„Ärzte leiden immer ein Stück weit mit“
Das Interview mit Ulrich Mahlknecht (45), Chefarzt für Onkologie in der Klinik von Solingen bei Düsseldorf, aus der Tageszeitung „Dolomiten“ vom 05. Jänner: Der gebürtige Gadertaler spricht über die enge Bindung zu seinen Krebspatienten, die Vorzüge von Naturheilmitteln und Ideen, die es noch zu verwirklichen gilt.
Ulrich Mahlknecht (45), Chefarzt für Onkologie in der Klinik von Solingen, Düsseldorf
Sie haben in New York, Paris und Birmingham studiert. Heute sind Sie Chefarzt in Solingen. Inwiefern profitieren Sie von Ihren Auslandsaufenthalten?
Viele Sprachen und Kulturen zu kennen macht toleranter – und vieles leichter. Wenn ich einen italienischen Patienten in Deutschland in seiner Muttersprache anspreche, dann sind auf einen Schlag alle Barrieren aus dem Weg geräumt – und schon beim nächsten Mal bringt der Patient seine ganze Familie zum Kennenlernen mit. (lacht)
Wie schwierig ist es dabei als Arzt, die notwendige Distanz zum Patienten zu wahren und gleichzeitig das Menschliche nicht zu vernachlässigen?
Viele Onkologen arbeiten gerade deshalb in dem Bereich, weil sie schon früher in ihrem Leben mit dem Thema Krebs oder mit Sterbenden konfrontiert wurden – auch bei mir ist das so. Mit der „notwendigen Distanz“ ist es deshalb nicht immer einfach. Wir begleiten unsere Patienten oft über Jahre mit ihrer Krankheit – bis zum Ende. Dabei leiden Ärzte und Pfleger immer ein Stück weit mit den Patienten mit und werden oft zu einer Art Ersatz-Familie.
Hält jeder dieser psychischen Belastung stand?
Manche Mitarbeiter verlassen die Onkologie, weil ihnen die Schicksale zu nahe gehen. Es sind meist jene Mitarbeiter, die bei den Patienten am beliebtesten sind. Im Umgang mit Krebskranken ist es kaum möglich, eine sachliche Distanz einzunehmen – und das ist gut so, denn ein enges Vertrauensverhältnis ist wichtig.
Sie sind ein Verteidiger der Naturheilverfahren. Bezieht die Schulmedizin diese zu wenig in die Behandlungsmethoden ein?
Gerade gegen die Nebenwirkungen der Krebsbehandlung können Naturheilverfahren komplementär eingesetzt werden. Sie unterstützen das Immunsystem und helfen bei Kopfschmerzen, Fieber oder Durchfall. Im deutschen Raum und in den Alpenländern haben Naturheilmethoden eine lange Tradition. Im Nationalsozialismus wurden sie massiv eingesetzt, was in der Nachkriegszeit aber zu einer allgemeinen Ablehnung führte. Bis heute haben sie leider noch keinen Eingang in die schulmedizinische Ausbildung gefunden.
Mahlknecht: "Im Umgang mit Krebskranken ist es kaum möglich, eine sachliche Distanz einzunehmen."
Woran müsste in der Medizin noch geforscht werden?
Da gibt es vieles. Vor einigen Jahren habe ich versucht, Bakterien genetisch so umzuprogrammieren, dass sie Wasserstoff als alternativen Treibstoff für die Automobilindustrie produzieren – die Bakterien wollten aber nicht. (lacht)
Ihre Vision ist, einen internationalen Forschungsverbund mit zentralem Sitz in Südtirol aufzubauen. Wie konkret ist die Idee?
Es ist erst mal nur eine Idee. Zusammen mit anderen Südtirolern im Ausland möchte ich bessere Voraussetzungen für junge Südtiroler schaffen, die mit einer sehr guten beruflichen Ausbildung im Ausland wieder in die Heimat zurückkehren wollen. Man wird sehen, was sich aus dieser Idee entwickelt.
Unter welchen Bedingungen würden Sie selbst nach Südtirol zurückkehren?
Im Alter möchte ich nach Südtirol zurück – bedingungslos.
Und Ihre Medizin gegen Heimweh?
Das Rezept ist schnell geschrieben: nach Hause fahren!
Alexandra Hawlin