„Freitag ist mein Werkstatt-Tag”

Donnerstag, 27.10.2022
Sie bewegt sich in zwei auf den ersten Blick ganz unterschiedlichen Welten. Als Architektin denkt Mara Irsara Innenräume vor allem aus der Sicht der Menschen. Als Schmuckdesignerin und Künstlerin baut sie Stücke, die das Label individuell auch wirklich verdienen. Wer genauer hinschaut, entdeckt dabei eine Formensprache, die zwischen beiden Bereichen fließend verläuft und immer wieder Kunst aufblitzen lässt. Wie sie beide Bereiche unter einen Hut bringt, warum ihre Stücke nichts für die Stange sind und welchen Tipps sie für Südsterne in London hat – hier geht’s zum ganzen Interview.

 

 

Die Mutter Künstlerin und Kunstlehrerin, der Vater Architekt, der Onkel Gilbert Teil des weltbekannten Duos Gilbert & George: Wie sehr hat dich dieses kreative Umfeld in der Kindheit geprägt?

Mara: Das war immer ein ganz selbstverständlicher Teil von uns. Wenn unser Papa am Abend Stoff- oder Farbproben für ein Projekt mitbrachte, haben wir uns das zusammen angeschaut. Im Sommer habe ich recht früh angefangen, im Büro mitzuhelfen. Recht bald habe ich auch selbst gezeichnet und bin mit auf die Baustelle. Das ist ein Bereich, der mich immer schon interessiert hat. Was auch immer ich auf dem Boden der Baustellen finden konnte, von Schrauben zu Metallteilen, das hat mich gefesselt. Ich wollte wissen, wie das zusammenpasst, wie es aufgebaut ist. Der Weg zur Architektur stand, rückblickend betrachtet, irgendwie vor mir. 

 

Du bist heute vor allem als Innenarchitektin tätig. Eine schwierige Entscheidung zwischen innen und außen, zwischen Hard- und Software?

Ich bin während meines Studiums zwischen Urbanistik und Innenarchitektur geschwankt und habe mich mehr durch Zufall in London dann auf letztere spezialisiert. Es gibt nicht immer diese fixe Idee, welcher Bereich es einmal sein soll. Gerade die Architektur ist vielseitig, es gibt also viele Elemente und das hat mich immer schon angesprochen. 

 

Was ist für dich entscheidend beim Herangehen an neue Projekte?

Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Es geht um die Frage, wie die Architektur helfen kann, dass Menschen sich wohlfühlen, dass ein Gebäude einen Sinn ergibt. Es kann natürlich manchmal wie ein Klischee klingen, wie Architektur auf einzelne Menschen und die Gemeinschaft einwirken kann. Aber es ist der harte Kern, auf den wir abzielen und bei Ab Rogers Design hinarbeiten. Wichtig ist auch das Konzept, Räume von innen nach außen zu denken. Man fängt also mit dem gewünschten Raum oder Modul an und darauf aufbauend wird ergänzt. Man plant “inside out”, von innen nach außen. In der Architektur denkt man immer im Team. Deshalb bin ich es gewohnt, im Plural zu sprechen. Man muss auch den Dialog mit den Kundinnen und Kunden suchen, um ein gutes Projekt zu machen. Wir sagen immer: Ein Projekt kann nur so gut sein, wie der Kunde selbst. 

 

Welche Projekte erfüllen dich besonders? 

Ist der Architekt gefordert und kann die eigene Kreativität ins Spiel bringen, ist das besonders wertvoll. Vor etwa einem Jahr haben wir ein Projekt abgeschlossen, das Maggie’s Centre in London. Es befindet sich neben dem Royal Marsden Krankenhaus und ist eine Anlaufstelle für Krebspatienten. Wir haben das Projekt mit einem Landschaftsarchitekten zusammen verwirklicht. Wer da hingeht, taucht zuerst ein in eine schöne Landschaft mit Blumen und Pflanzen. Dieser Ort ist angelegt wie eine Oase. Und dann kommt das Gebäude, in dem es zentral einen großen Tisch gibt, an dem alle zusammen essen und ihre Zeit verbringen. Krebspatienten sollen das Centre betreten und für einen Moment alles vergessen. In solchen Projekten ist Farbe drin, hier kannst du etwas angreifen, die Faszination und den menschlichen Maßstab von Räumen aufnehmen. Darum geht es ja: Räume gemütlich zu machen, aber dennoch interessant; einen Dialog zwischen den Menschen, die ihn nutzen, anzustoßen und Fragen zu beantworten wie: Wie unterteilt man die Räume? Was ist der lebende Kern des Gebäudes? Welche Farben gibt man rein und was bewirken sie? Solche Gedanken treiben uns an. 

 

Das klingt grundlegend und einfach…

… und wird doch oft vergessen. Alle Architekten müssen sich die Frage stellen, wo sie sich selbst wohlfühlen würden und dadurch zum Punkt gelangen, einen Raum so persönlich wie möglich zu gestalten. Im vergangenen Jahr hat unser Büro den Wolfson Economics Price gewonnen. Das Thema war, wie Gesundheitsvorsorge radikal verbessert werden kann, und wir haben einen Vorschlag präsentiert, in dem das Gebäude auf dem Weg zur Genesung zum dritten Pfleger wird. Unser Konzept Gebäude humaner zu planen, hat die Jury überzeugt. Oft braucht es ja nicht viel. Das sind instinktive Sachen, ein großes Fenster, vor dem man mit einem Buch liegen kann. Niemand erfindet immer alles neu, es braucht nur gute Gedanken und eine klare Vorstellung.

 

 

 

Krankheit und Tod werden in unserer Gesellschaft oft verdrängt. Ändert sich die Herangehensweise, wenn man persönlich damit in Berührung kommt?

Ich denke, es lässt einen besser verstehen, was es heißt und gibt Motivation, um es besser zu machen. Wenn man solche Projekte betreut, ist Empathie eine Grundvoraussetzung. Aber als ich es in meinem Umfeld selbst erlebt habe, hat mir das noch mehr gezeigt, was es im Detail braucht und wofür man das macht. Das Maggie’s Center beruht auf Spenden. Bis so ein Projekt umgesetzt werden kann, dauert es deshalb oft lange. Mein Beitrag zum Projekt war das Gebäude als Schmuckstück in Silber anzufertigen, das alle Sponsoren als Brosche oder Kette bekommen haben. 

 

Das Gebäude als Schmuckstück: Besser könnten die zwei Welten, in denen du dich bewegst, nicht miteinander verschmelzen. Wann fing dein Interesse für Schmuck an?

Schon mit sieben Jahren habe ich meine Mama gefragt, ob sie mich zum Gabrielli in der Brunecker Stadtgasse bringen kann, weil ich Goldschmuck machen wollte. Sie hat immer großen Schmuck getragen, vielleicht hat das instinktiv auch mein Interesse geweckt. Wenn sie neue Techniken für die Schule ausprobiert hat, war ich das Versuchskaninchen. Ich habe sehr früh emailliert und mit Farbsprays hantiert. Eine Barriere nach dem Motto: Oh, das kann ich nicht, die gab es nie. So ist es bis heute, ich mache einfach und wenn es nicht geht, dann halt nicht. 

 

Kam das Goldschmiedehandwerk spontan in dein Leben? 

Ich hatte den Wunsch, wieder mehr mit den Händen zu machen. Deshalb beschloss ich, ein paar Ausbildungen zu machen und letztlich auch einen Master an der Sir John Cass Universität. Das war ein großer Schritt, weil ich dafür meine Tage in der Arbeit von fünf auf vier verringert habe. Das habe ich danach auch so beibehalten. Freitag ist mein Werkstatt-Tag. 

 

Architektur und Schmuck…

… das sind meine zwei parallelen Welten. Die eine ernährt die andere und ich versuche, dass beide immer hungrig sind, nur so kann ich mich weiterentwickeln. Natürlich könnte ich mir das Leben viel einfacher machen, aber so ist es, wenn man eine Leidenschaft hat. Ohne Schweiß kein Preis. 

 

Dein Schmuck spiegelt die Liebe für geometrische Formen wider. Was fasziniert dich daran?

Antike und primitive Kulturen und ihre einfache Formensprache haben mich immer schon angezogen. Sie ist so ausdrucksvoll. Von Picasso bis Brancusi und Derain, so viele Künstler haben auf diese Formensprache zurückgegriffen. Sie haben sie verinnerlicht, verdaut und dann in ihrer eigenen Form wieder ausgespuckt. Ich glaube, dass mein Architekturstudium geholfen hat, diese Analyse von einer geometrischen Formensprache zu verinnerlichen. Das sieht man wohl auch in meinem Schmuck. Ich werde oft gefragt, ob ich Architektin bin. Als Zaha Hadid vor einigen Jahren ihrer Lieblingsstücke der Goldsmith’s Fair ausgewählt hat, war auch mein Ring dabei. Mein Ziel ist, die Formensprache weiter zu verstärken und die Grundformen der Geometrie auf meine Art zu verwandeln. Das kann passieren, indem ich sie metamorphisch verändere, etwas drehe, auf den Kopf stelle, dazu addiere oder wegnehme. Spielerisch schaffen steht immer im Mittelpunkt!

Portrait photo: © Michael Depasquale

Maggies Centre Photos: © John Short

 

Je länger man deinen Schmuck betrachtet, umso mehr wird er zur Kunst. 

Mein Ziel habe ich damit erreicht. Ich möchte mit meinem Schmuck kleine eigenständige Welten schaffen, die man auf unterschiedliche Art arrangieren oder sogar zur Ansicht ausstellen kann. Ich nenne sie ja meine arroganten Ringe oder Teile, weil sie ihre eigene Identität haben. Ein Schmuckstück ist etwas, mit dem man einen dynamischen Dialog aufbauen kann. Viele meiner Teile bewegen sich und genau das will ich. Die Arroganz der Teile soll fast ein bisschen auf die Nerven gehen, die Trägerin, der Träger, soll merken, dass da etwas ist.  

 

Du arbeitest vor allem mit Gold und Silber. Passen die beiden zusammen?

Ich liebe Gold, nicht nur als Farbe, sondern auch als Rohstoff. Gefallen tun mir beide und ich finde auch, dass man sie mixen kann. Bei meiner Arbeit treffe ich eine ganz spezifische Auswahl. Ich arbeite zum Beispiel weniger mit Steinen, weil mich das nicht so interessiert. Bei Schmuck mit Steinen geht es ja oft darum, wie diese gezeigt werden, wie sie gefasst sind. Für mich zählt aber mehr die Form, es geht um einen kreativen Prozess. Farbe ist sehr wichtig, aber es kann nicht irgendeine sein, sie kann auch nicht irgendwie angewandt werden. Es muss alles in einer bestimmten Weise passieren. Eine meiner Ketten kann man zum Beispiel in vier verschiedenen Kombinationen tragen, mal farbig, mal nur das Metal, mal rund, mal kantig. Sie ist außen hart und wertvoll, innen ist es weich und bunt. Da habe ich ziemlich klare Ideen, was mir gefällt und nicht. Meine Ästhetik ist nicht für jeden gemacht. Ich bin mir bewusst, dass ich keinen kommerziellen Schmuck herstelle. Entweder er gefällt oder nicht. 

 

Welche Frage magst du gar nicht?

Woher kommt deine Inspiration? Das ist einfach schwer zu definieren. Es läuft auch chaotisch ab, aber meine Neugier ist immer da. Manche Idee geht in den Kopf hinein, da bleibt sie in einer kleinen Schachtel und da hole ich sie irgendwann wieder raus. Das läuft alles sehr fließend ab, fast natürlich. Oft greife ich dann für Architektur und Schmuck aus dem gleichen Topf. Eine Woche mache ich ein Schmuckstück und wenn ich später einen Türknopf gestalte, denke ich daran. Aber man muss die Gedanken schon irgendwie festhalten, sonst sind sie weg. Als Kind hatte ich ein kleines Skizzenbuch neben dem Bett liegen. Wenn ich nicht einschlafen konnte, habe ich Schmuck gezeichnet. Da war ich 7 Jahre alt und schon sehr organisiert: Ohrringe, Ketten, Armbänder, sogar an Sets habe ich gedacht (lacht).  

 

Dein Onkel Gilbert ist in London ein Star. 

Als ich hierher gezogen bin, hat mich das selbst überrascht. Alle meine Kollegen und Freunde kannten Gilbert & George. Sie sind ein Teil von London und haben ein großes, junges Publikum. Für mich war es ganz normal, sie in der Familie zu haben. 

 

Photos: © Michael Depasquale

 

Was schätzt du an London?

London steht nie still, die Stadt erfindet sich immer wieder neu, die Vielfalt ist einfach unglaublich und das Angebot an kulturellen Aktivitäten kaum zu übertreffen. Am Anfang hab ich jede Ecke der Stadt erkundet. Man muss nicht weit gehen und sieht wieder eine völlig andere Realität. Mit der Zeit hat sich dann meine Stadt in der Stadt herauskristallisiert. Ich lebe und bewege mich vor allem im Nordosten von London, in Hackney und Dalston. Hier bin ich mit dem Rad in 15 Minuten überall, mein normales Leben spielt sich also in einem Umkreis ab, so groß wie in meiner Jugend in Bruneck. Ich kann mit dem Rad zur Arbeit fahren, das ist natürlich Glück. Denn eine Großstadt kann zehren, weil alles nicht nur größer, sondern auch komplizierter ist. 

 

Dein London-Tipp für Südsterne?

Das Barbican Center ist architektonisch interessant und bietet ein riesiges kulturelles Angebot – von Kino bis Konzerten, Ausstellungen bis Lesungen.

https://www.barbican.org.uk/ 

Im Geffrye Museum kann man durch Räume verschiedener Epochen und Stile spazieren und sieht die  Entwicklung des “home” vom 16. Jahrhundert bis heute.

https://www.museumofthehome.org.uk/

Den Classic Car Boot Sale in Kings Cross gibt es nur an zwei Wochenenden im Jahr: Hier sieht man Vintage Autos, Motorräder und vieles mehr, das alles mit einem Flohmarkt und einem Double Decker Bus mit DJs und Besuchern verbunden, die in ihrem besten und exzentrischsten Outfit auftauchen: einfach toll. 

https://www.kingscross.co.uk/event/classic-car-boot-sale

Wer einen vertieften Einblick in “East London” haben will, kann Chatsworth Market erkunden, bei Pellicci in Bethnal Green vorbeischauen und in Dalston Kingsland in einem der vielen türkischen Restaurants abendessen. 

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