Der Cityroller in Pittsburgh

Montag, 06.04.2015

Valentina ­Baldauf hat in München und Rom Kunstgeschichte studiert und war 4 Jahre lang für die Sammlung Goetz in München ­tätig. Nach einem halbjährigen Aufenthalt in New York City zog sie im April 2014 nach Pittsburgh, wo sie ab dem kommenden Wochenende mit ihrem Unternehmen „­Bike the Burgh Tours“ geführte Radtouren durch die Stadt anbieten wird.

Meine Stadt ist: PITTSBURGH oder ganz einfach: The Burgh! Pittsburgh ist nach Philadelphia die zweitgrößte Stadt des US-Bundesstaates Pennsylvania. Sie ist bekannt als „Steel city“ auf Grund der enormen Stahlindustrie, die diese Stadt bis vor einigen Jahrzehnten beherrscht hat. Nicht umsonst war Pittsburgh um 1900 eine der reichsten Städte der USA, zusammen mit Chicago und New York City. Sie hat für eine amerikanische Stadt eine reiche Geschichte vorzuweisen und befindet sich auf sanften Hügeln, am Zusammenfluss zweier großer Flüsse. Demnach trägt sie auch den Beinamen „City of Bridges“. In den letzten 25 Jahren hat sich Pittsburgh von der ehemaligen Industriestadt zu einer sehr sicheren, preiswerten und grünen Stadt mit hoher Lebensqualität entwickelt. Sie schafft es kontinuierlich auf die Rangliste der 5 lebenswertesten Städte der USA.




Mein Lieblingsrestaurant: Ganz klar: Mad Mex, ein Restaurant, das eine vielfältige Palette an mexikanisch inspirierten Speisen und Getränken serviert. Es ist stets vollgepackt, egal, zu welcher Zeit und an welchem Tag man dort einkehrt. Für Vegetarier und Veganer ist es ein reines Paradies. Neben wunderbaren Margaritas hat Mad Mex auch ein breites Angebot an lokal gebrauten Bieren aufzuweisen, das sich alle paar Wochen ändert. Dieses Restaurant macht das Kundenherz einfach glücklich: Von einer überbordenden Auswahl an Speisen und Getränken über unschlagbare Preise, hohe Qualität bei allem, was serviert wird, guten und schnellen Service (ich liebe das in diesem Land!) hin zu Geburtstagsgutscheinen, ständigen Specials und einer täglichen Happy Hour mit halbierten Preisen. Ich bin ein Riesenfan!



Hier trinke ich am liebsten einen Aperitif: Im Industry Public House mit lässigem vintage industrial Innendesign und gemischtem Publikum in einem zwischenzeitlich sehr hippen Stadtviertel names Lawrenceville. Oder alternativ: Livermore, eine sehr geschmackvoll eingerichtete, französisch angehauchte Bar, die als einzige (mir bekannte) Bar in Pittsburgh Aperol Spritz serviert! 




Hier gibt’s den besten Kaffee: Espresso a mano, auch in Lawrenceville, ein hübscher und gemütlicher coffee shop, in dem man auch gut arbeiten kann. Die Kaffeekultur in den USA hat sich in den letzten Jahren eh immer stärker verfeinert und ausgebreitet. Kaum einer unserer Generation trinkt in den USA noch den so typischen Filterkaffee, den man aus den klassischen American Diners kennt. Kleine, lokale Kaffeeröstereien schießen aus dem Boden genauso wie Mikrobrauereien. Auch sehr guten Kaffee bietet Delanie’s Coffee auf der bunten Carson Street in der South Side.


... und die besten Snacks für zwischendurch: Die hat La Gourmandine, eine echte französische Bäckerei mit sehr leckeren Croissants und hausgemachter Quiche. Die Schlange ist stets lang, vor allem an Samstagen. Da sind die besten Leckereien bereits um 11 Uhr vormittags ausverkauft, wie z.B. mein Favorit: Tarte au Pistache!


Hier kann man gut feiern: Bei uns im Wohnzimmer! Wir hatten schon ein paar legendäre Parties bei uns im Haus. Da in Pittsburgh die Miet- und Kaufpreise so niedrig sind, kann man sich viel Wohnraum leisten. Deshalb feiern Pittsburgher viel privat in ihren Wohnungen oder Häusern. 


Mein perfekter Abend: Er beginnt mit einem Baseball-Game der Pittsburgh Pirates im großen PNC Ballpark, dem drittgrößten Baseballstadion der USA, das eine atemberaubende Sicht auf Downtown Pittsburgh erlaubt. Anschließend folgt ein Drink in einer der am Wasser gelegenen Bars. Nach Hause geht es dann mit dem Rad am Fluss entlang, über die schönen und abends hell erleuchteten Brücken.


Der Ort, wo ich mich am besten entspannen kann: Im Sommer im Biergarten des Hofbräuhauses (geführt von einem Münchner Braumeister!) – dort fühle ich mich dann wie zu Hause - und im Winter im Row House Cinema, einem lokalen Independent Movie Theater, das stets Filme zu verschiedenen Themen zeigt.




Die totale Touristenfalle: Station Square, ein modernes Konglomerat an Restaurants, Hotels, Shops und Bars, das sich auf dem Grundstück einer ehemaligen Hochofenanlage und eines früheren Bahnhofes befindet und vor einigen Jahren mal für eine Weile „in“ war. Die Sicht von Station Square über den Monongahela River Richtung Stadtkern ist fantastisch. Heutzutage stößt man dort kaum mehr auf locals, man begegnet vielmehr „Suburbia“, Touristen aus dem Umland. Tagesausflügler verpassen dabei leider gänzlich die eigentlich spannenden Orte Pittsburghs. Dementsprechend sind in einigen Lokalen die Preise etwas überteuert.


Mein liebstes Fortbewegungsmittel in meiner Stadt: Mein Citycruiser, mein Fahrrad, zumal Pittsburgh zunehmend fahrradfreundlicher wird. Das Netz an Fahrradwegen wird kontinuierlich ausgebaut. Somit steigen immer mehr (vorwiegend junge) Menschen auf das Rad um. Und natürlich ganz amerikanisch: Unser Auto!



Die schönste Zeit im Jahr: Der für die Region hier so typische Altweibersommer, hier „Indian Summer“ genannt. Zu dieser Zeit legt sich ein ganzer Teppich an bunt gefärbten Blättern über die Landschaft und taucht alles in ein saftiges Gelb, Rot und Orange. Fabelhaft! 


Über diese sprachlichen Eigenheiten muss man Bescheid wissen: Die lokale Färbung hier nennt sich „Pittsburghese“. Die echten Pittsburgher, genannt Yinzers (von „yinz“ = you all) lieben ganz flache Vokale, da wird schon mal das „o“ zum „a“. Als Beispiel: Dawntawn statt Downtown. Ich finde das sehr markant und sympathisch! Als Südtirolerin liebe ich natürlich Dialekte und sprachliche Eigenheiten.


Übernachtungstipps: Eine Übernachtung wert soll das „Mansions on Fifth“ sein, eine ehemalige Villa aus der Zeit um die Jahrhundertwende an Pittsburgh’s früherer „Millionaire‘s Row“. Das Haus wurde vor nicht allzu langer Zeit renoviert und in ein elegantes Hotel umgewandelt. Unweit davon entfernt, ebenfalls an der Fifth Avenue, liegt mein persönlicher Favorit, das „Sunnyledge“. Es ist ein 130 Jahre altes Gebäude, in dem der Hausarzt der Pittsburgher Großindustriellen Andrew Carnegie, Henry Frick und Thomas Mellon wohnte und praktizierte. In entsprechend altem Flair sind die Räume ausgestattet. Wer es schick und modern mag, für den ist das neu eröffnete Boutique Hotel Monaco im Herzen der Stadt das Richtige: Es ist gerade in aller Munde, v.a. wegen seiner Cocktailbar.



Hier trifft man auf waschechte Pittsburgher: In Bloomfield, in alten eingesessenen Bars entlang der Liberty Avenue. Bloomfield war ein altes Arbeiterviertel, in dem sich vorwiegend italienische Immigranten ansiedelten. Daraus entstand dann „Pittsburgh’s Little Italy“. Deshalb findet man dort heute noch viele Take-out Pizza Shops, klassische italienische Restaurants und Delikatessen-Läden mit De Cecco-Pasta, Parmesan,  Tarallucci und echter Mozzarella!


Das perfekte 24-Stunden-Programm in meiner Stadt: Den Tag würde ich beginnen mit einer Fahrt mit einer der Bergbahnen, die auf einen Panorama-Aussichtspunkt auf den Mount Washington hochfahren. Pittsburgher nennen diese Bahnen „inclines“. Sie wurden ursprünglich gebaut, um entweder Kohle oder Arbeiter den Berg rauf und runter zu transportieren. Die Aussicht von einer der Panoramaplattformen ist auf alle Fälle lohnenswert. Unweit davon liegt der Point State Park, auf dem Dreieck, an dem die beiden Flüsse zu einem dritten zusammenfließen. Dort kann man hervorragend die Füße ins Wasser stecken und sich kurz erfrischen, bevor man sich mit einem Sandwich bei den Primanti Brothers stärkt. Dieses ist wahrlich eine kulinarische Herausforderung, denn die Pommes Frites werden in das eh schon sehr dicke Sandwich gepackt! Doch bei einem Besuch in Pittsburgh darf diese Erfahrung auf keinen Fall fehlen. Für einen Kaffee oder ein Dessert danach eignet sich ein Spaziergang durch den nahe gelegene Strip District mit all den vielen Obst- und Fischläden, traditionellen amerikanischen Diners, Bars und Cafès. Eine weitere Erkundungstour durch das Studentenviertel Oakland mit der Cathedral of Learning und dem wunderschönen Botanischen Garten zeigt einem weitere Flecken dieser so vielseitigen Stadt. Zum Shopping wird man im daneben gelegenen Viertel Shadyside angeregt, insbesondere in der Walnut Street. Ein einzigartiges Erlebnis ist ein Bier oder eine Mahlzeit in den Church Brew Works, einer örtlichen „microbrewery“, die sich in einer alten Kirche (!) niedergelassen haben. Sowas kann für einen Europäer im ersten Moment durchaus befremdlich sein, aber es zeigt, wie aufgeschlossen US-Amerikaner jeglicher Form von Umfunktionierung gegenüber stehen. Im Altarraum stehen massive Bierfässer: Das Bier wird sozusagen zum neu angebeteten Heiligtum.  Ein abendlicher Spaziergang über die nicht weit entfernte Butler Street, vorbei an Retro-Möbel- und Klamottenläden, Tattoostudios und kleinen Kunstgalerien leitet einen schönen Ausklang des Tages im Cultural District in Downtown ein. Das kann etwa ein Konzert in der historischen Heinz Hall mit dem renommierten Pittsburgh Symphony Orchestra sein. Für sonstige Abendunterhaltung ist in den vielzähligen Theatern gesorgt, die mit einer Großzahl an Musicals, Tanz- oder Theaterstücken aufwarten. Für einen Ausflug zu der nahe gelegenen Architekturikone „Fallingwater“ von Frank L. Wright aus dem Jahre 1939 bleibt bei einem eintägigen Besuch leider keine Zeit. Dafür muss man etwas länger bleiben (90 Minuten mit dem Auto).




Was in keinem Reiseführer steht: Dass sich ein riesiges Ghetto inmitten der Stadt befindet, und zwar in der topografisch am besten gelegenen Gegend, auf einem lang gestreckten Hügel mit grandioser Aussicht auf die Stadt. Seit mehr als einem halben Jahrhundert hat der Hill District enorme soziale Probleme, obwohl es in den 1930er und -40er Jahren ein Zentrum für Jazzmusik war. In Bars spielten und sangen Legenden wie Miles Davis, John Coltrane und Nina Simone. Als Besucher der Stadt kann man dieses arme Viertel leicht „übersehen“ und auch vermeiden, da es leicht zu umfahren ist. Dabei wird es umzingelt von gut entwickelten Stadtvierteln voller Studenten (Oakland), Italiener vielzähliger Generationen (Bloomfield) und Young Professionals (Downtown). Rein urbanistisch gesehen ist das eine höchst spannende Entwicklung: Wie kann eine derartige Gegend trotz all der Umstrukturierungen drum herum über eine so lange Zeit stagnieren? Ich bin schon gespannt, wann sich auch der Hill District transformiert und sich aufzuwerten beginnt.


Hier kaufe ich am liebsten ein: An der so genannten „Waterfront“ in Homestead, einer ganz typischen amerikanischen “strip mall“, bei der man von Geschäft zu Geschäft fährt. Die Parkplatzflächen sind mindestens genauso groß wie die Verkaufsflächen der einstöckigen, megalomanen Warenhäuser. Man muss viel Zeit und Disziplin mitbringen, um sich durch die schier endlosen Regalschluchten zu arbeiten und auch das zu finden, was man wirklich braucht, während man von zig anderen unnötigen, zur Schau gestellten Konsumwaren zerstreut wird. Ich tauche in diese Einkaufswelt hin und wieder sehr gerne ein, da es so „anders“ ist als all das, was ich bisher gewöhnt war. Gleich nebenan befindet sich eine „Shopping Plaza“, ein künstlich hochgezogenes Pseudo-Dörfchen, mit einem zentralen Brunnen und einem Cafè (Starbucks). Es ist ein erholsamer Kontrast zu dem vielen Autofahren. Dort stellt man nämlich sein Auto ab und läuft dann zu den einzelnen Läden, die um diesen sechseckigen Platz angelegt sind. 


Auch dieser Boden ist historisch: Hier fand 1892 der einst blutigste Arbeiterstreik der Vereinigten Staaten statt, an einer von Andrew Carnegies Stahlverarbeitungsanlagen. Dieses Ereignis legte das Fundament für die späteren Gewerkschaften und die 40-Stunden-Woche. Heute ist von den industriellen Anlagen so gut wie gar nichts mehr zu sehen, alles wurde platt gewalzt und in neue Kommerztempel umgewandelt.


Allen Sportfreaks kann ich empfehlen: Ein Baseballspiel im PNC Park mit der zuvor erwähnten überwältigenden Aussicht auf die Wolkenkratzer Pittsburghs! Da Baseball ja tief in der US-amerikanischen Sportkultur verankert is, ist es ein echtes Erlebnis. Die Tickets sind günstig zu erwerben. Außerdem wird man in den Pausen durch fantasievolle  Spiele gut unterhalten! Ansonsten lohnt sich auch ein Football-Spiel im Heinz Field gleich nebenan. Es ist etwas teurer, aber die Pittsburgh Steelers sind das erfolgreichste Footballteam der USA. Es hat 6 Mal den Super Bowl gewonnen, 4 Mal davon in aufeinander folgenden Jahren. Das ist echt bewundernswert. Die Steelers beherrschen die Stadt und ihre Farben, alles hier ist in Gelb und Schwarz getaucht. Die Leute sind verrückt nach ihnen. So bleibt einem fast keine Wahl, man muss diesen Sportwahn einfach mögen. 



Das besondere am Stadtbild ist: Der Zusammenfluss der zwei großen Flüsse (Allegheny und Monongahela River) zu einem noch größeren Strom (Ohio River). Daraus entsteht ein Dreieck („the point“), auf welchem in den 1970er Jahren ein schöner Park angelegt wurde. Die Stadt ist auf unzähligen Hügeln gelegen und wird gesäumt von Brücken verschiedener Art und Größe. Pittsburgh hat mit seinen 446 Brücken tatsächlich mehr als Venedig. Diese vorteilhafte Lage am Wasser mit Anschluss an den Mississippi River (in welchen der Ohio River fließt) und damit der Verbindung zu den Weltmeeren machte Pittsburgh um die Jahrhundertwende zu der bedeutendsten Handels- und Industriestadt der Vereinigten Staaten. Der markante Tower „PPG Place“ (Pittsburgh Plate Glass) gleicht einem neugotischen Turm aus Glas und ist das herausstechendste Gebäude der Skyline. Gebaut wurde es vom berühmten Architekten Philip Johnson, der damit der Stadt förmlich ein Wahrzeichen gesetzt hat. Eine weitere Kathedrale, die „Cathedral of Learning“, ist auch ein nicht zu übersehender Koloss auf dem Campus der University of Pittsburgh. Er beherbergt Büros und Seminarräume einer der ingesamt 7 Universitäten Pittsburghs und ist wegen seiner 42 Stockwerke ein beliebtes Trainingsziel für Sportliebhaber. Eine Glas- und eine Lernkathedrale prägen das Stadtbild, stellvertretend für u.a. zwei Segmente, in denen Pittsburgh neben der Eisen- und Stahlproduktion schon immer führend war: Glasindustrie und Wissenschaft.


Redaktion: Alexander Walzl


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