„Würde ich nicht malen, wäre ich Neurologin“

Montag, 27.08.2012

Von New York über Berlin bis nach Seoul reist Christine Gallmetzer (46) aus Bozen mit ihrer Malerei. Im Interview spricht die bildende Künstlerin und promovierte Philosophin aus Bozen über das Unterwegssein, ihre Suche nach Leidenschaften und wo sie diese findet.

Christine Gallmetzer (46): „Südstern ist wie die Zeit um Neujahr, wo jeder gute Vorsätze und Hoffnungen hegt.“

 

Tausend Bilder von tausend Paar Schuhen. Was war Ihr Beweggrund für die malerische Arbeit am Projekt „A 1000 times shoes“?

Die Herausforderung war und ist, mich über mehrere Jahre mit einem Thema auseinanderzusetzen und zu sehen, wie sich ein Projekt in einer langen Zeitspanne entwickelt. In der ersten Etappe der Arbeit, die mit der Ausstellung im Frauenmuseum in Meran abgeschlossen scheint, habe ich mich darauf konzentriert, Frauen über ihre Schuhe zu porträtieren. Die Schuh-Porträts wurden durch Statements der jeweiligen Trägerin ergänzt – wie etwa: „In diesen Schuhen wurden mir die Füße geküsst" oder "Diese Schuhe haben mich durch meine Ehekrise getragen".

Nun zeichnet sich eine Entwicklung ab, die sich auf den Fuß und das Bein im Schuh ausweitet und dadurch charakteristischer auf den Menschen verweist. Im Prinzip führt dieses Projekt mein Grundkonzept weiter: Alles ist transitorisch und in Bewegung.

Heike's red sandals, 30 x 40 cm, Öl auf Leinen, 2012

 

Reinholds shoes, 30 x 40 cm, Öl auf Leinen, 2012

 

Welche Bedeutung hat das „Unfertigsein“ für Sie?

Es gehört ein Stück weit zu meiner Lebensphilosophie. Die Gesellschaft ist im steten Wandel. Sicherheiten und Überzeugungen, die noch vor wenigen Jahrzehnten herrschten, gelten nicht mehr. Das gilt im beruflichen Umfeld, wo Projektarbeit und Kurzzeitjobs die Anstellung auf Lebenszeit ablösen. Auch im privaten Bereich werden unsere sozialen Strukturen aufgeweicht. In München und Berlin gibt es z.B. mehr Einzel- als Familienhaushalte.

 

Wie gehen Sie mit dieser Schnelllebigkeit im (Berufs-)Alltag um?

Das Malen ist eine gute Methode, die Zeit langsamer laufen zu lassen.

 

Zu Ihren Ausstellungen reisen Sie etwa nach Paris, Amsterdam, Venedig, London oder Seoul. Wie wichtig ist das Reisen und „Unterwegssein“ für Sie?

Sehr wichtig! Besonders Seoul war für mich ein ganz neuer Kulturkreis und hat viele Eindrücke hinterlassen. Ich bin ein sehr durchlässiger Mensch. Was an Eindrücken hereinkommt, braucht Zeit bis es verarbeitet wird. Das Malen hilft dabei.

Seoul, EWHA University, 2009

 

Können Sie sich nur schwer von Ihren Arbeiten trennen? Gibt es welche, die unverkäuflich sind?

Ich freue mich, wenn Bilder, an denen ich intensiv gearbeitet habe, das Atelier verlassen. Das Malen in vielen lasurartigen Schichten ist zeitaufwendig und beansprucht  oft viele Monate. Ich lebe von meiner Arbeit und freue mich natürlich, wenn jemand ein Bild gut findet und kauft.

Tatsächlich gibt es aber unverkäufliche Schlüsselbilder, die der Ausgangspunkt für eine neue Serie oder eine neue Idee waren, wie z.B. der Turmspringer, den ich nach einer Schwarz-Weiß-Fotografie gemalt habe, die meinen Vater zeigt.

Christine Gallmetzer (3.v.l.) 2010 in Tibet.

 

Warum haben Ihre Handtaschenfrauen weder Köpfe noch Füße?

Es ist ein Spiel mit unserer Wahrnehmung. Der Betrachter vervollständigt die Bilder in seinem Kopf. Kennen Sie diese Texte, bei denen alle Buchstaben durcheinander gewirbelt sind? Dennoch kann unser Gehirn die Worte unbewusst problemlos entziffern. So ist es auch bei meinen Bildern. Was da abläuft, finde ich ungemein interessant. Wenn ich nicht entschieden hätte Malerin zu sein, wäre ich Neurologin (lacht).

 

Wie viel gibt Ihre Malerei über Christine Gallmetzer preis – wie sehr bleibt sie dahinter verborgen?

Klar gebe ich etwas von mir preis, weil ich ja selbst male. Ich habe keine Assistenten, die für mich malen wie z.B. Jeff Koons oder Frank Stella. Ein gewisses Geheimnis bleibt in meiner Malerei aber immer bestehen. Das finde ich spannend!

behind the curtain, 110 x 100 cm, 2008-2012

 

Für den „European Award for Lifelong Passions – La seconda Luna“ sind Sie im deutschen Sprachraum auf der Suche nach Menschen mit einer besonderen Leidenschaft. Wie spüren Sie diese auf?

Das ist gar nicht so einfach, zumal das Thema so offen gesteckt ist. Gemeinsam mit vier weiteren Mentorinnen für den englischen, spanischen, französischen und osteuropäischen Sprachraum ist es meine Aufgabe, möglichst viele Menschen über den Wettbewerb, der von Leifers ausgeht, zu informieren. Bis jetzt haben wir viele Bewerbungen aus Osteuropa. Hingegen gibt es etwa aus Österreich noch keine einzige. Zurzeit mache ich hauptsächlich Internetrecherche. Dabei waren die letzten Suchfelder Senioren- und Pensionistenvereine sowie Frauennetzwerke.

 

Welche Leidenschaften haben Sie dabei schon kennengelernt?

Da gibt es etwa einen Uhrenmacher aus Berlin, der einfach jede Uhr repariert – wie alt und kaputt sie auch sein mag – und dabei die ganze Welt bereist. Dieser Tüftler war schon bei einem arabischen Maharaja zu Gast, um dessen Kindheitsuhren zu reparieren.

Eine andere Leidenschaft habe ich in Linz entdeckt, wo ein paar PensionistInnen gemeinsam ein Seniorenradio mit eigenen Sendungen und Hörspielen betreiben.

So viele Menschen pflegen ihre Leidenschaft im Verborgenen über Jahre, aber halten sie nicht für auszeichnungswürdig oder wichtig. Der Wettbewerb möchte genau diese Menschen finden!

 

Was ist für Sie Leidenschaft?

„Leidenschaft ist das, was Leiden schafft.“ Der Spruch klingt banal, hat aber vielleicht viel Wahres! Ich glaube unmodische Eigenschaften wie Disziplin und Selbstkontrolle gehören dazu. Auch wenn man dabei an Grenzen und auf Hindernisse stößt, bleibt man dran, weil die Begeisterung und Hingabe für eine Aufgabe so groß ist – das ist für mich Leidenschaft.

 

Sie pendeln regelmäßig zwischen Bozen und München. Ein Fotoalbum auf Ihrer Homepage nennen Sie „Homeless“. Fühlen Sie sich heimatlos?

Ich dachte lange, ich hätte kein starkes Bedürfnis nach Heimat, sondern eher nach guten menschlichen Beziehungen und nach einem anregenden Arbeitsumfeld. Das muss ich revidieren. Wenn ich von Berlin oder längeren Reisen nach Bozen zurückkomme und die Luft einatme – ja, es ist wirklich die Luft! – weiß ich, dass ich daheim bin. Sie hat einen besonderen  Duft, die Heimat. (lacht)

 

Die Heimat ist eines der Dinge, welches die Südsterne verbindet. Wie erleben Sie das Netzwerk?

Das Gute an Südstern ist, dass es kein rein virtuelles Netzwerk ist, sondern sehr auf den persönlichen Kontakt baut. Daraus haben sich mittlerweile zwischen Berlin, München und Bozen langjährige Freundschaften entwickelt. Es ist auch ein extrem verlässliches Netzwerk. Keine Ahnung, ob dies eine Eigenheit der SüdtirolerInnen ist, dass wir sehr verlässlich sind... (lacht) Jedenfalls werden ausgemachte Sachen auch umgesetzt. Das ist eine sehr angenehme Erfahrung.

 

Wenn Sie Südstern auf die Leinwand bringen wollten – was würden Sie malen?

Spontan fällt mir dazu ein Feuerwerk ein, das am Himmel als Farbenregen zu sehen ist. Südstern ist wie die Zeit um Neujahr, wo jeder viele gute Vorsätze und Hoffnungen hegt. In diesem Netzwerk sind so viele unterschiedliche, fantastische Menschen miteinander verbunden, die ihren Weg gehen und dabei ihre Leidenschaften umsetzen wollen.

 

Interview: Alexandra Hawlin

 

Zur Homepage von Christine Gallmetzer:

http://www.christinegallmetzer.it/

Infos zum Europäischen Wettbewerb der Leidenschaften: http://www.lasecondaluna.it/en/call-for-entries/project

 

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