Welche Auswirkungen hat das "Sicherheitsdekret Salvini" auf die im Ausland lebenden Südtiroler?
Seit dem 4. Dezember 2018 finden die mit dem sog. "Sicherheitsdekret" (DL 113/2018) abgeänderten Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung Anwendung.
Die Bestimmung des neu eingefügten Absatz 1bis des Artikels 93 der StVO verbietet es demjenigen, der in Italien seit mehr als 60 Tagen ansässig ist, ein Fahrzeug zu lenken, welches im Ausland zugelassen ist, also über ein ausländisches Kennzeichen verfügt. (È vietato, a chi ha stabilito la residenza in Italia da oltre sessanta giorni, circolare con un veicolo immatricolato all'estero).
Der Begriff "residenza" wird üblicherweise als meldeamtlicher Wohnsitz (residenza anagrafica) verstanden und angewendet.
Alle Südtiroler, die zwar ihren Hauptwohnsitz außerhalb Italiens haben, aber nach wie vor einen meldeamtlichen Wohnsitz in Italien haben, erfüllen deshalb die von der Gesetzgebung vorgesehene Voraussetzung - sie sind (seit mehr als 60 Tagen) in Italien wohnhaft, sodass es ihnen untersagt ist, ein Fahrzeug mit ausländischem Kennzeichen zu lenken (unabhängig davon, wer der Eigentümer/Fahrzeughalter ist).
Oft sind sie jedoch aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen des Staates, in welchem sie ihren Hauptwohnsitz haben, verpflichtet, das Fahrzeug dort zuzulassen (so sieht es z. B. das KFG in Österreich vor) bzw. es ist für sie auf jeden Fall vorteilhaft.
Bei einer Verkehrskontrolle in Italien wird der Fahrzeuglenker üblicherweise von den Ordnungshütern aufgefordert, sich auszuweisen und die Fahrzeugpapiere auszuhändigen.
In der italienischen Identitätskarte ist der Wohnsitz eingetragen, und zwar jener zum Zeitpunkt der Ausstellung des Ausweises (Nachträgliche Wohnsitzänderungen sind unerheblich und werden in der Identitätskarte nicht vermerkt).
Die Verwendung des Ausweises bis zu seiner Fälligkeit ist vollkommen legitim (auch, wenn der Wohnsitz in der Wohnsitz in der Zwischenzeit ein anderer als der angegebene ist).
Die Ordnungshüter scheinen den Wohnsitzbescheinigungen, ausgestellt von den Ämtern im Ausland, aus welchen hervorgeht, dass sich der Hauptwohnsitz des Fahrzeuglenker ebendort befindet, keine Beachtung zu schenken. Für sie ist der meldeamtliche Wohnsitz in Italien ausschlaggebend.
Den Südtirolern, die im AIRE eingetragen sind und in deren Identitätskarte noch der italienische Wohnsitz angeführt ist, wird empfohlen, eine amtliche Bestätigung mit sich zu führen, aus welcher hervorgeht, dass sie in diesem Register eingetragen sind.
Die Ordnungshüter werden demnach das Vorhaltungsprotokoll ausstellen und die Verletzung der genannten Bestimmung mit einer Geldbuße von 712,00 Euro (bis 2.848,00 Euro) ahnden. Gemäß erster Erfahrungsberichter bestehen sie auf die unmittelbare Bezahlung der Strafe, was einerseits einen Abschlag von 30% (498,00 Euro statt 712,00 Euro) mit sich bringt, aber andererseits jede Anfechtungsmöglichkeit ausschließt.
Gleichzeitig wird die verwaltungsbehördliche Stilllegung des Fahrzeuges verfügt, welches vom Fahrzeughalter an einen der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Platz überstellt werden muss. Die Fahrzeugpapiere werden eingezogen und an da Kraftfahrzeugamt übermittelt.
Der Fahrzeuglenker hat nun die Möglichkeit, das Fahrzeug ins Ausland zu überstellen - dafür können ein provisorischer Fahrzeugbrief und ein provisorisches Kennzeichen beantragt werden. Die ausländischen Kennzeichen und die Fahrzeugpapiere werden an die zuständige ausländische Behörde übermittelt. Andernfalls muss das Fahrzeug innerhalb von 180 Tagen in Italien zugelassen werden. Widrigenfalls droht nach Ablauf der Frist die Entziehung des Fahrzeuges.
Ausgenommen von dieser Regelung sind Fahrzeuge, die gemietet oder Gegenstand eines Leasingvertrages oder einer Leihe (an einen Mitarbeiter) sind, wobei es sich beim Vertragspartner um ein Unternehmen handeln muss, das seinen Sitz in der EU oder m EWR (die Schweiz hat das Abkommen nicht ratifiziert und ist deshalb nicht Mitglied) hat und über keinen Nebensitz/effektiven Sitz in Italien verfügt.
Diesbezüglich muss ein Dokument mit sicherem Datum (data certa) und vom Inhaber des Fahrzeuges unterzeichnet, mitgeführt werden, also eine amtliche/notarielle Bestätigung. Liegen die Unterlagen wie vorgeschrieben nicht vor, wird vermutet, dass der Lenker die Verfügbarkeit des Fahrzeuges hat - mit den entsprechenden Folgen.
Zusammengefasst kann man sagen, dass dieses Dekret nicht ausgereift ist und vor allem in Grenzregionen große Anwendungsschwierigkeiten mit sich bringt. Laut Medienberichten scheint der Quästor in Bozen zurzeit eine recht unnachgiebige Haltung einzunehmen, die Südtiroler Parlamentarier sollen sich in Rom aber bereits um Ausnahmeregelungen bemühen und in Brüssel ist Herr Dr. Dorfmann aktiv geworden.
Die Geldstrafe muss nicht sofort bezahlt werden und man kann das Vorhaltungsprotokoll anfechten, innerhalb von 30 Tagen beim Friedensgericht bzw. innerhalb von 60 Tagen bei der Präfektur - leider liegen noch keine Präzedenzurteile vor.
Durch die Eintragung ins AIRE (online über die Seite des Konsulats) entzieht man sich zwar dem Geltungsbereich der genannten Bestimmung, man sollte aber nicht unüberlegt handeln, da der Verlust des Wohnsitzes in Südtirol/Italien auch Nachteile für andere Lebenssituationen bringen kann.
Rechtsanwältin Dr. Doris Pescosta
Kastelruth, Wegscheidstraße 8
(Mutter eines "Südtirolers im Ausland")
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