Fotocredit: Marc Glassner
Zweifeln wir Frauen zu viel an uns?
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das System, in dem ich aufgewachsen bin, mir da ein paar Themen mitgegeben hat. Ich würde niemals alle in eine Schublade werfen, so etwas ist am Ende auch individuell, aber einen gemeinsamen Nenner gibt es bestimmt, und hier ist absolut das System der Verursacher. Was wir tun können, ist aber das Entlernen von angelernten Denk- und Verhaltensmustern, die hinderlicher Ballast sind. Für die großen Veränderungen braucht es politische Entscheidungen und gesellschaftliches Bewusstsein. Mir ist es wichtig zu vermitteln, dass wir als Individuen immer Spielraum haben, Dinge zu verändern.
Wenn Frauen andere Frauen unterstützen, kann Großartiges entstehen. Können Sie ein Beispiel machen, wo Sie das selbst erlebt haben?
Da gibt es viele Beispiele, glücklicherweise. Ich bin wie viele andere in unserer Region von vornherein privilegiert: weiß, Mitteleuropäerin, aufgewachsen in einer wohlhabenden Region. Die Biases, wie ich sie beschrieben habe, hatte ich aber trotzdem und lerne immer noch weiter. Ich habe tolle Eltern, die beide immer ihren Weg gegangen sind und mich inspiriert haben. Meine Mutter hat mir auch vorgelebt, wie sie ihr eigenes Leben und ihre Karriere gestaltet hat. In ihrer Generation gab es nur vier Frauen, die Direktorinnen waren. Da hat man sich geholfen und unterstützt. Das Bild hat mich sicher beeinflusst. Und dann in den Phasen, wo ich mit mir selbst zu kämpfen hatte, da habe ich extrem tolle Unterstützung bekommen von Personen, die bestimmte Sachen bereits erlebt haben. Man unterschätzt, was das bewirken kann! Ich habe das Gefühl, dass auch Thrive schon jetzt eine Gemeinschaft erschaffen hat, die nicht nur mich, sondern auch andere inspiriert.
Wie stehst du zur Frauenquote?
Sie ist vielleicht ein gutes Tool, aber ich glaube, am Ende geht es um genauso viele andere Fragen, die mindestens ebenso wichtig sind, zum Beispiel um Geld und Gehälter, Kinderbetreuungsmöglichkeiten, um Kultur der Diversität, um Sichtbarkeit und Relevanz für die Gleichheit der Geschlechter, um Respekt voreinander. Werte, die für uns als Gesellschaft wichtig sind.
Das Thrive-Festival wird Sichtbarkeit erzeugen.
Und Reibung, das tut es ja jetzt schon. Aber ohne Veränderung ändert sich auch nichts.
Du hast lange Zeit in Wien gelebt. Wie empfindest du das Pendeln?
Im Rhythmus von eineinhalb Wochen setze ich mich in den Zug und bin acht Stunden nach Wien unterwegs. Ich arbeite im Zug, was super funktioniert. Viele sagen, das muss anstrengend sein, ständig unterwegs zu sein. Ich empfinde es als Vorteil. Es ist ein Perspektivenwechsel, Dinge zurücklassen, anderen entgegenfahren, von Wien nach Bruneck und umgekehrt. Das bringt auch Entspanntheit, sich manchmal von einem Ort zu entfernen in ein anderes Umfeld. Die Verbindung zu Bruneck habe ich auch vorher schon nie abreißen lassen. Viele Sachen sind hier persönlicher, und die Natur ist vor der Haustür, da kann man ganz anders entspannen. Es ist superschön und das schätzt und lernt man.
Die Musik war immer ein Begleiter in deinem Leben. Bleibt bei so vielen Aufgaben dafür noch Zeit?
Es muss Zeit dafür bleiben! Für innere Balance. In Wien gibt es den Schmusechor, bei dem ich seit sechseinhalb Jahren passioniertes Mitglied bin. Es ist eine Performancegruppe und viel mehr als ein Musikprojekt: Es ist ein Safe-Space, wo jede Person sein kann, wie sie ist, mit einer inspirierenden Leiterin an der Spitze, die das selbst vorlebt. Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass ich begonnen habe, mir neue Fragen zu meinen eigenen Werten zu stellen. Der Schmusechor kommt auch zum Festival. Dass sich diese beiden für mich so wichtigen Welten am 7. Oktober in Bruneck verbinden, freut mich deshalb ganz besonders.