"Architektur ist ein kollaborativer Prozess"

Donnerstag, 10.03.2016

Der Brunecker Architekt Manuel Irsara erklärt im Südstern Interview unter anderem, warum der Immobilienmarkt in London aus vielerlei Hinsicht angespannt ist und wo die grundlegenden Unterschiede zwischen Baubehörden in Großbritannien und Mitteleuropa liegen.



Die Lage am Immobilienmarkt in London ist aus vielerlei Hinsicht angespannt: ein Paradies für jeden Architekten und Designer?


Die Aktivität des innerstädtischen Bauwesens sowie Immobilienmarktes ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen und hat beachtlicherweise sogar die hohen Werte vor der Finanzkrise im Jahr 2008 überholt. Dies bietet einerseits mittels eines sehr internationalen Kunden- und Investorenkreises viele spannende Möglichkeiten für Architekten in allen Bausektoren, während sich London andrerseits immer öfter als inspirierende Designmetropole bestätigt.
 


Die hohen Immobilienpreise führen auch zu immer extravaganteren Projekten: Wie sehen Sie diesem Trend entgegen?


Der Großteil der Innenstadt steht unter historischem Ensembleschutz und erlaubt selten reine Neubauten. Zusätzlich zu den vielen laufenden Umbauten der historischen Altsubstanz hat sich in den letzten Jahren aus dem Mangel oberirdischen Baugrundes eine stadtspezifische Alternativ-Typologie entwickelt, welche in einer wachsenden Anzahl von mehrstöckigen unterirdischen Erweiterungsprojekten besteht. Es ist immer wieder interessant, wie aus einem Problem neues Potenzial geschaffen werden kann.
 


An welchen Projekten arbeiten Sie gerade und mit welchen Herausforderungen haben Sie dabei zu kämpfen?


Wir stellen gerade ein neues Hotel im Gadertal fertig, planen eine Passivhaus-Villa in Menorca und arbeiten an verschiedenen Projekten in London (Penthouse, Privatvilla sowie Kunstgalerie). Während natürlich der Zeit- sowie Kostenfaktor aus Kundensicht immer eine große Rolle spielt, ist die Herausforderung dabei klarerweise ein Gleichgewicht zwischen Innovation, Nachhaltigkeit und hoher Bauqualität zu gewährleisten.


 
Auf welches Ergebnis Ihrer Arbeit sind Sie besonders stolz?


Architektur ist ein kollaborativer Prozess mit dem Ziel unter ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen sowie langen Planungszeiten aus den vielen Bausteinen ein homogenes Endprodukt zu schaffen.
Wir sehen in jedem Projekt das Potenzial zu experimentieren und Neues zu entwickeln - aus jedem Projekt etwas Einzigartiges schaffen zu können ist toll.


 
Wie unterscheidet sich das Vorgehen von Baubehörden zwischen Südtirol, Österreich und Großbritannien? Welchen Einfluss hat dies auf Ihren Handlungsspielraum?


Der Hauptunterschied ist die unterschiedliche Gesetzgebung. Das Common Law in Großbritannien hat keine klar definierten Gesetze, beruft sich auf gerichtliche Präzedenzfälle im Gegensatz zum Civil Law der mitteleuropäischen Länder, wo Bautätigkeiten im vorgegebenen Gesetzesrahmen ausgeübt werden. Common Law erlaubt damit etwas mehr Flexibilität, aber bietet natürlich weniger Sicherheit, da Projekte von Fall zu Fall begutachtet und beurteilt werden.

Der „Freedom of Information Act“ ermöglicht in Großbritannien unter anderem einen völlig transparenten Behördenweg: Jede bei öffentlichen Ämtern eingereichte Dokumentation ist auch frei ersichtlich.
Um die enorme Menge an eingereichten Projekten in London effizient und geregelt bearbeiten zu können, wurde in den letzten Jahren viel in Online-Infrastruktur investiert, was zu einer Reduktion der Bürokratie und systematischen Abwicklungsprozessen geführt hat. Dies ist im Vergleich zu anderen Ländern sicherlich bemerkenswert.
 

Eigentlich ist es Paradox, dass sich ein Großteil des bezahlbaren Wohnraums in England in desolatem Zustand befindet, während Bürogebäude immer wieder internationale Architekturpreise gewinnen: Wie erklären Sie sich diesen Unterschied?


Die Regierung und die englische Architektenkammer befassen sich schon seit Jahren mit dem Thema „Sozialer Wohnbau“. Die Nachfrage nach erschwinglichem und hochwertigem Wohnraum wird immer größer, während die Immobilienmarktwerte die jährlichen Inflationswerte bei Weitem überholen. Obwohl mehrere Vorzeige-Wohnbauprojekte entwickelt und realisiert wurden, gibt es in diesem Bereich noch viel Arbeit zu leisten.
Prestigeprojekte wie Bürohochhäuser oder Luxuswohntürme sind in der Presse natürlich leichter zu vermarkten und stehen deshalb schneller im Rampenlicht, obwohl es sich dabei nur um einen sehr kleinen Marktanteil handelt.


 
Aufgrund des begrenzten und kostspieligen Wohnraums in London ist es mittlerweile keine Seltenheit mehr, zwei Stunden zur Arbeit zu pendeln. Allerdings findet sich in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt ein Grüngürtel, der Platz für dringend benötigten Wohnraum schaffen könnte. Wird dies Ihrer Meinung nach jemals geschehen?


Das Thema der Bebauungsdichte ist in London interessant, da die Innenstadt auf dem mittelalterlichen Straßennetz aufgebaut ist und durch die 3-4 geschossigen Gebäude einen Kleinstadtcharakter vermittelt. Diese niedere Dichte hat natürlich eine enorme Flächenausdehnung der Stadt als Resultat, was in Folge mehr Infrastruktur und längere sowie komplexere Wegenetze erfordert.
Die Ausweisung von neuem Bauland im landschaftlichen Grün ist historisch immer schon auf viel Opposition vom Landschaftsschutz und der Bevölkerung gestoßen, da die Grüngürtel (Green Belts) mit der Absicht geschaffen wurden, die Stadtausdehnung in Grenzen zu halten und das Zusammenwachsen verschiedener Städte zu vermeiden.

Um die innerstädtische Dichte zu erhöhen, wurden in den letzten Jahren jedoch sehr viele „Highrise-Projekte“ in London genehmigt, was ich langfristig für die richtige Lösung halte, um eine permanente Stadtausdehnung (Sprawl) und Reduktion des landschaftlichen Grüns zu vermeiden.


 
Wie unterscheiden sich die Erwartungen und Anforderungen von Kunden in Großbritannien und Südtirol?

Kunden sowie Projekte sind immer Neuland und einzigartig und es ist dabei toll, wenn Leidenschaft für Design, Nachhaltigkeit, sowie Ambition geteilt werden kann.


 
Was ist Ihnen an Ihrem Job wichtig?


Kreativität, Innovation, Leidenschaft und Neugier.


 
Wie oft pendeln Sie persönlich? Welche Rolle spielen moderne Kommunikationsmittel in Ihrem Arbeitsalltag?


Moderne Kommunikationsmittel haben das Zusammenarbeiten - speziell im Ausland - stark vereinfacht und das Pendeln reduziert. Je nach Projektstadien pendle ich momentan zwischen Südtirol, London und Spanien. Wenn möglich schaltet man jedoch auch gerne mal ab.
 


Welchen Ratschlag würden Sie einer jungen Südtiroler Architekturstudentin mit auf den Weg geben?

Erfahrung im Ausland ist wesenhaft - sie öffnet viele Perspektiven und verbindet mit Menschen aus aller Welt.


 

Was schätzen Sie am meisten an Ihrer Heimat im Pustertal?

Die Ruhe der Natur und die wunderbare Landschaft.


Interview: Alexander Walzl

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