„Langsam ist das neue Schnell”

Mittwoch, 08.05.2024
Vom Kindergärtner zum Permakulturdesigner – der Lebensweg von Otmar Kerschbaumer aus Nals: mehr als spannend. Er führte eine Kindertagesstätte, heuerte als Knecht auf einem Biohof an und ging dann nach Ecuador, wo er mit seiner Frau Brunella den Traum von Permakultur lebt. Im Job-Protokoll erzählt der 42-jährige Südstern, warum gesunde Ernährung in seiner zweiten Heimat Mangelware ist und was ihn an Permakultur so begeistert



 

„Wenn ich von meinem beruflichen Weg erzählen soll, dann könnte man ihn in zwei Teile trennen. Der erste Weg, auf den ich mich aufgemacht habe, fing mit 16 Jahren an, als ich begann, mich für Pädagogik zu interessieren. Da hatte ich schon zwei Jahre in der Gewerbeoberschule und einen Wechsel an die Geometerschule hinter mir. Irgendwie war mir das alles zu technisch. Die vielen Gespräche mit meiner Schwester, sie arbeitete als Lehrerin, haben etwas in mir angestoßen. So beschloss ich, an die LBA zu wechseln. 

Praktika gehörten dort zum Curriculum selbstverständlich dazu. Ich war in der Grundschule und habe auch in den Kindergarten hineingeschnuppert. Die Zeit dort hat mich besonders geprägt und ich beschloss, Bildungswissenschaften an der Uni Brixen zu studieren. Dass ich mit sehr kleinen Kindern arbeiten möchte, war mir schnell klar. So entschied ich mich für die Ausbildung zum Kindergärtner. 

Ja, ich weiß: Wenn ein Mann sagt, dass er als Kindergärtner arbeitet, dann reagieren die Leute meistens verwundert. Ein Mann in diesem Beruf? Nicht nur selten (wir waren damals beim Studium zu dritt), sondern für viele auch wirklich gewöhnungsbedürftig. Bei jedem Praktikum war ich der Exot. Immerzu hörte ich, dass es unbedingt Männer im Kindergarten brauche, aber als wir dann auch wirklich da waren, nicht nur für ein paar Wochen als Teil eines Praktikums, stieß es nicht auf so viel Gegenliebe. Ich arbeitete gerade einmal ein halbes Jahr im Landesdienst, dann schmiss ich hin. Ich weiß, das ist nicht unbedingt das, was die anderen tun… 



Die Arbeit mit Kindern aber wollte ich (noch) nicht aufgeben. Ich fing bei der Sozialgenossenschaft Supertoll in Bozen an, meine erste Stelle im Privatbereich. Später dann bekam ich das Angebot, im Krankenhaus Meran als pädagogischer Leiter des Kinderzentrums Viva! zu arbeiten. Vier Jahre lang war ich dort. Obwohl diese beiden Jobs eine super Erfahrung für mich waren, hatte ich immer das Gefühl, es würde etwas fehlen. Doch was war dieses Vakuum, das ich spürte? 

Mir hat die Basis gefehlt, der Bezug der ganzen Theorie zur Praxis. Ich war schon immer einer, der Dinge wirklich verstehen wollte. Dann stieß ich auf einen Masterstudiengang in Berlin: Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession, – ein Fernstudium, das ich berufsbegleitend machen konnte. Das hat mir eine ethische Basis gegeben, die mir bis heute hilft, wie alles funktionieren soll und es hat mich nicht nur professionell, sondern auch mental weitergebracht. Es war wohl auch die Initialzündung für den zweiten Teil meiner beruflichen Reise. 

2012 war es für mich an der Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen. Ich habe als Knecht auf einem Bauernhof angefangen. Der Moleshof im Vinschgau gehört Freunden von mir. Ein biologischer Hühnerhof, auf dem ich zunächst berufsbegleitend eingesprungen bin (ich arbeitete noch im Kinderzentrum Viva!) und später dann Vollzeit gearbeitet habe. Warum plötzlich die Arbeit auf einem Bauernhof? Ich wollte einfach mehr über Biolandwirtschaft und Permakultur wissen und die Grundlagen kennenlernen. Die Arbeit dort hat mir total gut gefallen. Wenn du durch meterhohen Schnee stapfst, um Futter zu den Ställen zu bringen, dann lernst du deine Körperlichkeit wieder kennen. Gedanken lösen sich in Luft auf, die Natur ist ganz nah. All das hat mich mit der Erde und dem Boden verbunden und mir die Grenzen gezeigt. Es war ein krasser Gegensatz zur Arbeit in der Kita, die von immer mehr Bürokratie geprägt war. Dass dadurch immer weniger Zeit für pädagogische Arbeit blieb, fand ich sehr schade. 


Als ich in der Sozialgenossenschaft Supertoll arbeitete, führte ich mit meiner späteren Frau Brunella eine Fernbeziehung. Wir hatten uns in Berlin kennengelernt und sahen uns anfangs nur zweimal im Jahr. Später dann, als sie in Holland studierte, öfter. Sie stammt aus Ecuador und brach ihre Zelte dort komplett ab, als sie entschied, zu mir nach Südtirol zu ziehen. Drei Jahre lang lebten wir in Brixen zusammen. Sie interessierte sich für Landwirtschaft genau wie ich. Wir schauten uns in Südtirol und Italien nach Grundstücken um, aber dort gibt es nur sehr wenige Möglichkeiten, als Quereinsteiger in der Landwirtschaft anzufangen. Und dann die Kosten… Vielleicht hat uns auch die Geduld gefehlt, uns Jahr und Tag zu verschulden. Doch wir wollten diesen Weg unbedingt gehen, unser eigenes Permakultur-Projekt irgendwo umzusetzen. Deshalb kam Ecuador ins Spiel. Eigentlich wollte meine Frau nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren, nun leben wir seit 2015 wieder in Bahía de Caráquez, wo sie aufgewachsen ist. 

In Junín in der Provinz Manabí, eine Autostunde von Bahía entfernt, kauften wir eine Finca (Grundstück) und setzten unser eigenes Permakultur-Projekt um. Tierra BellBaum heißt es – die Kombination unserer Nachnamen Bellettini und Kerschbaumer und Tierra, also Boden, Erde. Zusammen ergibt das einen schönen Baum. Im diesem Jahr haben wir ein kleines Haus für uns auf dem Grundstück errichtet. Ein- bis zweimal in der Woche sind wir dort, koordinieren uns mit unserem Arbeiter Miguel, der mit seiner Familie auf dem Grundstück lebt. 

Wenn ich heute auf die Anfänge zurückschaue, muss ich schmunzeln. Wir machten Fehler, viele Fehler. Aber wir gaben uns auch die Zeit, das tun zu dürfen. Wir hatten aber auch ein klares Ziel: Nach drei bis vier Jahren sollte das Business funktionieren. Einer der wichtigsten Schritte bisher: 2020 machten wir unseren Bioladen auf. Es ist der einzige im ganzen Land, in dem es 100 Prozent biologische Produkte gibt. Sie stammen aus unserer Produktion und von Menschen, denen Gesundheit, Natur und das Wohlergehen anderer genauso wichtig sind wie uns. Mittlerweile haben wir uns einen Kundenstock aufgebaut, was nicht einfach war. Wir wachsen langsam. Langsam ist das neue Schnell, sagen wir immer. 


Wir verkaufen unsere Produkte nicht frisch, sondern verarbeiten sie sofort. Drei Beispiele für unser Angebot? Brunella, die unsere Produkte entwickelt, hat sich auf besondere Essige spezialisiert, wie Mango-, Mandarinen- oder Bananenessig. Und dann pulverisieren wir Früchte für Vitaminshots oder bieten eine Reihe von Trockenfrüchten wie Bananen, Mamey, Mandarinen, Orangen, Mango und Jackfruit an. Auch Mehl aus Luftkartoffeln, Cracker von der Mocoche-Palme, verschiedene Tees, Kakao und Kaffee aus unserer Produktion haben wir im Angebot.

Man möchte vielleicht meinen, dass die Menschen in Ecuador gesund essen, schließlich sind die Plantagen voll von exotischen Früchten und Gemüse. Das Gegenteil ist der Fall. Die Ernährung ist schlecht, das Essen für gewöhnlich recht unausgewogen und es gibt oft das Gleiche: Reis, vielleicht ein Stück Fleisch oder Fisch dazu. Das landet in der Früh, zu Mittag und abends auf dem Teller. In der Landwirtschaft wird sehr viel Chemie eingesetzt, Chemie die zum Beispiel in Italien hergestellt, aber dort nicht mehr verwendet werden darf. Viele Menschen erkranken an Krebs. Dabei gäbe die Natur hier so viel her, der Artenreichtum ist riesig. Aber die Menschen ernähren sich schlecht und ungesund, was ich auf die Manipulation durch die verantwortungslose Lebensmittelindustrie zurückführe. Die Zahlen an Diabetes, Herz-und Kreislaufbeschwerden, Allergien, Unfruchtbarkeit und Übergewicht gehen gleich wie die Krebserkrankungen durch die Decke. Und die Ärzte und Forscher bleiben stumm, Ursachenforschung wird wegen der fetten Boni, welche die Pharmaindustrie (ist gleich Lebensmittelindustrie, Chemieindustrie) zahlt, nicht betrieben. Sehr wenige auf der Welt gewinnen in diesem Spiel. Aufklärung ist gefragt.

Die Leute hier brauchen gesunde Ernährung, wie auch an anderen Orten in der Welt. Und dass die guten Produkte auch im Land bleiben. Der gesamte Kaffee zum Beispiel wird exportiert. Die Ecuadorianer haben also nichts von ihrem eigenen Rohstoff, das kann es doch nicht sein! Da kommt unser Bioprojekt gerade recht. Unsere Produkte sind für die Menschen vor Ort gedacht, deshalb exportieren wird nichts davon. Die Arbeit auf der Finca bringt uns immer wieder zum Wesentlichen zurück. Wir sind immer noch im Aufbau und wollen Permakultur nicht nur leben, sondern Menschen auch beraten, wie sie es selbst umsetzen können. Permakultur ist viel mehr als ein Konzept für Landschaftsführung, es ist ein Lebensgefühl, es ist professionelles Handeln auf Basis ethischer Grundsätze. Lebensmittel auf eine Art und Weise herzustellen, die Menschen und Natur wertschätzt, dabei altes Wissen zu respektieren und durch moderne Techniken zu erleichtern – das ist sehr befriedigend.  

Uns war es immer wichtig, ein Projekt auf mehreren Säulen aufzustellen. Das ist vielleicht auch eine kleine Nachricht an die Bäuerinnen und Bauern in Südtirol, die auf Monokultur setzen. Das macht mich traurig, weil es an Kreativität und Ideen mangelt, der einst freie Bauer wurde zum Sklaven der Chemie gemacht, ohne es zu merken. In Südtirol war ich in den vergangenen acht Jahren nur zweimal. Ich habe die Zeit genossen, aber mein Platz ist jetzt hier. Denn wir tragen Verantwortung für die Menschen um uns herum. 

Das, womit mein Weg angefangen hat, schwirrt in letzter Zeit wieder häufiger in meinem Kopf herum. Vielleicht komme ich zurück zur Pädagogik. Wir haben die Idee, einen Kindergarten und eine Schule aufzubauen, wo es um systemisch-permakulturelle Bildung geht. Die Welt mit offenen und reflektierten Augen anschauen, das wollen wir anderen weitergeben.”

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Nachhaltigkeit
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