„Viele glauben nicht, welch’ harte Arbeit jenseits der Bühne stattfindet.“
Die Meranerin Martina Montanari ist nicht nur diplomierte Pianistin und Dirigentin, sondern auch Kulturmanagerin. Im Südstern Interview erzählt sie von der Faszination des Dirigierens, den derzeitigen Herausforderungen im Kultursektor und ihrem kürzlich gegründeten Kulturverein „musica et theatrum“.
Auf Ihrem LinkedIn-Profil zitieren Sie Beate Böttner: „Kunst erschaffen ist meist harte Arbeit und bestenfalls immer Vergnügen.“ Welche Bedeutung hat dieses Zitat für Sie?
Auf dieses Zitat bin ich zufällig im Internet gestoßen und es hat mich nicht mehr losgelassen, da es mir aus der Seele spricht: Ich habe ihre Aussage weniger auf das künstlerische Werk bezogen als auf die Organisation von Kunst. Viele glauben nicht, welch’ harte Arbeit jenseits der Bühne stattfindet, damit es überhaupt erst zu einer kulturellen/künstlerischen Veranstaltung kommen kann. Und trotzdem ist es jedes Mal nach vollbrachter Arbeit eine Genugtuung, vom Publikum aus ein Konzert zu bewundern – wohl wissend, dass man als Organisator wesentlich zum Gelingen des Abends beigetragen hat.
Der Goldene Saal des Musikvereins dürfte vielen Südsternen durch das jährlich hier stattfindende Neujahrskonzert mit den Wiener Philharmonikern bekannt sein: Wie würden Sie die Atmosphäre als Konzertbesucherin beschreiben?
Obwohl ich regelmäßig Konzerte im Goldenen Saal besuche, war ich noch nie beim Neujahrskonzert selbst – die begehrten Karten hierfür werden ja im Jänner des Vorjahres immer verlost. Aber auch abseits des Neujahrskonzerts finden fast täglich (oft auch mehrmals täglich) verschiedenste Veranstaltungen dort statt, vom großen Orchesterkonzert zum Solistenkonzert bis hin zu Liederabenden oder gar Orgelrezitalen. Der Saal ist 1870 nach dem sogenannten Schuhschachtelprinzip errichtet worden – inspiriert von den Idealen der griechischen Antike. Der Klang kann sich deshalb so regelmäßig verbreiten – obwohl es viele „Hörplätze“ mit eingeschränkter Sicht gibt, ist die Akustik im ganzen Saal optimal, sogar am Orgelbalkon oder bei den Stehplätzen.
2014 wurde das 10-jährige Jubiläum der Vier Neuen Säle des Wiener Musikvereins gefeiert: Durch welche Merkmale zeichnen sich die Konzert- und Probesäle aus?
Die Säle wurden ursprünglich als reine „Probensäle“ konzipiert, da man wieder mehr Proben im Haus haben wollte (Philharmoniker, Symphoniker, Tonkünstler Orchester) und diese nicht alle aus Platzmangel auslagern wollte. Die Säle wurden nach den dort dominanten Bausubstanzen benannt, das heißt, es gibt einen Gläsernen, einen Metallenen, einen Hölzernen und einen Steinernen Saal. Der Gläserne Saal wurde zum Beispiel architektonisch an die Bühnenfläche des Goldenen Saals angelehnt (was Maße und Stufen betrifft). Man kann sich also schon während der Probe auf die Platz- und Klangsituation (die durch spezielle Glasplatten nachgeahmt werden kann) während des Konzerts im Großen Saal einstellen. Durch die gegebene gute Akustik eignet sich der Gläserne Saal (der größte der Neuen) auch für kleiner besetzte Konzerte wie Streichquartettabende, Kammermusik, Liederabende oder Rezitationsabende. Die anderen Säle werden entweder für Kinderkonzerte (Metallener), als Pausenraum (Hölzerner) oder als Konferenzraum (Steinerner) gerne verwendet. Jährlich finden also mittlerweile über 200 Konzerte und Eigenveranstaltungen, zahlreiche Saal-Vermietungen sowie über 1.000 Proben in den Vier Neuen Sälen statt.
Welche Anforderungen werden an Sie als Kulturmanagerin gestellt?
Konkret kümmere ich mich im Künstlerischen Betriebsbüro der Vier Neuen Säle als Assistentin um die Betreuung der Künstler (vom Vertrag bis zur Honorarausstellung), um die Probeneinteilung, um Drucksorten wie Plakate, Inserate und Flyer oder auch um den Newsletter. Es ist also in vielen Bereichen Wissen gefragt: grafische Kenntnisse, redaktionelle Fertigkeiten (Verfassen von Ankündigungstexten), Steuer- und Vertragsrecht, aber auch geschickte Umgangsformen mit teils ‚schwierigen’ Künstlern.
Museen schließen, Theater werden stillgelegt: Kleinere Kultureinrichtungen haben es besonders schwer: Mit welchen Initiativen können Kulturmanager/Innen frühzeitig dagegenwirken?
Das stimmt tatsächlich, trotzdem versuche ich zum Beispiel mit meinem vor kurzem gegründeten Kulturverein „musica et theatrum“, der sich vor allem auf kleine, einmalige Projekte konzentriert, bestimmte Nischen zu nutzen. Die Stadt Wien fördert solche Projekte (z.B. Lieder- und Arienabende), zudem gibt es heutzutage viele Wege, mit einem kleinen Budget viel Publikum zu erreichen (soziale Netzwerke, Online-Druckereien, Kooperationen). Wichtig ist, sich nicht entmutigen zu lassen! Schlimmer als den immer größer werdenden Sparzwang in den Kultureinrichtungen finde ich das nachlassende Interesse beim jungen Publikum an kulturellen Abendveranstaltungen, das ich auch in meinem Freundes- und Bekanntenkreis beobachten kann.
Sie sind diplomierte Pianistin und Dirigentin und haben zu Schulzeiten Südtirol beim österreichischen Bundeswettbewerb der Chemieolympiade vertreten: Wo sehen Sie Parallelen zwischen Musik, Kunst und Wissenschaft?
Auch wenn die Chemie nun (leider) in meinem Leben kaum mehr eine Rolle spielt, habe ich während meiner Oberschulzeit doch einiges gelernt: die präzise Arbeitsweise, einen gewissen Pragmatismus und durch die Wettbewerbe (sei es in der Chemie als auch in der Musik) den Umgang mit starkem Konkurrenzdruck. Also sagen wir: Die Naturwissenschaften haben mich die Arbeitstechniken gelehrt, die künstlerische Tätigkeit (die leider auch nicht mehr im Vordergrund steht) eher die Einschätzung von Qualität, Talent und Besonderheit einer künstlerischen Leistung. Beide Erfahrungen sind mir in meinem jetzigen Leben als Kulturmanagerin von großer Hilfe.
Dirigenten gelten oft als Stars des klassischen Musikbetriebs: Wie gelingt es Ihnen, Ihren Charakter in die Musik einzubringen? Haben Sie ein Vorbild?
Ein Dirigent scheint zwar in erster Reihe zu stehen, ist aber dennoch vom Orchester zwangsläufig abhängig. Schon in der ersten Unterrichtsstunde wurde uns folgende Geschichte nahegelegt: Ein Dirigent schimpft immer mehr über den Klang des Orchesters, bis dieses einmal komplett den Einsatz verweigert. Der Konzertmeister erklärt dem Dirigenten: "Sehen Sie, so klingt ein Taktstock!" Deshalb glaube ich, immer eine kooperative Dirigentin gewesen zu sein, die sicher nicht ständig im Vordergrund stehen wollte. Zu Studienzeiten haben wir gemeinsam mit einem Studentenorchester einfache Werke wie frühe Haydn- oder Schubertsymphonien einstudiert. Für mich hatte das Dirigentenstudium eher den Sinn, ein orchestrales Werk wirklich genau kennenzulernen und einen umfassenderen Überblick über große Werke zu bekommen, weniger, um später einen Dirigentenberuf zu ergreifen, was auch bei weitaus talentierteren Kollegen heutzutage eine große Herausforderung ist. Als Vorbilder bei den Frauen gelten für mich die große Simone Young und die beiden jungen Dirigentinnen Marie Jacquot und Marta Gardolińska, bei den Männern zurzeit wohl Philippe Jordan und Franz Welser-Möst. Bisher habe ich nur Erfahrungen mit Studentenorchestern gesammelt, was aber für mich persönlich viel wichtiger war, denn hier ist das Handwerk des Dirigenten wirklich gefragt, denn ein Weltorchester „rennt von alleine“.
Welche Werke wurden in Sälen des Wiener Musikvereins uraufgeführt?
Eine ganze Menge! Zum Beispiel etliche Symphonien von Anton Bruckner, einige Lieder von Gustav Mahler, verschiedene Werke von Arnold Schönberg und Alban Berg und natürlich zahlreiche Walzer und Polkas von Johann, Josef und Eduard Strauß. Auch heute noch werden laufend Uraufführungen geboten, etwa von Friedrich Cerha, Kurt Schwertsik oder Iván Eröd.
Gibt es eine Anekdote, die Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben ist?
Jetzt erzähl‘ ich wieder einen Dirigentenwitz, der im Laufe meines Dirigentenstudiums immer wieder vorkam und auch immer wieder gern in Orchestergräben erzählt wird, weil er die schwierigen Charaktereigenschaften und manche Überheblichkeit von Dirigenten humorvoll zum Ausdruck bringt: Karl Böhm, Furtwängler und Karajan streiten sich, wer der beste Dirigent für Mozart ist. Sagt Furtwängler: "Schauen Sie sich die Kritiken an: Alles sagt, ich sei der beste Mozart-Dirigent." Böhm fährt ihn an: "Das kann nicht sein! Mir ist im Traum der liebe Gott persönlich erschienen und hat gesagt: "Du bist der beste Dirigent für Mozart." Springt Karajan auf und faucht: "Was?! Das soll ich gesagt haben?!“
Auch in Südtirol versucht man musikalische Talente mit Initiativen wie dem Jugendsinfonieorchester Südtirol zu fördern. Welche Programme finden Sie besonders lobenswert und wo besteht noch Ausbaubedarf?
Erstens ist das Musikschulwesen an sich meiner Meinung nach sehr lobenswert und qualitativ hochwertig und kaum vergleichbar mit jenem in anderen Regionen Italiens. Ich war von der zweiten Volksschulklasse bis zur Matura stets mehrmals pro Woche dort. Ich finde es gut, dass auch das Konservatorium Bozen eine neue, offenere Richtung eingeschlagen hat. Auch vom Jugendsymphonieorchester habe ich bisher nur Gutes gehört, aber ich lebe ja schon seit fast 10 Jahren nicht mehr in Südtirol und bekomme die kulturellen Aktivitäten dort nur mehr am Rande mit.
Welche Themen und Projekte haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?
Vorgenommen habe ich mir Vieles, es hängt aber auch viel davon ab, wie lange die mageren Jahre in der Kultur noch andauern und wo ich meinen Lebensmittelpunkt in Zukunft haben werde. In den nächsten Jahren plane ich den Abschluss meiner Dissertation, die Gründung einer Kulturmanagement-Agentur und viele einzelne, kleinere Konzertprojekte, die mir am Herzen liegen.
Was wünschen Sie sich am meisten für Südtirol?
Ich wünsche mir, dass der Kultursektor trotz Krise seinen (schon recht unterrepräsentierten) Stand verteidigen kann und dass in den kommenden Jahren vielleicht auch für Südtirol neue Kulturformate wie Opern- und Operettenproduktionen in die Täler einziehen können.
Interview: Alexander Walzl