„Wir haben als Individuen immer Spielraum, Dinge zu verändern”

Dienstag, 26.09.2023
COO Automotive Excellence Südtirol – die Berufsbezeichnung von Südstern Nora Dejaco klingt auf den ersten Blick gleich technisch wie die Branche, in der sie sich bewegt. Doch am Ende geht es in der Aufgabe der operativen Geschäftsführerin des Netzwerks der Automobilzulieferer im Automotive-Sektor in Südtirol um Menschen und die Frage, wie man sie zusammen- und weiterbringt. Persönliches Wachstum, das ist auch eines der Ziele von Thrive. Das Herzensprojekt von Dejaco will Frauen vernetzen und Inspiration für Entscheidungen aufzeigen. Am 7. Oktober kommt Thrive mit einem großen Festival mit Workshops, Konzerten, Gesprächsrunden, Coachings und einem Start-up Pitch in Bruneck zum ersten Mal zu den Menschen.

 

 

Nora, bei Automotive Excellence Südtirol bist du Clustermanagerin. Was heißt das genau?

Mein Projektauftrag ist der einer operativen Geschäftsführung, der Beruf wird aber gern auch „Clustermanagement“ genannt. Es ist eine Funktion, die Kompetenzen im Bereich „Ökosystem Engagement“ braucht, darüber hinaus aber auch eine Mischung aus einer Managementrolle, in der zum Beispiel das Monitoring, Vorausplanung oder auch Reporting von Budgets und Projekten gegenüber dem Board of Directors in meinen Bereich fallen. Meine Rolle macht auch aus, dass ich operativ viele Bereiche und Projekte anstoße und begleiten darf und deshalb auch in ganz pragmatische Dinge wie Schulungen oder gemeinsame Forschungs- und Entwicklungsprojekte mit der Universität aktiv eingebunden bin. Einer meiner Lieblingsbereiche ist das Communitybuilding – vor allem auch im Austausch mit jungen Personen. Das finde ich hier im NOI Techpark in Bruneck eine besonders wichtige Aufgabe. Ziel des Automotive Netzwerks ist ja nicht nur, Innovation und Nachhaltigkeit in der Produktion kontinuierlich für Unternehmen in- und außerhalb des Netzwerkes voranzutreiben, sondern auch dazu beizutragen, dass der Standort das Interesse von jungen Menschen an Technik ankurbelt. 

 

In Zeiten von Klimakrise und -wandel ist der Automotive-Sektor in besonderem Maße von Umwälzungen betroffen. Bekommen Sie das Ringen um Innovation mit?

Auf diese Frage sollten am besten die Unternehmen selbst Antwort geben – ich kann nur sagen, was ich durch meinen Beruf mitbekomme: Was diese Unternehmen sehr speziell macht ist, dass sie wissen, dass sie für den Standort relevant sind, und sie nehmen diese Verantwortung aktiv wahr. Deshalb ist es bedeutsam, wie sie sich in Zukunft entwickeln werden. Wenn man Automotive hört, denkt man in erster Linie an die Produkte; was ich beobachte, ist, dass an die Personen gedacht wird. Und was die Zukunft betrifft: Wir stecken mitten in großen globalen Veränderungen und können alle einen Beitrag dazu leisten, wie die Welt in Zukunft aussehen wird.

 

Am 7. Oktober findet in Bruneck das Thrive-Festival statt. Du bist Ideengeberin des Vereins, der dahintersteht. Wie ist es zu Thrive gekommen? 

Vor ein paar Jahren, bin ich in einer Situation gewesen, in der ich mich von meinen als Frau vielleicht ansozialisierten Zweifeln habe einschüchtern lassen und habe eine Zeit lang geglaubt, ich sei nicht gut genug. Es war eine komplexe Situation, in der ich mir die Frage stellen musste: Warum passiert das und was kann ich aktiv ändern. Der Moment der Erkenntnis kam genau mit dem Begreifen dessen, dass man immer etwas ändern kann. Und dass ich okay bin wie ich bin und herausfinden wollte, wie ich mein Potenzial am Besten einsetzen kann. Zum Herauskommen aus dieser Kurzzeitkrise haben viele Personen, darunter viele Frauen beigetragen, mit denen ich heute noch in Verbindung bin. Sie haben mich gecoacht, waren mir eine Stütze und Austausch. Es geht nicht darum, etwas „reparieren“ zu müssen, sondern die eigenen Stärken zu erkennen und die eigene Haltung zu sich selbst dem Umfeld gegenüber zu ändern. Das bedeutet nicht dass wir nicht am System noch viel ändern müssen, das uns bestimmte „Biases“, also falsche Rollenbilder mitgibt. Als ich dann damit anfing, mich mit anderen Frauen darüber auszutauschen, wie toll es wäre, wenn es eine Community gäbe, deren Kern genau darauf aufbaut, die Kompetenzen und Erfahrungen der anderen zum Vorankommen zu nutzen, hat es sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Es war, als hätte ich ein Zündholz zu einem trockenen Heuhaufen geworfen. So ist es zu Thrive gekommen. 

 

Thrive bedeutet aufblühen – das Festival soll nur der Anfang von etwas Großem sein? 

Thrive ist als Verein organisiert, aber was ich spüre ist das Team: Unser erstes großes gemeinsames Projekt ist das Festival, es beweist uns gerade wie großartig die Zusammensetzung an Personen ist und wie groß die Passion. Denn es ist  ein enormer Aufwand, so etwas in der freien Zeit zu organisieren. Am Ende wollen wir ja etwas bewirken und der Start in Bruneck ist erst der Anfang. Irgendwann werden wir mit Projekten auch in anderen Landesteilen oder darüber hinaus agieren. Wir wollen zu dem Kulturwandel beitragen, den ich vorher an mir als Individuum beschrieben habe. Ich glaube, wir brauchen neben Systemkritik als Gesellschaft auch, dass sich Individuen hin zu mehr Proaktivität entwickeln. Gender Equality ist unser Dach und unser Weg dorthin ist einer, der vor allem auf Potenziale setzt. Der Verein heißt ja Thrive – Verein für Female Empowerment und Personal Growth. Also: Selbstwirksamkeit. Wir haben das Programm für das Festival so wie die Folgeprojekte auf Basis des Wissens erstellt, das wir in Umfragen gesammelt haben. Es gibt unterschiedliche Momente im Leben, wo besonders starke Veränderungen stattfinden und man sich neu orientieren möchte. Das sind die Faktoren, die uns interessieren und unser Angebot zum Beispiel beim Festival fängt das auf. 

Fotocredit: Marc Glassner

 

Zweifeln wir Frauen zu viel an uns?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das System, in dem ich aufgewachsen bin, mir da ein paar Themen mitgegeben hat. Ich würde niemals alle in eine Schublade werfen, so etwas ist am Ende auch individuell, aber einen gemeinsamen Nenner gibt es bestimmt, und hier ist absolut das System der Verursacher. Was wir tun können, ist aber das Entlernen von angelernten Denk- und Verhaltensmustern, die hinderlicher Ballast sind. Für die großen Veränderungen braucht es politische Entscheidungen und gesellschaftliches Bewusstsein. Mir ist es wichtig zu vermitteln, dass wir als Individuen immer Spielraum haben, Dinge zu verändern. 

 

Wenn Frauen andere Frauen unterstützen, kann Großartiges entstehen. Können Sie ein Beispiel machen, wo Sie das selbst erlebt haben?

Da gibt es viele Beispiele, glücklicherweise. Ich bin wie viele andere in unserer Region von vornherein privilegiert: weiß, Mitteleuropäerin, aufgewachsen in einer wohlhabenden Region. Die Biases, wie ich sie beschrieben habe, hatte ich aber trotzdem und lerne immer noch weiter. Ich habe tolle Eltern, die beide immer ihren Weg gegangen sind und mich inspiriert haben. Meine Mutter hat mir auch vorgelebt, wie sie ihr eigenes Leben und ihre Karriere gestaltet hat. In ihrer Generation gab es nur vier Frauen, die Direktorinnen waren. Da hat man sich geholfen und unterstützt. Das Bild hat mich sicher beeinflusst. Und dann in den Phasen, wo ich mit mir selbst zu kämpfen hatte, da habe ich extrem tolle Unterstützung bekommen von Personen, die bestimmte Sachen bereits erlebt haben. Man unterschätzt, was das bewirken kann! Ich habe das Gefühl, dass auch Thrive schon jetzt eine Gemeinschaft erschaffen hat, die nicht nur mich, sondern auch andere inspiriert.

 

Wie stehst du zur Frauenquote?

Sie ist vielleicht ein gutes Tool, aber ich glaube, am Ende geht es um genauso viele andere Fragen, die mindestens ebenso wichtig sind, zum Beispiel um Geld und Gehälter, Kinderbetreuungsmöglichkeiten, um Kultur der Diversität, um Sichtbarkeit und Relevanz für die Gleichheit der Geschlechter, um Respekt voreinander. Werte, die für uns als Gesellschaft wichtig sind.

 

Das Thrive-Festival wird Sichtbarkeit erzeugen. 

Und Reibung, das tut es ja jetzt schon. Aber ohne Veränderung ändert sich auch nichts.

 

Du hast lange Zeit in Wien gelebt. Wie empfindest du das Pendeln?

Im Rhythmus von eineinhalb Wochen setze ich mich in den Zug und bin acht Stunden nach Wien unterwegs. Ich arbeite im Zug, was super funktioniert. Viele sagen, das muss anstrengend sein, ständig unterwegs zu sein. Ich empfinde es als Vorteil. Es ist ein Perspektivenwechsel, Dinge zurücklassen, anderen entgegenfahren, von Wien nach Bruneck und umgekehrt. Das bringt auch Entspanntheit, sich manchmal von einem Ort zu entfernen in ein anderes Umfeld. Die Verbindung zu Bruneck habe ich auch vorher schon nie abreißen lassen. Viele Sachen sind hier persönlicher, und die Natur ist vor der Haustür, da kann man ganz anders entspannen. Es ist superschön und das schätzt und lernt man. 

 

Die Musik war immer ein Begleiter in deinem Leben. Bleibt bei so vielen Aufgaben dafür noch Zeit?

Es muss Zeit dafür bleiben! Für innere Balance. In Wien gibt es den Schmusechor, bei dem ich seit sechseinhalb Jahren passioniertes Mitglied bin. Es ist eine Performancegruppe und viel mehr als ein Musikprojekt: Es ist ein Safe-Space, wo jede Person sein kann, wie sie ist, mit einer inspirierenden Leiterin an der Spitze, die das selbst vorlebt. Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass ich begonnen habe, mir neue Fragen zu meinen eigenen Werten zu stellen. Der Schmusechor kommt auch zum Festival. Dass sich diese beiden für mich so wichtigen Welten am 7. Oktober in Bruneck verbinden, freut mich deshalb ganz besonders. 

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