"Die Dry Valleys sind ein magischer und surrealer Ort"
Katherina Hell hat bereits auf einer Forschungsstation in der Antarktis geforscht und ist derzeit in Boulder, Colorado, tätig. Die Toblacherin erklärt im Südstern Interview, wie es sich in der größten Eiswüste der Erde lebt, wie sich der Klimawandel am alpinen Forschungsstandort „Niwot Ridge“ bemerkbar macht und welche Rückschlüsse auf Südtirol gezogen werden können.
In Ihrer Forschungsarbeit haben Sie sich u. a. mit den Viren und Bakterien in den Seen der McMurdo Dry Valleys, in der Antarktis, auseinandergesetzt. Wie würden Sie einem Laien Ihre Forschungsarbeit erklären?
Die Seen der McMurdo Dry Valleys sind in vielerlei Hinsicht sehr besonders: kristallklare Seen, die sich unter einer meterdicken Eisschicht verstecken. Das Wasser ist so salzhaltig, dass es in der Tiefe selbst im Winter nicht zufriert.
Diese Voraussetzungen sorgen dafür, dass die aquatischen Ökosysteme der Dry Valleys relativ einfache Nahrungsnetze aufweisen. Ökosysteme mit einfachen Nahrungsnetzen weisen meist auch begrenzte Diversität und damit auch geringere Stabilität auf. In den Seen der Dry Valleys jedoch ist die mikrobielle Diversität, trotz extremster Umweltbedingungen, relativ hoch und das Ökosystem stabil. Deshalb stellt sich die Frage: Was sind die Treiber der hohen mikrobiellen Diversität?
Die für uns naheliegendste Erklärung waren Viren: Viren werden in fast jedem Ökosystem auf der Erde gefunden und ihre Abundanz ist höher als die jeder anderen biologischen Einheit. Viren können trotz tiefer Temperaturen aktiv sein und die sogenannte mikrobielle Schleife verkürzen, indem sie gelöste Nährstoffe direkt, durch Zelllyse der Bakterien, in den Nahrungspool entlassen.
Basierend auf diesem Wissen untersuchte ich die Diversität der Virusgemeinschaften und deren Implikationen auf die mikrobiologische Diversität und den Nährstoffkreislauf in den Seen der Dry Valleys in der Antarktis.
Wie war die Reaktion Ihrer Bekannten, als sie erfahren haben, dass Sie für eine Forschungsexpedition in die Antarktis aufbrechen? Wie lebt es sich auf einer Forschungsstation?
Wenn ich hier meinen Vater zitieren darf: „ Sprachlos!“
Da waren aber auch Stolz und Neugierde im Mix der Reaktionen von Bekannten, Freunden und Familie.
Die US-amerikanische McMurdo – Station ist die größte Forschungs- und Logistikstation in der Antarktis und befindet sich am südlichsten Zipfel von Ross Island. Während viel Forscher den Großteil ihres Aufenthalts in McMurdo verbringen, war ich unter den Glückspilzen, die fast die gesamte Saison im Feld verbringen durften, nämlich in den Dry Valleys. Diese sogenannten Trockentäler bilden die größte eisfreie Fläche der Antarktis. Am Talboden befinden sich die permanent eisbedeckten und salzhaltigen Seen, die von Gletschern und ephemeren Flüssen gespeist werden.
Das Leben in den Dry Valleys ist auf das Nötigste reduziert und der Lebensmittelpunkt ist die Forschungsarbeit. Man schläft in Zelten, kocht in Hütten und verbringt täglich 15-20 Stunden bei der Arbeit und mit seinen Teamkollegen. Da die Sonne im australischen Sommer nicht untergeht, fällt es auch nicht schwer seine Müdigkeit zu überwinden und zu arbeiten.
Das soziale Leben in den Dry Valleys ist interessant- die Handvoll Menschen, welche auf die insgesamt vier Camps im Taylor Valley aufgeteilt sind, werden zu einer kleinen Familie.
Jedes Forschungsteam hat einen anderen Fokus: Es werden die Permafrostböden, die ephemeren Flüsse, die Gletscher, und die Seen untersucht. Ziel ist es, die Konnektivität dieser extremen Ökosysteme der Dry Valleys, zu verstehen. Die Dry Valleys sind ein magischer, surrealer Ort- es herrscht eine unglaubliche Stille, die nur durch das Knirschen und Krachen der Gletscher unterbrochen wird.
Aktive Freizeit in den Rockies
Warum sind gerade Gebirgsökosysteme von besonderem Interesse für die Klimaforschung?
Gebirgsökosysteme sind weitgehend isoliert und geprägt durch harsche Umweltbedingungen und eine kurze Vegetationsperiode, an welche die dortigen Tier- und Pflanzenarten und auch die Mikroben jedoch optimal angepasst sind. Aufgrund dieser extremen Umweltbedingungen reagieren diese Ökosysteme und ihre Bewohner sehr empfindlich auf Änderungen von Landnutzung und Klima. Ansteigende Temperaturen und eine verkürzte Zeit der Schneebedeckung zeugen bereits heute von der voranschreitenden Klimaveränderung.
Am Standort “Niwot Ridge” wird seit 1980 eine ökologische Langzeitstudie durchgeführt: Wie macht sich der Klimawandel dort bereits bemerkbar?
Am Forschungsstandort Niwot Ridge macht sich der Klimawandel in mehreren Formen bemerkbar:
Temperaturanstiege und damit verbunden, die frühere und schnellere Schneeschmelze. Dies führt zu einer vermehrten Austrocknung der Böden, einer früheren Keimung bestimmter Pflanzen und einer verlängerten Vegetationsperiode.
Der Pika, ein kleines Nagetier, ist an tiefe Temperaturen angepasst und muss als Folge der Temperaturanstiege immer weiter hinaufwandern. Nun, da die Temperaturanstiege auch den alpinen Raum erreicht haben, fürchtet man, dass der Pika keinen Ausweg mehr finden könnte.
Im Falle der Seen sehen wir, dass “die Sommer” länger werden, d. h., dass die winterliche Eisdecke auf den Seen früher verschwindet. Die Folge davon ist, dass mehr Licht zu einem früheren Zeitpunkt die Wassersäule erreicht und eine höhere Konzentration an Nährstoffen, wie z. B. Stickstoff, welche im See abgelagert werden, zu verzeichnen ist. Die Primärproduktion der Algen nimmt erheblich zu und eine Veränderung in der Phytoplankton-Zusammensetzung kann beobachtet werden.
Pflanzenarten aus tieferen Lagen wandern immer weiter nach oben und drängen die alpinen Pflanzen höher hinauf. Dadurch erhöht sich auch der Beitrag von pflanzlicher gelösten, organischen Substanz in den Gewässern. Dies hat zur Folge, dass das Wasser der sonst glasklaren Bergseen brauner erscheint. Diese braune Farbe dient dem Zooplankton sozusagen als Sonnenschutz. Ursprünglich waren diese hochalpinen Gebirgsseen vom Phytoplankton dominiert: Wir beobachten nun aber, dass das Zooplankton durch die “braune Sonnencreme” besser vor der hohen UV-Strahlung geschützt ist und somit die Möglichkeit hat, die Oberhand zu gewinnen. In den letzten Jahren haben wir einen Wechsel von Bottom-up Kontrolle zu Top-down Kontrolle feststellen können.
Durchbohren der 4 m dicken Eisschicht von Lake Bonney,Taylor Valley, Antarktis, zur Beprobung der Wassersäule.
Sie erforschen unter anderem die Wechselwirkungen zwischen Biodiversität und Klimawandel: Welche Rückschlüsse auf Südtirol lassen Ihre bisherigen Forschungsergebnisse zu?
Klimaparameter wie Temperatur und Niederschlag bestimmen zusammen mit physikalischen, chemischen und biologischen Umweltfaktoren das Vorkommen und die Verbreitung von Arten. Jede Art hat ihren eigenen Toleranzbereich bezüglich dieser Faktoren und findet somit seine eigene „ökologische Nische“.
Der Klimawandel wird als eine der Hauptursachen für den Verlust von Biodiversität angesehen. Daneben spielen die Veränderung der Habitate, invasive Arten, Übernutzung und Verschmutzung der Ökosysteme weitere wichtige Rollen. Eine treibende Kraft ist jedoch in der Regel der Mensch.
Nicht heimische Arten, die besser an die „neuen“ Klimaparameter angepasst sind, werden vermehrt in Gebieten angetroffen, wo sie vorher nicht heimisch waren. Diese Arten können invasiv sein und die ursprünglich heimischen Arten vertreiben.
Arten, denen es nicht möglich ist, entlang der klimatischen Veränderungen zu wandern, sind besonders bedroht. Generalisten sind demnach erfolgreicher als Spezialisten. Neben dem Einwandern neuer Arten und dem Verdrängen heimischer Arten führt dies allgemein zu Veränderungen in den Artzusammensetzungen der Ökosysteme und kann letztendlich auch Auswirkungen auf die für den Menschen so wertvollen Ökosystemdienstleistungen haben.
Der amerikanische Präsident Theodore Roosevelt wurde einmal gefragt, wie er Colorado beschreiben würde. Er antwortete: „Um diese Landschaft zu beschreiben, reicht die englische Sprache einfach nicht aus.” Wo sehen Sie Parallelen und Unterschiede zu Südtirol?
Parallelen zwischen Südtirol und Colorado im Bezug auf die Landschaft sehe ich vor allem in den Bergen und den Menschen, die in den Bergen leben.
Colorado ist wie Südtirol von einer Berglandschaft geprägt und die Menschen leben, so wie auch die Südtiroler, relativ gesund und lieben es draußen in den Bergen aktiv zu sein. So atemberaubend und einzigartig die Dolomiten in Südtirol sind, so bietet auch Colorado unglaublich schöne Landschaften von einzigartiger Diversität: 4000 Meter hohe Berge, Wüsten und Prärie.
Ansonsten sehe ich nicht sehr viele Parallelen zwischen Colorado bzw. den USA und Südtirol:
Die Berge sind hier sehr abgeschieden und nicht entwickelt: Es gibt weder Berghütten, noch angelegte Wanderwege oder Zufahrts- und Forststraßen. Die unglaublichen Weiten hier sind unfassbar. Es gibt Orte, wo man nichts und niemandem begegnet- für Tage oder sogar Wochen.
Es gibt Bären, Berglöwen, Bergziegen, in manchen Gegenden wie z.B. in Montana, gibt es auch Wölfe. Das Zusammenleben von Menschen und wild lebenden Tieren ist friedlich und akzeptiert.
Das soziale System in Amerika ist dem in Europa in vielen Belangen weit unterlegen und nicht jeder kann sich z. B. eine Gesundheitsversicherung leisten.
Blick nach Süden Richtung Südpol über das Fryxell Basin, Taylor Valley, Antarktis, mit Lake Fryxell im Talboden und den Kukri Hills im Hintergrund.
Sie befassen sich unter anderem mit dem Einfluss des Klimawandels auf Bergseen: Wird das klare, kalte Wasser Südtiroler Bergseen bald von Algen getrübt? Welche Faktoren sind dafür maßgeblich verantwortlich?
Diese Frage und die Antwort darauf sind sehr komplex, da so viele positive wie auch negative Wechselwirkungen und Rückkoppelungsprozesse zwischen Klima und Eutrophierung im Spiel sind. Ich würde mich auf sehr dünnes Eis begeben hier klare Voraussagen zu wagen.
Bergseen stehen an vorderster Front im Bezug auf Umwelt- und Klimaveränderungen. Aufgrund ihrer Isoliertheit und extremen Umweltbedingungen reagieren sie sehr empfindlich auf geringste Temperaturanstiege, ansteigende Nährstoffkonzentrationen und atmosphärische Verschmutzungen.
Es ist deshalb vorherzusehen, dass sich Gebirgsökosysteme und Bergseen aufgrund des Klimawandels verändern werden: In welchem Ausmaß ist jedoch schwer vorherzusagen.
Faktoren für eine eventuelle Eutrophierung der Bergseen sind u. a. Temperaturanstiege und damit verbunden, längere Vegetationsperioden, kürzere Zeit der Schnee-und Eisdecke, höherer Input an Nährstoffen. Diese Ökosysteme sind aber nicht nur hochempfindlich für diese klimatischen Störungen, sondern auch bedeutende Indikatoren. Als solche werden sie besonders gründlich untersucht, da sie Aufschluss über Umfang, Entwicklung und biologische Wirkung der Veränderungen der Luftqualität und des Klimas geben können.
Was würden Sie einem jungen Südtiroler Studenten raten, der den Sprung über den großen Teich wagen will?
Die Gelegenheit wahrzunehmen, viele neue Erfahrungen zu sammeln und so viel wie möglich von diesem riesigen, vielfältigen und unbeschreiblich schönen Land zu sehen.
Sich ohne Vorurteile einfach ganz und gar auf das Land und seine Menschen einzulassen. Auf diese Weise lernt man alle Facetten von Amerika besser kennen: die Einstellungen der Menschen, die Landschaften, sogar das Essen. Ja, Amerika hat nicht nur Burger und Fries! Außerdem sollte man unbedingt eine gute Gesundheitsversicherung abschließen.
Ein Bild von mir vor den Blood Falls an den Ausläufen des Taylor Glaciers am Lakes Bonney, Antarktis.
Die Toblacher Gespräche, welche Anfang Oktober in Ihrem Heimatort abgehalten wurden, haben sich zu einem bedeutenden Umweltforum im deutschsprachigen Raum entwickelt. Wie wird der Klimawandel Ihrer Meinung nach den Tourismus im Alpenraum prägen?
Neben den Polargebieten zählen die Gebirgsregionen zu jenen Gebieten, welche sehr empfindlich auf den Klimawandel und seine Auswirkungen reagieren. Die Folgen des Klimawandels sind in diesen Regionen stärker ausgeprägt und deutlicher sichtbar als anderswo. Gleichzeitig sind viele Aktivitäten und auch der Tourismus als wirtschaftliches Standbein in den Alpen eng mit der Landschaft verbunden.
Der Wintertourismus wird meiner Meinung nach mehr und mehr Einbußen zu verzeichnen haben, was auf den Rückgang schneesicherer Gebiete aufgrund ansteigender Temperaturen und veränderter Niederschlagsmuster zurückzuführen ist.
Gleichzeitig können diese Faktoren des Klimawandels, vor allem der Anstieg der Lufttemperaturen, eine Zunahme im Sommertourismus bedeuten: Die relativ kühlere Alpenluft könnte für viele Touristen eine willkommene Abwechslung sein. Nicht zu vergessen ist dabei aber, dass die Auswirkungen des Klimawandels auch im Sommer unangenehme Nebeneffekte mit sich bringen können: Erhöhte Wassertemperaturen in Badeseen können unerwünschte Algenblüten zur Folge haben. Hangrutschungen durch Auftauen des Permafrosts und somit Gefährdung von Infrastrukturen wie Straßen und Wanderwege sind eine weitere mögliche Folge von Temperaturerhöhungen im Sommer.
Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels hat vielerorts im Alpenraum bereits begonnen, vor allem im Bereich des Wintertourismus: Künstliche Beschneiung, der Bau von neuen Liftanlagen und Pisten in höheren und potenziell schneesicheren Lagen sind nur einige Beispiele.
Diese Bewältigung der negativen Auswirkungen des Klimawandels kann sich jedoch ihrerseits negativ auf die Umwelt auswirken und im schlimmsten Fall sogar den Klimawandel in den empfindlichsten Gebieten beschleunigen.
Vor allem in den Alpenländern ist es nun wichtig, die Öffentlichkeit für das Thema Klimawandel zu sensibilisieren und nachhaltige Anpassungsstrategien müssen, vor allem für die Tourismusbranche, entwickelt werden um einerseits den Tourismus als wichtiges wirtschaftliches Standbein zu erhalten und andererseits um sicherzustellen, dass diese Anpassungsstrategien nicht einen negativen Rückkoppelungseffekt auf den Klimawandel und somit die Umwelt und den Tourismus zur Folge haben.
Was schätzen Sie an Ihrer Heimat im Hochpustertal?
Ich schätze die Hochpustertaler bzw. die Südtiroler im Allgemeinen: Südtiroler arbeiten hart, sind organisiert und selbstbewusste Menschen. Vor allem sind wir stolz darauf, Südtiroler zu sein.
Ich schätze aber auch den Familienzusammenhalt über Generationen hinweg und die ländlichen Traditionen, die immer noch gelebt werden. Die Landschaft im Hochpustertal mit den allgegenwärtigen Dolomiten liegt mir natürlich auch sehr am Herzen.
Ihr Lieblingsgericht in Südtirol? In Boulder?
In Südtirol sind es Mamas „Kaspressknödel“. In Boulder die Red Chile Chicken Enchiladas, die mein Mann Chris zubereitet.
Limnologische Beprobung des Green Lake 4 im Zuge des Niwot Ridge LTER Projekts, Rocky Mountains, Colorado
Was vermissen Sie aus Südtirol am meisten?
Ich habe eine lange "Vermiss-Liste": Ganz oben auf dieser Liste stehen meine Familie und Freunde. Obwohl ich in Colorado lebe und es hier ja genügend Berge gibt, vermisse ich "meine" Dolomiten schon sehr und damit verbunden den einfachen Zugang zu den Bergen und Gipfeln- vor allem im Winter. Ich vermisse bewirtschaftete Berghütten, den Macchiato nach dem Mittagessen und ab und zu einen Spritz mit Freunden oder meiner Mama.
Es gibt allerdings auch eine Liste von Dingen, die ich aus Colorado vermissen würde:
den Sommer: da es im Sommer in Colorado so gut wie nie regnet, wacht man fast jeden Tag zu strahlendem Sonnenschein auf; dass ich das ganze Jahr lang drauβen klettern und mountainbiken kann; die breite Auswahl an köstlichem Bier; roasted Hatch green chiles (gerößtete, feurig scharfe, grüne Paprikaschoten aus Hatch, New Mexico, USA.
Interview: Alexander Walzl