„Südtirol muss sich für Ärzte aus dem Ausland öffnen“

Sonntag, 06.01.2013

SÜDTIROL/ULM. Südtiroler sind weltweit im Gesundheitswesen und in der Forschung tätig. Rund 120 von ihnen haben sich im so genannten „Planet Medizin“ des Netzwerkes Südstern zusammengeschlossen. Die Tageszeitung „Dolomiten“ stellt in einer monatlichen Serie einige dieser „Planetarier“ vor. Ingrid Furlan (37) aus Leifers ist Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum in Ulm.

 

Worin unterscheiden sich ihre jungen Patienten von den Erwachsenen?

Ingrid Furlan: Kinder sind nicht „kleine Erwachsene“. Daher braucht es in meinem Beruf Einfühlungsvermögen und Ehrlichkeit, denn Kinder durchschauen Lügen meist sofort. Zudem muss ich als Ärztin die Ängste der Kinder gegenüber einer ungewohnten Umgebung berücksichtigen.

 

Ihre Patienten leiden etwa unter genetischen Erkrankungen oder Leukämie. Welche Chance eröffnet dabei die Stammzellentherapie?

Ingrid Furlan: Durch eine Transplantation von Blutstammzellen können diese Erkrankungen geheilt werden. Meistens akzeptieren die Spenderzellen den neuen Körper, so dass auf lange Sicht keine Medikamente mehr notwendig sind. Wenn kein passender Spender aus der Familie gefunden werden kann, wird nach einem Fremdspender gesucht. Für mich ist es gelebte Nächstenliebe, wenn jemand für einen fremden und kranken Menschen Stammzellen spendet.

 

Was treibt Sie als Ärztin an und woher nehmen Sie Ihre Kraft?

Ingrid Furlan: Ich habe das große Privileg, meinen Traumberuf ausüben zu dürfen. Kraft schöpfe ich aus dem anregenden Umfeld in der Klinik, wo auch fachlich interessante Diskussionen stattfinden. Meine größte Freude im Beruf sind jedoch meine kleinen Patienten, die mir jeden Tag das Gefühl geben, etwas Sinnvolles zu tun und deren Mut und Lebensfreude erstaunlich sind.

 

Welche Perspektiven sehen Sie für das Südtiroler Gesundheitssystem?

Ingrid Furlan: Um einen möglichst hohen Standard anzustreben und Perspektiven für Patienten und Ärzte zu schaffen, sollte sich das Land Südtirol mehr an den Strukturen im deutschsprachigen Raum orientieren. Darüber hinaus muss sich Südtirol für exzellente medizinische Ärzte und Forscher aus dem Ausland öffnen. Langfristig ist das Südtiroler System für die Spitzenmedizin verloren, da es durch seine Zweisprachigkeitsanforderung fast nur auf eigene Fachkräfte zurückgreift.

 

Warum haben Sie sich für eine Facharztausbildung im Ausland entschieden?

Ingrid Furlan: Ich wollte schon immer Kinderärztin werden. Als ich nach dem Praktikum in Bozen die Facharztausbildung beginnen wollte, gab es gerade keine vom Land ausgeschriebenen Stellen. Ich habe mich daher in Österreich und Deutschland beworben. Die erste Zusage kam aus Freiburg. Rückblickend war dies ein Glücksfall.

 

Erwägen Sie eine Rückkehr nach Südtirol?

Ingrid Furlan: Eine Rückkehr wäre für mich aus heutiger Sicht eigentlich nur kurz vor der Pension denkbar, um eventuell noch einige Jahre als Kinderärztin zu praktizieren. Falls die Medical School in Bozen aufgebaut wird, könnte ich mir vorstellen, einmal im Semester zu einem Seminar oder einer vertiefenden Weiterbildung nach Südtirol zu kommen.

 

Was bedeutet für Sie Heimat?

Ingrid Furlan: Sie ist ein Ort, an dem viele Erinnerungen lebendig werden, wo meine Eltern und guten Freunde aus der Schulzeit leben. Sie ist aber auch da, wo man die Gedanken und Probleme der Leute versteht, weil man selber einen Teil von sich dort gelassen hat.

Interview: Alexandra Hawlin

 

Ähnliche Beiträge: