografie die das Land mit sich bringt und weit über die Grenzen bekannt ist und geschätzt wird, sollte der Südtiroler von seiner Engstirnigkeit zu einer Multikulturalität umschwenken, die das Land ja definitiv hat.

Verschiedene kulturelle Einflüsse bereits im Kindesalter so hautnah mitzubekommen sind ja für das spätere berufliche Leben durchaus von Vorteil. Zudem ist die Zweisprachigkeit so wie sie in Südtirol gelebt wird auch nahezu einzigartig.

In diesem Zusammenhang wünsche ich mir für Südtirol einerseits, jene Traditionen beizubehalten, die die Kultur des Landes prägen und geprägt haben und andererseits, dennoch im internationalen Business als offene Region einen Platz zu finden.



Interview: Alexander Walzl

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